Orthodoxe Patriarchen ringen um die Kirche in der Ukraine

Die orthodoxe Welt fürchtet das nächste große Schisma

Veröffentlicht am 14.07.2018 um 13:01 Uhr – Lesedauer: 
Orthodoxie

Bonn ‐ Seit fast 1.000 Jahren sind die Kirchen in West und Ost getrennt. Nun droht erneut ein Schisma. Der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel muss über die Eigenständigkeit der ukrainischen Kirche befinden. Doch Moskau ist dagegen.

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Bartholomaios I., Ökumenischer Patriarch von Konstantinopel, ist dieser Tage nicht zu beneiden. Das Ehrenoberhaupt der Orthodoxie hat eine Entscheidung zu treffen, die im besten Fall für Ärger unter einigen Millionen von Gläubigen sorgt, im schlimmsten Fall sogar ein weltweites Schisma auslöst: Die ukrainisch-orthodoxe Kirche des Kiewer Patriarchats möchte unabhängig werden. Seit April liegt im Fener, dem Amtssitz des Patriarchen im heutigen Istanbul, ein entsprechender Antrag auf dem Tisch. Nun hat Bartholomaios I. eine Entscheidung von enormer gesellschaftlicher, möglicherweise sogar weltpolitischer Bedeutung zu fällen.

Neu ist diese Frage nicht. Sie stellt sich spätestens seit dem Jahr 1992, als der damalige Metropolit von Kiew, Filaret Denyssenko, seiner russisch-orthodoxen Kirche den Rücken kehrte und eine rivalisierende Glaubensgemeinschaft ins Leben rief. Anlass für die Gründung dieser "ukrainisch-orthodoxen Kirche des Kiewer Patriarchats" war die Bestrebung ukrainischer Kirchenführer, nach der staatlichen Unabhängigkeit auch die kirchliche zu erhalten.

Der Patriarch der ukrainisch-orthodoxen Kirche des Kiewer Patriarchats, Filaret.
Bild: ©picture alliance/dpa/Sergey Dolzhenko

Im Jahr 1992 sagte sich Filaret (Mitte) von der russisch-orthodoxen Kirche los und gründete sein eigenes Patriarchat in Kiew.

Bis heute ist das Kiewer Patriarchat in der orthodoxen Welt nicht als legitim anerkannt und gilt allgemein als schismatisch. Ähnlich wie bei der Gründung neuer Staaten, die erst durch die Anerkennung durch etablierte Nationen international handlungsfähig werden, bedürfen auch orthodoxe Landeskirchen der Anerkennung ihrer Schwesterkirchen. Dabei führt kein Weg am Patriarchen von Konstantinopel vorbei. Dieser wiederum ließ zuletzt durchblicken, dass er der Autokephalie, also der vollen Selbstständigkeit einer ukrainischen Kirche, grundsätzlich aufgeschlossen sei. Offen bleibt dabei, welche Kirche er als legitim anerkennen will.

Moskau hat die Strukturen, aber nicht die Gläubigen

Denn die kirchliche Struktur der Ukraine ist stark zersplittert. Laut jüngsten Erhebungen bekennen sich zwar 70 Prozent der Bevölkerung zur Orthodoxie, der orthodoxe Grundsatz "ein Land, eine Kirche" gilt im Land jedoch nicht. Über die umfangreichsten Strukturen im Land verfügt der ukrainische Ableger des Moskauer Patriarchats. Zur ukrainisch-orthodoxen Kirche des Kiewer Patriarchatsgehören 52 Diözesen und über 10.000 Priester, obwohl sich ihr durchschnittlich nur gut 13 Prozent der Ukrainer zugehörig fühlen. Auch unter ihnen gibt es zahlreiche Gläubige, die eine selbstständige ukrainische Nationalkirche begrüßen würden.

Diesen Wunsch hegen vor allem jene 45 Prozent der Gesamtbevölkerung, die sich zum Kiewer Patriarchat bekennen. Die schismatische Kirche ist mit 35 Diözesen und nur gut 3.600 Priestern strukturell allerdings wesentlich kleiner als das russische Pendant. Besonders in den seit Jahren umkämpften Gebieten im Osten des Landes und auf der Krim, wo ethnische Russen die Bevölkerungsmehrheit bilden, ist das Kiewer Patriarchat deutlich in der Unterzahl. Laut Angaben der Kirche selbst bekennen sich zu ihr etwa auf der Krim lediglich elf Prozent der Einwohner.

