Eine ungewöhnliche Rettungsaktion im kommunistischen Bukarest

Als die Gläubigen ihre Kirchen versteckten

Veröffentlicht am 22.07.2018 um 12:01 Uhr – Lesedauer: 
Kirche

Bukarest ‐ Wer verhindern will, dass jemand anderes etwas sieht, versteckt es. In Rumänien wurde vor 40 Jahren genau das gemacht: mit Kirchen. Doch wer genau hinsieht, entdeckt die Gotteshäuser dann doch.

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Wer durch die Straßen Bukarests schlendert, wird sich vielleicht wundern, wenn er zwischen maroden Betonhäusern hier und da eine prächtige Kirche vorfindet. Eingeengt und versteckt – ein Baufehler? Nein, hier handelt es sich nicht etwa um eine Fehlkonstruktion von Städteplanern. Die Gotteshäuser sind viel mehr Zeitzeugen einer wohl einzigartigen Rettungsaktion. 

Rumänien zu Beginn der 80er Jahre: Der Diktator Nicolae Ceausescu will sein Land, und damit auch die Hauptstadt Bukarest, "systematisieren". Ceausescu war nach einem Besuch in Nordkorea von der radikalen Umgestaltung des Landes durch Kim Il-sung beeindruckt. Das heißt für das Stadtbild: Abrisse der historisch gewachsenen Altstadt Bukarests und Bau imposanter Repräsentationsarchitektur nach nordkoreanischem Vorbild. Dem fielen auch 29 religiöse Bauten, darunter Kirchen, Klöster und Synagogen zum Opfer. Für sie war im kommunistischen Bukarest kein Platz mehr vorgesehen.

Rumänien war und ist ein christliches Land

Viele in der Bevölkerung traf dieser Schritt besonders hart, denn Rumänien war und ist ein christliches Land. Die größte Kirche im Land ist die rumänisch-orthodoxe Kirche, die ihren Ursprung in der missionarischen Tätigkeit des Heiligen Apostels Andreas hat. Heute gehören ihr etwa 17 Millionen Rumänen, also 87 Prozent der Bevölkerung, an. 

Verkündigungskirche in Bukarest
Bild: ©Archiv/Iordăchescu

Die Versetzung der Verku¨ndigungskirche der "Nonnen-Einsiedelei" in Bukarest fand 1982 statt. Ausgedacht hatte sich das der Ingeneur Eugeniu Iordachescu.

Die tiefe Gläubigkeit der Menschen war auch der Grund, weshalb nicht alle Kirchen das Schicksal des Abrisses ereilte. Priester, Intellektuelle und einfache Gemeindemitglieder protestierten gegen die Vernichtungskampagne Ceausescu und schalteten die UNESCO ein. Durch wachsenden, internationalen Druck gab der Diktator schließlich nach und erlaubte den Gläubigen, sieben Kirchen zu retten. Der Bauingenieur Eugen Iordachescu kam schließlich auf die Idee, die Heiligtümer auf Schienen zu heben und nach hinten zu rücken. Eine Kompromisslösung, denn so musste der kommunistische Führer bei seinen Fahrten durch die Stadt die Gotteshäuser nicht mehr sehen. "Meine Kollegen hatten mich für die Idee für verrückt erklärt", sagte Iordachescu in einem MDR-Interview über sein damaliges Vorhaben.

Doch er ließ sich von Skeptikern nicht abschrecken. Ein aufwändiges Verfahren begann, wie das Fotoband "Mobile Churches" dokumentiert. Die Kirchen sind zunächst horizontal abgeschnitten worden. Anschließend wurde Flüssigbeton in eine Stahlkonstruktion im Untergrund gepumpt, sodass eine tragfähige Platte anstelle des eigentlichen Bodens entstand. Auf dieser neuen Platte konnten die tonnenschweren Kirchen wie auf einem Tablett angehoben, gedreht und dann auf Schienen versetzt werden. Etwa ein halbes Jahr dauerte es von der Vorbereitung bis zur Umsetzung.

Der Umzug selbst ging ebenfalls sehr langsam voran. Mit einer Geschwindigkeit von zwei bis drei Metern pro Stunde wurden die Kirchen mit Seilwinden zum neuen Standort gezogen, der zwischen sieben und 300 Metern von ihrem ursprünglichen Platz entfernt war. 1982 war die Verkündungskirche der Nonnen-Einsiedelei, die heute hinter dem Sitz des Geheimdienstes steht, die erste, die umzog.

Weitere Informationen

Derzeit widmet sich die Fotoausstellung "Mobile Churches" dem Phänomen der rumänischen Stadtgeschichte. Sie verbindet aktuelle Fotografien des Fotografen Anton Roland Laubs mit Archivmaterial und erzählt "eine wenig bekannte, doch faszinierende politische Stadtgeschichte". Die Bilder sind in der Berliner Kapelle der Versöhnung ausgestellt und können bis zum 19. August besucht werden. Öffnungszeiten sind Dienstag bis Sonntag 10 bis 17 Uhr. Der Eintritt ist kostenlos. Außerdem sind die Fotografien von Anton Roland Laub 2017 im Fotobuch "Mobile Churches" erschienen.

Die Kirchen wurden an Orten abgestellt, wo sie weniger auffielen: zwischen maroden Wohnsiedlungen, in Hinterhöfen und im Schatten von Hochhäusern. Einerseits gerettet, andererseits doch teilweise aus dem kulturellen Leben verbannt. Die Michaeliskirche beispielsweise stand ursprünglich auf einem Hügel, wo sie die benachbarten Häuser überragte. Sie gehörte zu einer Klosteranlage, von der jetzt ebenfalls nichts mehr zu sehen ist. An ihren neuen Bestimmungsorten führten sie seitdem ein Leben in Unauffälligkeit. Und das tun sie auch heute noch.

Der Kommunismus hat den Glauben nicht beseitigen können

1989 kam es schließlich zur Rumänischen Revolution, die mit der Hinrichtung des Diktators Ceausescus endete. In den Jahren danach erholten sich die Rumänen vom Kommunismus. Der christliche Glaube erhielt von da an einen enormen Aufschwung, der auch von vielen Kirchenneubauten geprägt war. "Die seelische Gebundenheit an den christlich-orthodoxen Glauben ist prägend für die Rumänen damals gewesen und ist es auch heute noch weitestgehend. Das hat der Kommunismus in Rumänien eigentlich nie beseitigen können, obwohl man das versucht hat", erklärt Claudiu Florian, Direktor des Rumänischen Kulturinstituts in Berlin in einem Interview mit Deutschlandfunk Kultur.

Auch aktuell wird in Bukarest an einer neuen orthodoxen Kirche gebaut. Es ist keine gewöhnliche: Mit geplanten 130 Metern Höhe wird sie künftig die größte orthodoxe Kirche der Welt sein. Trotz des verwurzelten Glaubens stößt der Bau auf viel Kritik, da Rumänien als armes Land gilt und die Baukosten auf zweihundert Millionen Euro geschätzt werden. Ziel sei es jedoch den pompösen, ehemaligen Präsidentenpalast von Ceausescu, der in unmittelbarer Nachbarschaft der neuen Kirche steht, deutlich zu überragen. Ein Symbol dafür, dass der Glaube nicht einfach aufs Abstellgleis geschoben werden konnte. 

Von Eva Bernarding