Priester unter zwei Diktaturen
Vier Jahre später, im Jahr 1941, ließ er es sich von den Machthabern nicht verbieten, in Hubertusburg bei Wermsdorf einen Gottesdienst mit polnischen Zwangsarbeitern zu feiern. Die Nazis steckten ihn dafür ins KZ. "Ehe ich ins Konzentrationslager kam, hatte ich in den Gestapo-Akten über mich gelesen, dass ich einzig und allein wegen meines Glaubens und meiner priesterlichen Tätigkeit ins KZ komme. Das hat mir eine große Ruhe gegeben." Scheipers fühlte sich in seinem Glauben gestärkt. Er war nun wirklich ein Jünger, ein Nachfolger Jesu geworden.
Mit den Worten "Ihr seid aus der Gesellschaft ausgestoßen. Ihr seid ehrlos, wehrlos und rechtlos" begrüßt der Dachauer KZ-Kommandant höhnisch die neuen Sträflinge. Selbst diese Worte stärken Scheipers Treue zu Gott. War nicht auch Jesus ehrlos, wehrlos und rechtlos gestorben?
Im Frühjahr 1942 wird Scheipers, der im KZ die Nummer 24.255 auf seiner Häftlingskleidung trägt, arbeitsunfähig und muss im Invalidenblock des Lagers mit seiner Vergasung rechnen. Dass er und viele andere Priester nicht vergast wurden, verdankt er auch seiner Zwillingsschwester Anna. Die hält unter waghalsigen Umständen den Kontakt zu ihrem Bruder aufrecht, kämpft im SS-Reichssicherheitshauptamt in Berlin um sein Leben.
Dramatische Flucht und Rückkehr nach Sachsen
Außerdem hilft ihm schließlich der Zufall: An Typhus erkrankt, erhält Scheipers die notwendige Behandlung nur deshalb, weil zeitgleich auch in einem nahe gelegenen NS-Ausbildungslager die Krankheit wütet. Die Verantwortlichen des Regimes versuchen unter allen Umständen, die Ausbreitung der Krankheit in den Griff zu bekommen und behandeln nur deshalb auch den KZ-Insassen Scheipers.
In Dachau trifft Scheipers auch auf den ebenfalls inhaftierten Sorben Alois Andritzki , auch er ein junger Kaplan des Bistums Meißen. Und er erlebt mit, wie dieser in Dachau sein Leben lässt. Im Angesicht des Todes bittet Andritzki - obwohl im Lager jede religiöse Betätigung untersagt ist - darum, einen Priester sehen zu dürfen. "Was? Einen Priester will er? Eine Spritze kriegt er", erinnert sich Scheipers an die Worte des Aufsehers, ehe Andritzki mit einer Giftspritze ermordet wird.
Scheipers überlebt das Konzentrationslager, flieht unter dramatischen Umständen vom Todesmarsch bei der Evakuierung des Lagers und kehrt 1946, nur ein Jahr nach Ende des Zweiten Weltkriegs aus dem Münsterland erneut ins Bistum Meißen zurück. "Meine Verwandten konnten das nicht verstehen. Sie sagten: Fünf Jahre haben wir um Dich Angst gehabt, und jetzt gehst Du zu den Russen", erzählt Scheipers.
Vorwurf "staatsfeindliche Hetze"
Die Zeit in der DDR bezeichnet er heute als schönste Zeit seines Lebens: "Zwar musste ich erneut die Verfolgung der Kirche und den Hunger erleben, den ich nach dem KZ schon überwunden geglaubt hatte. Aber das wurde etwa in Schirgiswalde durch das Glück aufgewogen, das ich durch die enorme Dankbarkeit der Heimatvertriebenen erlebt habe, und durch deren Aufgeschlossenheit gegenüber Gott."
Hier, wo er von 1960 bis 1983 lange Jahre als Pfarrer tätig war, setzte er auch gegen alle Widerstände des SED-Regimes den Bau einer Kirche durch. Erneut drohte ihm ein Prozess wegen "staatsfeindlicher Hetze". Dass er im Konzentrationslager saß, bringt ihm in der DDR keinen Vorteil. "Wer das Konzentrationslager überlebte, der muss Kollaborateur gewesen sein", das war seiner Erfahrung nach die Logik der DDR-Machthaber.
Nach seinem Dienst als Priester im Bistum Dresden-Meißen zog Hermann Scheipers 1983 im Alter von 70 Jahren heim ins Münsterland. Längst ist er mit zahlreichen Ehrungen ausgezeichnet. Vier Tage nach seinem heutigen 100. Geburtstag, am 28. Juli, kommt eine weitere Ehrung hinzu. Scheipers soll dann auch Ehrenbürger seiner Heimatgemeinde Ochtrup im Münsterland werden.
Von Markus Kremser