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Faktisch geht es beim Antrag des Kiewer Patriarchen auf Eigenständigkeit also um viel mehr, nämlich um die Anerkennung seiner Gemeinschaft als offizielle Kirche der Ukraine. Klar ist, dass eine solche Entscheidung zu Lasten des Moskauer Patriarchen Kyrill I. ginge. Für ihn ist die Sache klar: Filaret und seine Anhänger sind Schismatiker, können also keinesfalls als ukrainische Kirche anerkannt werden. Ein solcher Entschluss könne einen Bruch verursachen, der nur mit der Trennung von West- und Ostkirche im Jahr 1054 zu vergleichen sei, erklärte der häufig polternde Außenamtschef des Moskauer Patriarchen, Metropolit Hilarion. In einem Interview warnte er gar vor gewalttätigen Ausschreitungen, sollte die Kiewer Kirche Moskauer Klöster übernehmen wollen.

Konstantinopel gibt den Anspruch auf Kiew nicht auf

Im Ökumenischen Patriarchat teilt man die Ansicht, dass Filaret und seine Kirche sich im Schisma befinden. Bezüglich der Ansprüche Moskaus hat Bartholomaios I. jedoch eine ganz andere Meinung. Anfang Juli erklärte er in einer Rede in Istanbul, Konstantinopel habe den Anspruch der kirchlichen Hegemonie über die Ukraine nie aufgegeben. Man habe Moskau im 17. Jahrhundert lediglich temporär zugestanden, die Metropoliten von Kiew zu weihen und dessen Sitz gegebenenfalls zu verlegen. Außenamtschef Hilarion hatte hingegen noch wenige Tage zuvor berichtet, man habe aus den Archiven hunderte Seiten an Dokumenten zu Tage gefördert, die den Anspruch Moskaus klar belegen würden.

Dem Patriarchen von Konstantinopel wird die Entscheidung über den Antrag aus Kiew dadurch zusätzlich erschwert. Einerseits will und kann er sich nicht von Moskau unter Druck setzen lassen, etwa durch martialische Warnungen Hilarions. Die russische Kirche hat als größte der orthodoxen Weltgemeinschaft ohnehin einen überdurchschnittlich hohen Einfluss. Durch sein Fernbleiben hatte der Moskauer Patriarch Kyrill I. etwa maßgeblich dazu beigetragen, dass das panorthodoxe Konzil im Jahr 2016 weit hinter allen Erwartungen zurückblieb. All das rührt am Selbstverständnis des Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel.

Patriarch Bartholomaios I.
Bild: ©dpa/Aswestopoulos/CITYPRESS24

Der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel, Bartholomaios I., hat eine schwere Entscheidung zu fällen. Er kann sich nicht gegen Moskau stellen, aber muss seine Vorrangstellung behaupten.

Allerdings wäre Bartholomaios I. auch mit einer Entscheidung gegen Moskau nicht unbedingt gedient. Beobachter gehen davon, dass die Warnungen Hilarions berechtigt sind und eine Anerkennung des schismatischen Patriarchats von Kiew für eine weltweite Spaltung der Orthodoxie sorgen würde. Neben Moskau könnten dann auch andere Landeskirchen die Kommuniongemeinschaft mit Konstantinopel aufkündigen.

Neben den komplexen kirchlichen Verflechtungen wirkt sich die ukrainische Frage auch auf die politische Ebene aus. Patriarch Filaret machte etwa von sich hören, als er erklärte, Wladimir Putin sei vom Teufel besessen. Die Gläubigen des Moskauer Patriarchats hält Filart ohnehin nur für den verlängerten Arm des autoritär herrschenden russischen Präsidenten. Als prominenten Unterstützer kann der Patriarch dabei auf den ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko bauen.

