Digitale Friedhöfe finden immer mehr Nutzer

Trauern per Mausklick

Veröffentlicht am 15.11.2013 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Trauer

Bonn ‐ Auf den Friedhöfen steigt die Zahl der anonymen Bestattungen, weil es keine Angehörigen gibt, die das Grab pflegen wollen oder können. Seit Beginn der 1990er Jahre wächst dagegen die Zahl der virtuellen Friedhöfe. Vor allem Menschen, die mit dem Computer aufgewachsen sind, nutzen die moderne Technik, um ihren Gefühlen in Online-Trauer-Portalen Ausdruck zu verleihen.

  • Teilen:

Auf digitalen Friedhöfen können die Nutzer einen Nachruf verfassen, eine Todesanzeige aufgeben, eine individuell gestaltete Gedenkseite oder eine virtuelle Grabstätte für einen lieben Verstorbenen einrichten und ihm damit ein ewiges Denkmal im Netz setzen. Kondolenzbücher stehen bereit, um möglicherweise die anteilnehmenden Worte anderer zu dokumentieren.

Player wird geladen ...
Video: © ARD

"Wort zum Sonntag" vom Essener Pastor Gereon Alter.

Sogar die Trauerkerze, die traditionell auf Gräbern entzündet wird, hat ihren Weg in die Welt des Internet gefunden. Zu jeder Tages- und Nachtzeit lässt sich per Mausklick ein Gedenkbaum pflanzen, eine virtuelle Kerze entzünden, die niemals niederbrennt oder in Regen und Wind verlöscht. Mit einem Brief oder einem Gedicht an den Verstorbenen können die Hinterbliebenen die eigenen Gefühle ohne jegliche Druckkosten schnell und unmittelbar vor einer weltweiten Community ausbreiten.

Das Internet vergisst nichts

Mit Tonaufnahmen, Videos, Fotos oder Texten lässt sich das Leben des Verstorbenen multimedial festhalten. So können sich die Nutzer des virtuellen Friedhofs der Illusion hingeben, die Erinnerung vor dem Verblassen bewahren zu können. Anders als eine reale Grabstätte ist eine Gedenkseite zeitlich unbegrenzt zugänglich - es sei denn, diejenigen, die sie eingerichtet haben, verlangen beim Betreiber die Löschung. Aber auch dann ist die virtuelle Trauerseite nicht wirklich gelöscht. Denn das Internet vergisst nichts.

Andrea Imbsweiler, Referentin für Internetseelsorge bei der Katholischen Arbeitsstelle für missionarische Pastoral in Erfurt (KAMP), sieht die Gefahr, dass Aussagen ohne Verfallsdatum den Trauerprozess eher behindern als fördern könnten. Zur gelingenden Trauer gehöre auf lange Sicht, den anderen loszulassen und ihn realistisch mit seinen starken und schwachen Seiten zu würdigen und zu respektieren. Ob die Trauer im Internet, die momentane Gefühle "verewigt", dazu wirklich beiträgt, erscheint ihr eher fraglich.

Kommerzielle Hintergedanken

Die meisten Gedenkportale versichern, dass sie kostenlos und ohne geschäftliches Interesse betrieben würden. Doch nicht selten führt ein Link zu einem Onlineshop, in dem passende Bücher, Videos oder Musik feilgeboten werden. Oder es gibt einen Link zur Ausbildung als Trauerbegleiter oder Steinmetz, zu Anbietern von Bestattungen und anderen speziellen kommerziellen Angeboten für Trauernde. Sogar den Hinweis auf eine Hellseherin, die ihre Dienste nicht zum Nulltarif anbietet, hat es schon gegeben.

Das Bistum Essen bietet unter www.trauerraum.de einen virtuellen Trauerraum, der frei von kommerziellen Angeboten ist. Hier können Trauernde eine Kerze anzünden, einen Brief schreiben oder einen Gedenkstein setzen. Das Besondere dabei: Es gibt zeitlich begrenzte Möglichkeiten, der Trauer Ausdruck zu geben. Zettel für die Trauermauer, die hier geschrieben werden, sind passwortgeschützt und werden nach 14 Tagen "vom Wind fortgetragen". Auch eine persönliche Schatzkiste, in die Trauernde Dinge legen können, die sie an ihren Verstorbenen erinnern, kann vor den Einblicken anderer geschützt werden und bleibt nur ein Jahr lang bestehen. So wird vermieden, dass Aussagen, die vielleicht in der emotionalen Ausnahmesituation der ersten Trauer ins Netz gestellt worden sind, für immer nachzulesen sind und die Gefühle aus der Anfangszeit der Trauer immer neu wachrufen.

