Wer hält die beste Predigt?
Tom Herter braucht nicht lange, um die Zuhörer für sich einzunehmen. "Zum Reformationsjubiläum hatte ich die Idee, den Ablass ins digitalen Zeitalter zu holen – die Idee wäre eine App: 'Applass'", sagt er. Die Lacher sind auf seiner Seite, doch schon im nächsten Satz hinterfragt Herter dann den eigenen Scherz: "Menschen können beliebige Beiträge bezahlen und damit soziale oder karitative Einrichtungen unterstützen – einfach fürs gute Gefühl oder gegen das schlechte Gewissen" – das klingt schon viel kritischer.
"Kirche ist jung, bunt und vielfältig"
Mit seinem 12-minütigen Beitrag, gespickt mit viel Witz und einigen ernsten Passagen, entschied der 28-jährige freikirchliche Gemeindegründer den vom Bistum Osnabrück 2017 ausgetragenen Preacher-Slam für sich. Heute findet der nächste und damit schon dritte Slam im dortigen Forum am Dom statt. "Unser Anliegen ist es, zu zeigen: Kirche ist jung, bunt und vielfältig, sie hat etwas zu sagen, das interessant und kurzweilig daherkommen kann, ohne banal oder trivial zu sein", sagt die Theologin Sibylle Kühn, die die Veranstaltung organisiert.
HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.
Auch katholisch.de-Volontär Roland Müller hat bereits bei einem Preacher-Slam mitgemacht - und ihn gewonnen.
Am Wochenende treten sechs Frauen und Männer beider Konfessionen gegeneinander an. Wer siegt, entscheidet ähnlich wie bei den 'normalen' Poetry Slams nicht eine Jury mit ausgefeilten Qualitäts- und Bewertungskriterien, sondern der Applaus des Publikums. Auch sonst gelten beim Preacher-Slam ähnliche Regeln wie bei seinem weltlichen Vorbild: Es wird ein Thema vorgegeben, es soll sich um kurze Beiträge handeln, es dürfen keine Hilfsmittel verwendet und natürlich nur selbstgeschriebene Texte vorgetragen werden. Weitere Einschränkungen in Bezug auf Alter oder Beruf der Kandidaten gibt es in Osnabrück nicht. "Wer bei einem Preacher-Slam mitmacht, sollte aber grundsätzlich keine Scheu haben, sich auf eine Bühne zu stellen und außerdem Spaß am Wortwitz und an der Auseinandersetzung mit einem bestimmten Thema haben", erklärt Kühn. Weil das Format beim Publikum bisher auf großes Interesse stieß, plant sie nun, es regelmäßig mindestens einmal im Jahr im Bistum Osnabrück anzubieten.
Auch anderswo sind die Slams beliebt: Die katholische Hochschulgemeinde des Bistums Münster richtet den bereits sechsten Preacher-Slam zum Katholikentag im Mai aus, der Münchener Sankt Michaelsbund lud im November 2017 bereits erfahrene Redner zum Thema "Holy Shit - was ist Dir heilig?" ein. Auch das ökumenische Projekt "Kirche²" im Bistum Hildesheim organisierte schon einen Predigt-Wettbewerb, ebenso wie Initiativen in den Bistümern Aachen und Essen — die Liste ließe sich noch fortsetzen.
An der katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt (KU) war der Slam sogar Teil des Theologiestudiums: "Poetry Slam – Reden von Gott als jugendpastoraler Event" hieß das Projektseminar im Bachelorstudiengang Religionspädagogik und Kirchliche Bildungsarbeit, das Dozentin Simone Birkel für ihre Studenten organisierte. Das Projekt brachte ihr im vergangenen Jahr den "Preis für gute Lehre" der KU ein, gerade ist das Buch "Spoken Words" im Don Bosco-Verlag erschienen, in dem Birkel als Herausgeberin das Projekt wissenschaftlich aufarbeitet. "Die Grundidee ist es, Glauben authentisch ins Wort zu bringen, in kirchlichem Kontext darüber zu sprechen, was junge Leute wirklich bewegt", fasst sie zusammen.
