Joseph Ratzinger als Hercule Poirot
Zu den Aufgaben eines Theologieprofessors gehört es, über die "Lehre von den letzten Dingen" nachzudenken, also etwa darüber, was nach dem Tod kommt. Immer mehr Professoren kommen dieser Pflicht auf eher unkonventionelle Weise nach: als Autoren von Kriminalromanen. Nach dem Augsburger Religionspädagogen Georg Langenhorst ("Toter Regens, guter Regens") gehört nun auch der Münchner Professor für Pastoraltheologie, Andreas Wollbold, dazu. Im Interview mit katholisch.de erklärt er, warum er mit seinem gerade erschienenen Roman "Felapton oder Das letzte Glück" auf keinen Fall Verkündigung betreiben möchte und was Benedikt XVI. mit dem Buch zu tun hat.
Frage: Herr Professor Wollbold, kann man als Priester über Mord und Totschlag schreiben?
Wollbold: Wer, wenn nicht gerade auch ein Priester? Ein Priester soll die Herzen der Menschen kennen und die haben viel Gutes, aber eben auch viel Böses und Abgrundtiefes. Wenn ein Priester, der Seelsorger sein soll, das nicht kennt, wer dann?
Frage: Die Handlung kreist um die Entdeckung der Leichen von fünf jungen Männern im Keller eines Klosters. Auffallend ist das mysteriöse Lächeln auf ihren Gesichtern. Was wollen Sie mit diesem Kontrast aussagen?
Wollbold: Die Frage, die ich stellen will, lautet: Was ist das Glück angesichts dessen, dass junge Menschen auf tragische Weise umkommen? Wie kann es sein, dass ihre Gesichtszüge trotz dieses unerfüllten Lebens sagen, es gäbe ein letztes Glück?
Frage: Wer oder was hat Sie zu diesem Thema inspiriert?
Wollbold: Unter anderem ein Gespräch mit dem verstorbenen Kardinal von Paris, Jean-Marie Lustiger. Wir haben damals darüber gesprochen, dass die Theologie, gerade bei uns in Deutschland, sehr stark die Frage der Freiheit betont, während die Frage, die viele Menschen viel mehr bewegt, die Frage nach dem Glück ist. Wie kann ich glücklich werden? Wie kann meine Lebenszeit nicht vergehen, ohne dass ich mein Leben wirklich gelebt – und das heißt glücklich gelebt – habe? Damit war das Thema klar.
Frage: Dennoch wirken die meisten Figuren eher unglücklich. Der Fotograf und Spontanermittler Jens leidet unter Geldnot und Minderwertigkeitskomplexen, seine Co-Detektivin Julia hat im Zuge einer Sinnkrise gerade ihr Studium geschmissen. Der einzige richtig glückliche Mensch scheint Pfarrer Joseph Kerninger zu sein. Was macht sein Glück aus?
Wollbold: Letztes Glück ist wahrscheinlich nur da zu finden, wo man ihm eben nicht nachjagt, sondern wo man sagt: Ich stelle mein Leben in den Dienst Gottes, in den Dienst der Wahrheit, in den Dienst des Nächsten. Und das ist Kerninger.
Frage: Es ist nicht schwer, von seinem Namen und dem im Roman beschriebenen Lebenslauf auf Joseph Ratzinger zu kommen. Wieso diese Anspielung?
Wollbold: Das ist der einzige, allerdings lockere Bezug zu einer tatsächlich lebenden Gestalt. Natürlich ist Kerninger nicht Ratzinger, Vieles unterscheidet ihn, und dennoch ist es eine kleine Hommage an diesen großen Papst. Wenn man Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität München ist, kommt man nicht umhin, sich mit dem auseinanderzusetzen, was er selber das „Drama der Habilitation“ genannt hat. Ich bin einfach meiner Phantasie gefolgt und habe mich gefragt: Was wäre gewesen, wenn diese Habilitation tatsächlich gekippt worden wäre und der junge Joseph Ratzinger eben nicht hätte Professor werden können?
Frage: Laut Ihrem Roman wäre er zum Hobbydetektiv avanciert – er wird darin sogar mit Agatha Christies legendärer Ermittler-Figur Hercule Poirot verglichen. Haben Sie Benedikt XVI. ein Exemplar nach Rom geschickt?
Wollbold: Diese Idee hatte ich tatsächlich auch schon!
Frage: Mit einem Kommissar, zwei Ad-hoc-Ermittlern und gleich fünf mysteriösen Todesfällen ist Ihr Buch ein Krimi, gleichzeitig ist es als "philosophischer Roman" ausgewiesen – schon der Titel "Felapton" ist ein Fachbegriff der philosophischen Logik …
Wollbold: Modernes Schreiben liebt es ja, die Genres zu verschieben, und so ist es auch hier. Es ist ein Krimi und es ist doch kein Krimi, es gibt insgesamt – man weiß es nicht genau – neun Tote, insofern ist es sicher ein Krimi, in dem es darum geht: Was steht hinter diesen Toten, wer war schuld? Aber die Hauptsache ist die philosophisch-kriminalistische Frage: Was ist Wahrheit, was ist Glück, was steht hinter allem?
Frage: Bisher haben Sie vor allem Fachbücher veröffentlicht. Haben Sie beim Schreiben von "Felapton" den Theologieprofessor ausgeschaltet?
Wollbold: Weitgehend. Das Vorurteil von einem Professoren-Autor ist sicher, dass er einen Masterplan für die Geschichte hat, dass er auf vier Din-A4-Seiten minutiös ausfaltet, wie die Handlung abläuft. Da muss ich ein Geständnis machen: Ich bin ein ganz unprofessoraler Professoren-Autor, das heißt, ich überlasse mich meiner Geschichte. Ich habe diese Ausgangssituation, die fünf Toten im Kloster und ihr Lächeln, und lasse Gestalten, Entwicklungen und schließlich auch Lösungen, fast möchte ich sagen, mir zufliegen. Das ist natürlich riskant, weil ich dadurch gelegentlich auch mal in Sackgassen gerate und dann auch ganze Kapitel noch mal neu schreiben oder ganz herausnehmen muss, ein bisschen wie im richtigen Leben. Ich bin der Erste, der vom Ausgang der Geschichte überrascht ist.
Frage: Dennoch können Sie den Theologen nicht ganz verstecken. Allein die Frage nach dem "letzten Glück" ist ja zutiefst theologisch …
Wollbold: Literatur ist aber keine Verkündigung! Wo sie das werden will, da schreckt sie ab. Natürlich schaue ich auf das, was christliche Literatur ist oder sein will. Vieles, was heute produziert wird, ist nach meiner Ansicht gut gemeint, aber oft nicht gut gemacht. Da ist zu viel Verkündigungsdruck, da sind die Geschichten, die Persönlichkeiten oft nur Garderobenhaken für Thesen und Bekehrungsversuche. Insofern habe ich versucht, etwas anderes zu machen. Die Geschichte soll aus sich selber sprechen und zum Nachdenken anregen. Wenn dabei etwas für den Glauben herauskommt, ist das schön, aber das habe ich nicht in der Hand.