Der dritte Tag: Das Zeitmaß der Auferstehung
"Auferweckt am dritten Tage nach der Schrift" – mit diesem Zitat aus einem der ältesten Glaubenskenntnisse, das der Apostel Paulus überliefert (1 Kor 15,3-5), ist die theologische Dissertation überschrieben, die Karl Lehmann 1967 geschrieben hat, um das Dogma von der Heiligen Schrift her zu erneuern. Am 4. Sonntag der Fastenzeit, "Laetare", ist er gestorben. Seine Promotionsschrift weist den Weg einer Hoffnung über den Tod hinaus.
Der Titel ist Programm: Ostern ist eine geprägte Zeit. Die Auferweckung hat ihr eigenes Timing. Es gibt keine Hoffnung auf ewiges Leben, ohne dass des Todes gedacht wird; es gibt keinen Tod, der nicht ins Licht der Auferstehung getaucht wird. Jesus war tot und wurde begraben – nur deshalb konnte er von den Toten auferweckt werden. Er ist von den Toten auferweckt worden, damit niemand im Grab zu vermodern braucht, sondern alle die Freude des Ostertages spüren können – nach Gottes eigenem Zeitmaß.
Was aber hat es mit den drei Tagen auf sich? Man kann in den Wochenkalender schauen, um eine Teilantwort zu erhalten. Jesus ist nach allen Evangelien an einem Freitag gestorben; das ist der erste Tag. Er hat über den Sabbat im Grab gelegen; das ist der zweite Tag. Am Sonntagmorgen in aller Herrgottsfrühe, haben sich Frauen aus Galiläa, darunter Maria Magdalena, auf den Weg zum Grab gemacht – und haben es leer gefunden; das ist der dritte Tag. Er hat sich tief ins Gedächtnis der jungen Kirche eingebrannt.
Obwohl die allermeisten Gläubigen aus dem Judentum stammen und, wie Jesus selbst, den Sabbat gehalten haben, wird der Sonntag, der "Tag des Herrn" (Offb 1,10), zu dem Tag, an dem sich die christlichen Gemeinden regelmäßig versammeln. Lukas schildert eine plastische Szene: "Am ersten Tag der Woche" kommt in der dritten Etage eines Mietshauses die christliche Gemeinde von Troas zusammen, um das Brot zu brechen (Apg 20,7-12). So wird es vielerorts gewesen sein: nach Arbeitsschluss, nicht in einem Tempel, nicht mehr in der Synagoge, sondern – der Gastfreundschaft sei Dank – in einer privaten Wohnung. Diese wird durch das geheiligt, was gefeiert wird: die Auferstehung Jesu.
Aller guten Dinge sind drei
Der österliche Kalender ist wichtig, verrät aber nur die halbe Wahrheit. Niemand hat sich mit der Stoppuhr hingestellt, um die Zeit der Auferstehung zu messen. Die drei Tage spielen über die Osterbotschaft hinaus eine tragende Rolle in den Evangelien, aber mit durchaus nicht unerheblichen Unterschieden. Nach dem Markusevangelium kündigt Jesus an, "nach drei Tagen" aufzuerstehen (Mk 8,31; 10,34), nach dem Matthäus- und dem Lukasevangelium aber heißt es an den Parallelstellen: "am dritten Tag" (z.B. Mt 16,21; Lk 9,22). An drei Mal 24 Stunden hat offenbar niemand gedacht. Woran dann?
Karl Lehmann hat in seiner Dissertation die Spur zurück zum Propheten Hosea verfolgt. "Auf, lasst uns zum Herrn zurückkehren! Denn er hat gerissen, er wird uns auch heilen; er hat verwundet, er wird uns auch verbinden. Nach zwei Tagen gibt er uns das Leben zurück, am dritten Tag richtet er uns wieder auf und wir leben vor seinem Angesicht. Lasst uns ihn erkennen, ja lasst uns nach der Erkenntnis des Herrn jagen! Er kommt so sicher wie das Morgenrot; er kommt zu uns wie der Regen, wie der Frühjahrsregen, der die Erde tränkt" (Hos 6,1-3). Diese Worte haben mit der Auferstehung Jesu direkt nichts zu tun. Sie blicken in eine tiefe Depression der Geschichte Israels, einen selbstverschuldeten Untergang – und sie schauen heraus aus dem Loch der Verzweiflung auf das Morgenrot eines neuen Tages, den Gott schenken wird. Das ist der dritte Tag. Er bringt die Wende. Er führt vom Tod zum Leben. So hat Hosea doch etwas mit der Auferweckung Jesu zu tun – und Jesus mit der Prophetie Israels.
Der Tod hat nicht das letzte Wort
Hosea steht mit seiner Hoffnung auf den dritten Tag nicht allein. Nach dem Neuen Testament erinnert Jesus an Jona, der "drei Tage und drei Nächte im Bauch des Fisches" war, bevor er an Land gespuckt wurde (Jona 2,1), so wie auch der Menschensohn nicht in der Höhle des Grabes eingebunkert bleiben, sondern neu ans Licht treten wird (Mt 12,40).
In der Welt der Antike gilt jemand als richtig tot, wenn er drei Tage im Grab liegt. Die heutigen Diskussionen über den Hirntod oder andere Verfahren, den Tod eines Menschen festzustellen, sind unbekannt. Die Kriterien sind handfest; wenn sich nach drei Tagen immer noch nichts gerührt hat, wird nichts mehr passieren. Deshalb heißt es bei Lazarus, dass er schon "vier Tage" im Grab lag, als Jesus endlich eintrifft (Joh 11,4) – zu spät, wie es nach menschlichem Ermessen scheint, aber gerade richtig, wie Johannes das Zeichen der Zeit gesetzt sieht.