Linktipp: "Preacher Slam" im Dom
Seit 700 Jahren gibt es den Essener Dom. Im Rahmen der Feierlichkeiten gab es am Samstagabend eine Premiere: das Finale eines "Preecher Slams", eines Literaten-Wettstreits junger Menschen.So beliebt ist die Form inzwischen, dass sich eine Art kirchliche "Slammer-Szene" gebildet hat. "Ich war schon auf mehreren Slams, und manche der Kandidaten kenne ich inzwischen ganz gut", sagt Annette Jantzen, die geistliche Leiterin des BDKJ im Bistum Aachen. Sie hat für das dortige Innenstadt-Kirchen-Projekt "Zeitfenster" schon mehrere Predigt-Wettbewerbe organisiert und ist überzeugt von deren Potential: "Die Slams verbinden klassische Verkündigung mit einem modernen Format, das auch im säkularen Kontext bekannt ist." So könnten auch Menschen angesprochen werden, die sonst mit der Kirche nicht so viel zu tun hätten.
Ähnlich sieht das auch Herter: "Im hochkulturellen Bereich ist die Kirche sehr gut vertreten. Die Matthäuspassion kann ich garantiert jedes Jahr an unterschiedlichen Orten anhören," analysiert er. Aber im subkulturellen Bereich, der vor allem junge Leute anspricht, gebe es kaum kirchliche Angebote. Die Prediger-Wettbewerbe seien schlicht eine neue Form, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Sibylle Kühnel vom Bistum Osnabrück formuliert das Ansinnen so: "Wir wollen und als Kirche bei den Menschen positiv ins Gedächtnis bringen. Vielleicht erinnern sie sich dann in Situationen wieder an die Kirche zurück, in denen es ihnen nicht so gut geht und sie Hilfe brauchen".
Gerade auf evangelischer Seite gibt es aber auch Preacher-Slams, die sich nicht primär als neues Format der Jugendpastoral sehen, sondern sich mehr am Wortsinn des "Prediger-Wettbewerbs" orientieren. Sie richten sich also an diejenigen, die tatsächlich professionell in Kirchen predigen oder sich darauf vorbereiten. So hatte zum Beispiel Thomas Erne, Professor für evangelische Theologie an der Universität Marburg, schon seit 2010 in seine Predigtseminare Elemente des Poetry Slams eingebaut. Und auch das Zentrum für evangelische Predigtkultur in Wittenberg veranstaltet seit mehreren Jahren regelmäßig "Predigt-Slams", um "die Anregungen aus der Kunstform Poetry-Slam auf die Predigt zu übertragen", wie es auf der Homepage des Instituts heißt. An dieser Veranstaltung nehmen auch evangelische Pfarrer teil, die schon lange im Beruf stehen und nach einer neuen Inspiration suchen.
Humoristische Beiträge, Dichtung, Raps, literarische Comedy
Am Slam in Osnabrück beteiligt sich dagegen "nur" ein Pfarrer: Der Katholik Norbert Fink, der 2016 vor laufenden Kameras die TV-Darstellerin Daniela Katzenberger und ihren Freund Lucas Cordalis traute und gerne Elvis Presley imitiert. Dass er keine Scheu vor außergewöhnlichen Formaten hat, überrascht also nicht – aber wie ist das sonst bei Geistlichen? "Katholische Priester scheinen generell etwas zurückhaltend zu sein gegenüber diesem Format", meint Kühn. Und auch Jantzen hat beobachtet, dass Priester bei den Slams eher selten teilnehmen. Schließlich ist der Sprung zu der offeneren Form nicht zu unterschätzen: Akzeptiert werden in der Regel nicht nur Texte, die einer klassischen Predigt ähneln, sondern auch humoristische Beiträge, Dichtung, Raps oder literarische Comedy. Aber vielleicht könnte genau das ja für den einen oder anderen doch einmal eine willkommene Abwechslung sein.