Kardinal der Obdachlosen
Es war ein außergewöhnlicher Schritt, als der Papst bekanntgab, dass er den polnischen Kurienerzbischof Konrad Krajewski zum Kardinal machen will. Wenig später erklärte Franziskus, dass es ihm nicht so sehr um die Person geht, sondern um das Amt, das Krajewski im Vatikan innehat: päpstlicher Almosenier. Der Leiter der apostolischen Almosenverwaltung ist eine Art päpstlicher Sozialarbeiter. Er und der Präfekt der Glaubenskongregation seien "die beiden langen Arme des Papstes" und verdienten daher beide die Kardinalswürde, sagte Franziskus jüngst in einem Interview.
Zeremonienmeister seines Heimatbistums
Zunächst deutete wenig darauf hin, dass der am 25. November 1963 in Lodz geborene Krajewski eines Tages Almosenmeister wird: In den ersten Jahrzehnten seiner Priesterlaufbahn war die Liturgie sein Hauptbetätigungsfeld. Von 1998 bis 2013 arbeitete Krajewski als Zeremoniar am Amt für die liturgischen Feiern des Papstes. Bereits als 23-jähriger Seminarist hatte er im Jahr 1987 während der Polenreise von Papst Johannes Paul II. den liturgischen Teil des Lodz-Besuchs organisiert und fiel dadurch dem damaligen Zeremonienmeister Piero Marini auf. Nach seiner Weihe setzte Krajewski ab 1990 seine Studien auf diesem Gebiet in Rom an der Hochschule Sant`Anselmo fort und promovierte 1995 an der päpstlichen Universität Angelicum. Anschließend arbeitete er drei Jahre als Zeremonienmeister seines Heimatbistums bevor Marini ihn in den Vatikan holte.
Krajewski hatte als Zeremoniar im Amt für liturgische Feiern des Papstes die Gottesdienste während der Auslandsreisen von Johannes Paul II. und die vielfältigen Veranstaltungen rund um das Heilige Jahr 2000 vorzubereiten. Dieser Papst war nicht nur sein Arbeitgeber, sondern wurde auch sein persönliches Vorbild als Priester. Krajewski war auch zugegen als der polnische Papst am Abend des 2. April 2005 starb und dessen Sekretär Stanislaw Dziwisz das "Te Deum" anstimmte. Krajewski begann, wöchentlich Messen am Grab des verstorbenen Papstes zu feiern und sich in seiner Freizeit um die Ärmsten in der "Ewigen Stadt" zu kümmern. Abends suchte er die Menschen auf, die rund um den Petersplatz schliefen. Ein Freund sagt, dass er Krajewski als "wandelnde Bescheidenheit" beschreiben würde: "Er wollte nie etwas Exklusives."
Auch unter Benedikt XVI. und unter Franziskus behielt der Pole seine Aufgaben als Zeremoniar. Doch schon bald erfuhr der Papst aus Argentinien, der als Kardinal oft selbst abends auf die Straße ging, um die Armen zu besuchen, dass sein Mitarbeiter in Rom dasselbe tat. Im August 2013 gab Franziskus bekannt, dass Krajewski sein Almosenier werden soll, am 17. September wurde dieser zum Bischof geweiht. Dem Aufruf des Papstes, in diesem Amt nicht an seinem Schreibtisch zu kleben und auf die Armen zu warten, sondern zu ihnen hinauszugehen, folgte Krajewski nur allzu gerne.
Essen, Duschen, ein Friseur
In den kommenden Jahren machte der Kurienerzbischof Schlagzeilen mit seinen Taten im Auftrag des Papstes: Er verteilt zweimal in der Woche Essen am römischen Hauptbahnhof Termini und sorgte dafür, dass am Petersplatz Duschen für Obdachlose gebaut werden und ihnen dort ein Friseur zur Verfügung steht. Er besuchte eine obdachlose Frau, die in der Nähe der Kolonnaden ein Kind zur Welt brachte, und stellte im ungewöhnlich kalten Winter 2017 Autos zur Verfügung, in denen Obdachlose schlafen konnten. Während Franziskus am Kolosseum den traditionellen Kreuzweg betete, gab Krajewski mit seinen Helfern Schlafsäcke und kleine Ostergeschenke im römischen Stadtgebiet aus.