Per LCD-Bildschirm im Grabstein können Angehörige und Freunde sich eine Bilderschau oder sonstige digitale Dateien des Toten ansehen.
Bild: ©dpa/Rolf Vennenbernd

Michael Königsfeld blickt am Mittwoch (21.10.2008) auf dem Friedhof Ensen-Westhoven in Köln auf das Grab seiner Tante, welches mit dem ersten digitalen Grabmal Deutschlands ausgestattet ist.

Wie lässt sich Missbrauch verhindern?

Auch wenn virtuelle Trauerräume oder Friedhöfe helfen können, die eigenen Gefühle zu verbalisieren, sieht Andrea Imbsweiler als Theologin und Informatikern die digitale Trauerkultur nicht ohne Skepsis. So fragt sie sich, wie sich Missbrauch verhindern lässt und etwa kein Grabstein für noch Lebende gesetzt wird. Wie lässt sich vermeiden, dass familiäre Konflikte selbst auf dem digitalen Friedhof noch öffentlich ausgetragen werden? Nicht zuletzt aus diesen Gründen hält Imbsweiler virtuelle Trauerräume nicht für eine kirchliche Kernaufgabe. Wichtig ist ihr, dass Trauernde nicht alleingelassen werden und Kontakt zu Seelsorgerinnen und Seelsorgern aufnehmen können. Auch das ist im Trauerraum des Essener Bistums möglich.

Auch die Evangelische Kirche macht auf www.trauernetz.de ein Angebot für Trauernde. Hier finden die Besucher zwar keine Möglichkeit, online Gedenkstätten mit Ewigkeitscharakter anzulegen. Dafür gibt es aber hilfreiche Lyrik, Gebete und Meditationstexte, Hinweise auf Trauergruppen in der eigenen Umgebung sowie das Angebot, mit gut ausgebildeten Trauerbegleitern Kontakt aufzunehmen. Kristiane Voll ist eine der beiden Seelsorgerinnen, die als Ansprechpartnerin zur Verfügung steht. Die ausgebildete Trauerbegleiterin sieht in dem sich verstärkenden Trend zur Trauer im Internet eine "im Großen und Ganzen positive Möglichkeit", der dem Bedürfnis entspringe, in der eigenen Trauer wahrgenommen zu werden und der Anonymität zu entrinnen.

Kein Ersatz für reale Begegnung

Der "Stein der Weisen" ist die Trauer im Internet aus ihrer Sicht allerdings nicht. Ersatz für reale Begegnung und für im wörtlichen Sinn berührende Gesten könne ein virtueller Trauerort nicht sein. Für trauernde Eltern oder Geschwister oder Angehörige von Menschen, die ihrem Leben selbst ein Ende gesetzt haben, könnten spezielle Foren oder Chatrooms eine Möglichkeit sein, Gesprächspartner zu finden, die Ähnliches erlebt haben. Das, erklärt Kristiane Voll, könne durchaus tröstend sein.

Nachdrücklich warnt die Trauerbegleiterin allerdings vor der Gefahr des "Internet-Tratsches". Trauernde, die allzu frei Gefühle oder Erinnerungen preis gäben, öffnen womöglich ungewollt das Tor für Mutmaßungen und Gerüchte, hat sie des Öfteren erlebt. Auch rät sie dazu, immer den Kontakt mit realen Menschen zu suchen. Denn virtuell kann niemand einen anderen in den Arm nehmen, ein Taschentuch zum Tränentrocknen zustecken oder einfach nur zuhören.

Von Karin Vorländer (KNA)

Weitere Infos unter:

Trauerraum des Bistums Essen: www.trauerraum.de Angebot des Bistums Münster: www.gedenktexte.de Für Kinder und Jugendliche: www.klartext-trauer.de und www.trauerland.org/fuer-jugendliche/surftipps Angebot der Evangelischen Kirche: www.trauernetz.de

Mehr zum Thema Virtuelle Trauer

Neue Wege für den letzten Gang - Ein Info-Stand für Google auf einem Kongress für Bestatter? Auch die Branche für den letzten Weg des Menschen wandelt sich. Virtueller Gottesacker - Der Journalist Uwe Bork über Trauer im Zeitalter der Digitalisierung