Die Ostergeschichte: Leuchtend wie ein Blitz
Alle Evangelien berichten über das leere Grab und die Auferstehung. Aber in Details unterscheiden sie sich. Lesen und vergleichen Sie hier die Auferstehungsgeschichten der vier Evangelien nach Matthäus, Markus, Lukas und Johannes.Wie populär die Vorstellung der drei Totentage war, zeigt sich im Neuen Testament an zwei ganz verschiedenen Stellen. Nach dem Matthäusevangelium werden die Hohepriester und Pharisäer bei Pilatus vorstellig, um ihn zu bewegen, das Grab Jesu "bis zum dritten Tag" zu versiegeln, damit keiner seiner Jünger auf die Idee kommen könne, den Leichnam zu stehlen und die Auferstehung Jesu zu behaupten (Mt 27,64). Nach dem Lukasevangelium sind die Emmaus-Jünger verzweifelt, wenn sie ihrem unbekannten Wegbegleiter, Jesus selbst, ihr Leid klagen, wie viel Hoffnung sie auf den Messias gesetzt haben und wie gründlich sie zerstoben sei; denn: "Über all dem ist heute schon der dritte Tag, seit dies geschehen ist" (Lk 24,21).
Das Leben geht weiter
Anders als Lazarus in der johanneischen Erzählung kehrt der auferstandene Jesus nicht ins irdische Leben zurück, sondern tritt aus dem Geheimnis des lebendigen Gottes selbst heraus in Erscheinung. Der Tod hat keine Macht mehr über ihn. Mehr noch: Seine Auferstehung begründet die Hoffnung auf die allgemeine Auferstehung der Toten, weil er nicht nur für andere Menschen gelebt hat und gestorben ist, sondern auch von den Toten auferweckt und zur Rechten Gottes erhöht wurde, um in der Kraft des Geistes seine Liebe für alle Zeit und Ewigkeit wirken zu lassen.
In den Osterevangelien sind es kleine Gesten und Worte, an denen Jesus sich erkennen lässt, obwohl seine Jünger mit allem rechnen, nur nicht mit seiner Auferweckung. Nach dem Matthäusevangelium zweifeln sie, da sie ihn auf dem Osterberg in Galiläa sehen – aber Jesus geht auf sie zu und spricht sie an, um sie zu senden (Mt 28,16-20). Nach dem Lukasevangelium geht er den Irrweg der Emmaus-Jünger mit, um sie dazu zu führen, ihrem eigenen Herzen zu vertrauen und an die Auferstehung zu glauben (Lk 24,13-35); den Jüngern zeigt er in Jerusalem seine Hände und Füße, um sich zu identifizieren – als ob es schon Körperscanning gegeben hätte (Lk 24,36-53). Nach dem Johannesevangelium sagt Jesus Maria Magdalena nur ihren Namen – und alles wird klar (Joh 20,11-18); die Jünger haucht er an – und sie nehmen Gottes Geist auf, um Sünden vergeben zu können (Joh 20,19-23); Thomas darf die Wundmale berühren, weil er sonst nicht glauben kann (Joh 20,24-29); schließlich schickt Jesus die Fischer vom See Genezareth zurück in ihr ureigenes Metier, damit sie die Vorzeichen einer erfolgreichen Mission entdecken können, die ihre Lebensaufgabe werden wird (Joh 21).
Die Auferweckung als solche wird im Neuen Testament nirgends erzählt. Das ist konsequent, weil sie die Grenzen von Raum und Zeit überschreitet. Aber die Zeitenwende, die die Auferstehung einleitet, wird anschaulich. Menschen brauchen Zeit, um den Tod eines Angehörigen zu verkraften; Menschen brauchen auch Zeit, um an die Auferstehung zu glauben. Der dritte Tag des Neuen Testaments gibt zuerst Zeit zur Trauer um Jesus, der gestorben ist; am schwersten ist der Tag auszuhalten, an dem er im Grab liegt und nichts zu passieren scheint. Aber auch mitten im Ostergeschehen sind nicht einfach alle Spuren des Todes beseitigt, im Gegenteil: Nach dem Johannesevangelium trägt der Auferstandene noch die Wundmale. Deshalb gehört zum Auferstehungsglauben nicht etwa die Verdrängung, sondern die Vergegenwärtigung des Todes Jesu: als Verdichtung seines Heilsdienstes, wie er in der Eucharistie gefeiert wird.
Aber auch der dritte Tag hat sein eigenes Zeitmaß. Nach dem Johannes- und dem Lukasevangelium spielen sich die Auffindung des leeren Grabes und die ersten Erscheinungen des Auferweckten an einem einzigen Tag ab, in Jerusalem. Die Apostelgeschichte stellt aber vierzig Tage bis zur Himmelfahrt vor Augen, in denen Jesus seinen Jüngern immer wieder erschienen ist, um ihnen vom Reich Gottes zu erzählen. Das ist nur für Beckmesser ein Widerspruch. Die biblischen Zahlen sind immer realistisch und symbolisch zugleich, nur nicht unter dem Diktat der Uhr, dem die modernen Zeitgenossen sich beugen.
Die Liturgie der Osterzeit nimmt dieses Zeitmaß auf. Ein langer Tag ist das Auferstehungsfest, in dem jeder Moment des Glaubens zählt: Zeit durchzuatmen, Zeit aufzubrechen, Zeit neu anzufangen. Zum Schluss seiner Studie über den Osterglauben schrieb Karl Lehmann von der Suche nach Gott, die durch die Auferstehung Jesu ausgelöst wird: "Sie lebt insgeheim von der Unerschöpflichkeit des Einfachen, das aller Gewöhnlichkeit und Vernutzung zum Trotz unverbraucht leuchten kann wie am ersten Tag."