Die Arbeit geht Hand in Hand mit Franziskus, der Krajewski sagte, ein gutes Konto des Almosenverwalters sei ein leeres Konto. Geld verdient die "Elemosineria", wie sie auf Italienisch heißt, durch Pergamente mit päpstlichen Segenswünschen zu besonderen Anlässen wie etwa Hochzeiten, Taufen oder runden Geburtstagen, die von dem Almosenamt ausgestellt und vertrieben werden. Auch Aktionen, die den Wohnungslosen und armen Migranten Vergnügen bereiten sollen, stehen auf dem Programm: Im Sommer ermöglicht Krajewski Bedürftigen einen Busausflug nach Turin oder fährt nachmittags kleine Gruppen Obdachloser und Behinderter an den römischen Hausstrand Fregene, wo sie abends eine Pizza bekommen; zum Namenstag des Papstes verteilte er 3.000 Portionen Eis oder begrüßte am Eingang eines Zirkus 2.000 Menschen per Handschlag, die Franziskus zu einer Vorführung eingeladen hatte.
„Und wenn man Jesus sieht, was gibt man ihm: abgetragene Kleider, die man nicht mehr braucht? Nicht mehr frisches Essen? Nein, man soll Jesus das Beste geben, was man hat!“
Seine Motivation ist die Forderung, die Jesus an seine Jünger stellte. Im Antlitz jedes Bedürftigen müsse man Jesus sehen, so Krajawski: "Und wenn man Jesus sieht, was gibt man ihm: abgetragene Kleider, die man nicht mehr braucht? Nicht mehr frisches Essen? Nein, man soll Jesus das Beste geben, was man hat!" Auf ablenkende Diskussionen, die den Armen eine Schuld an ihrer Situation geben, lässt er sich gar nicht erst ein: "Wenn ein Kind Fieber hat, sagt man ihm auch nicht: ‚Du hast dich heute nicht gut benommen, du bekommst keine Medizin‘". Man müsse den Menschen geben, was sie brauchten und nicht, was sie verdienten. Wenn reiche Menschen dem Papst sagten, dass sie Geld spenden wollten, antworte Franziskus ihnen, sie sollten den Armen und Wohnungslosen eine Arbeitsstelle anbieten, erzählt Krajewski.
Zweitweise hatte der Pole seine Wohnung einer syrischen Flüchtlingsfamilie überlassen und schlief in seinem Büro. Als er dem Papst gegenüber erwähnte, dass er eines Tages im Gefängnis landen könnte, weil seine Arbeit mit Flüchtlingen "nicht so kompatibel mit dem Gesetz" sei, habe Franziskus geantwortet: "Ich werde dich besuchen."
Mit dieser Einstellung sei der Pole auch eine Herausforderung für die Kirche in seinem Heimatland, schreibt die Organisatorin des Weltjugendtags von Krakau, Paulina Guzik. Ein Freund in der Polnischen Bischofskonferenz, Lodzs Erzbischof Grzegorz Rys, sagte ihr: "Seine Ernennung zum Kardinal ist ein Tag der Freude für uns, aber auch eine Mahnung, dass es unsere Pflicht ist, Barmherzigkeit in Taten umzusetzen." Krajewski jedenfalls bestand nach seiner Bischofsweihe darauf, dass er weiterhin mit "Don Konrad" oder italienisiert "Don Corrado" angesprochen wird und nicht mit Exzellenz. Das offizielle Glückwunschschreiben der polnischen Bischöfe beginnt hingegen mit "Hochwürdigster ernannter Kardinal".
Wütend auf den Papst
Krajewski selbst soll nicht nur überrascht, sondern zunächst auch geradezu wütend über seine Beförderung in den Kreis der Papstberater und -wähler gewesen sein. Besänftigt hat den 54-Jährigen, dass die päpstliche Entscheidung auf diejenigen ziele, für die Krajewski sorge. Und wenige Tage nach der Bekanntgabe war er wieder bei den Bedürftigen am Termini-Bahnhof. Sie sagten zu ihm: "Das ist unsere rote Mütze. Sie ist für die Armen".