Der Präsident beantragt persönlich die Autokephalie

Poroschenko hatte sich in der Vergangenheit wiederholt als großer Antreiber der Kiewer Autokephalie gezeigt. Im April wandte er sich persönlich mit einer entsprechenden Petition an Bartholomaios I. und brachte sogar – trotz der offiziellen Trennung von Staat und Kirche in der Ukraine – ein Votum des Parlamentes mit. Für Poroschenko ist die Frage der kirchlichen Selbstständigkeit eine der nationalen Souveränität. Wer den politischen und militärischen Einfluss Moskaus ablehne, müsse dies auch im kirchlichen Bereich tun.

Putin wiederum hat sich aus der kirchlichen Auseinandersetzung in der Ukraine bislang weitgehend herausgehalten. Er pflegt enge Kontakte zum Moskauer Patriarchen Kyrill I., was jedoch auf beiden Seiten vor allem dem Pragmatismus geschuldet sein dürfte, das Wohlwollen der jeweils anderen Seite zu pflegen. Eindeutig ist Putins Einstellung gegenüber der Ukraine, mit der er immerhin – ob offiziell oder nicht – seit Jahren Krieg führt. Diesen "Bruderkrieg" lehnt zwar auch Kyrill I. grundsätzlich ab, aus pragmatischen Gründen beschränkt er seine Kritik jedoch auf ein zurückhaltendes Minimum.

Russlands Präsident Wladimir Putin
Bild: ©dpa/Druzhinin Alexei

Für Russlands Präsident Wladimir Putin ist die Nähe zum Moskauer Patriarchat vor allem zweckdienlich. Sein Verhältnis zum Führer der orthodoxen Welt, Patriarch Bartholomaios I., gilt als unterkühlt.

Auf der anderen Seite stellte sich auch Putins Verhältnis zum Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel bislang schwierig dar. Eine bemerkenswerte Kontaktaufnahme der beiden gab es im April bei einem Staatsbesuch Putins in der Türkei. Anders als es das diplomatische Protokoll vorsieht, besuchte der Präsident dabei allerdings nicht den Patriarchen. Stattdessen soll er spätabends in dessen Amtssitz angerufen haben, um ihn zu einem Treffen bei Putins Delegation zu bitten; einer Aufforderung, der das Ehrenoberhaupt einer Weltkirche freilich nicht nachkam. Es blieb beim nächtlichen Telefonat.

Solcher Probleme ungeachtet werden die Gespräche über die Kiewer Selbstständigkeit derzeit hauptsächlich zwischen Konstantinopel und Moskau geführt. Auch weil offizielle Gespräche mit Kiew am nichtkanonischen Status des Patriarchats scheitern.

Katholische Ukrainer hegen Vorbehalte gegen Moskau

Unterdessen beschäftigen die orthodoxen Einigungsgespräche auch den Vatikan. Anfang Juli erstattete Großerzbischof Swjatoslaw Schewtschuk, Oberhaupt der ukrainischen griechisch-katholischen Kirche, bei Papst Franziskus Bericht. Die mit Rom unierte Kirche positioniert sich in der Debatte zwar grundsätzlich nicht, unter den gut zweieinhalb Millionen Gläubigen gibt es jedoch starke Vorbehalte gegenüber Moskau. Bis zum Fall des Eisernen Vorhangs hatten die Katholiken in der Ukraine sehr unter den russischen Oberherren gelitten. Zudem steht die unierte Kirche, ähnlich wie das Kiewer Patriarchat, für ein starkes nationale Selbstbewusstsein der Ukrainer.

Neben allen ekklesiologischen Fragen ist derzeit mindestens genauso spannend, wann die Entscheidung in Konstantinopel fallen wird. Patriarch und Präsident in Kiew hoffen nach wie vor, schon in diesen Wochen ihre kirchliche Unabhängigkeit feiern zu können: Ende Juli begeht die Ukraine das 1030. Jubiläum der "Taufe der Rus", also der Annahme des Christentums als Staatsreligion durch Wladimir den Großen. Im Land macht das Gerücht die Runde, die Unabhängigkeitserklärung liege schon bei Bartholomaios I. in der Schublade und werde just zu diesem Datum präsentiert. Angesichts der jüngeren ukrainischen Kirchengeschichte wäre eine so schnelle Entscheidung allerdings eine große Überraschung.

Von Kilian Martin

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