Islamwissenschaftler sieht bei Özil "Größenwahn"
Der Direktor des Erlanger Zentrums für Islam und Recht in Europa (EZIRE), Mathias Rohe, hat den Fall des Fußballers Mesut Özil als "Desaster" bezeichnet. Im Interview der "Nürnberger Nachrichten" (Dienstag) kritisierte er das Verhalten des ehemaligen Nationalspielers. Wenn Özil sage, mit dem Erdogan-Foto respektiere er die Tradition seiner Familie, dann unterstelle er Menschen mit türkischer Abstammung, die ein solches Bild nicht gemacht hätten, dass sie ihre Wurzeln nicht respektierten. "Das finde ich reichlich daneben."
Der Rücktritt Özils aus der deutschen Nationalmannschaft hatte eine Debatte über Rassismus und Integration ausgelöst. Als Begründung nannte der Fußballer in einer am Sonntag veröffentlichten Erklärung Anfeindungen, nachdem er im Frühjahr mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan fotografiert worden war.
"Durch seine Rundumschläge unmöglich gemacht"
Özil habe sich durch seine Rundumschläge unmöglich gemacht, so Rohe weiter. "Aber man muss auch ehrlich sagen: Das Krisenmanagement des DFB ist unter aller Kanone." Hier seien jetzt auch Rücktritte fällig. Und: Der Fall habe Auswirkungen. "Ich weiß zum Beispiel von jungen Türken, die überhaupt keine Erdogan-Fans sind, sich aber durch die überscharfen Angriffe auf Özil persönlich angegriffen fühlen", sagte der Jurist und Islamwissenschaftler.
Rohe warnte aber davor, den Fall bei der Frage nach dem Gelingen von Integration zu hoch zu hängen. "Da ist ein junger Mann, der vielleicht auch ein bisschen dem Größenwahn anheimgefallen ist, wenn er sich jetzt mit der englischen Premierministerin und der Queen vergleicht, die ja auch mit Politikern wie Erdogan sprechen würden."
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Das Problem sei, dass in der derzeitigen Situation durch solche Ereignisse gleich eine Grundlagendiskussion ausgelöst werde "nach dem Motto: Sind die Türken überhaupt integriert". Spannender sei die Frage, wieso Menschen, die lange in Deutschland lebten, einen Mann wie Erdogan wählten. "Die allermeisten unterstützen nicht etwa seine konkrete Politik, für viele ist er einer, der die Ehre der Türken rettet", so Rohe.
Unterdessen teilt laut einer aktuellen RTL-Umfrage nur rund 19 Prozent der Befragten die Rassismusvorwürfe von Özil gegenüber den Medien, 70 Prozent halten sie für nicht berechtigt. Ebenfalls nur 21 Prozent der Befragten werten dessen Rücktritt aus der Fußballnationalmannschaft als Rückschlag für die Integrationsbemühungen Deutschlands. Im Auftrag von "RTL Aktuell" hatte das Meinungsforschungsinstitut forsa am Montag 1.002 Bundesbürger befragt.
Generalvikar: Offener Rassismus mit nationalistischem Gewand
Die Religionswissenschaftlerin Paula Schrode sagte der KNA am Montag, Muslime könnten dennoch das Gefühl bekommen: "Es wird hier immer enger für uns." Sie glaube auch, der Aufschrei wäre wohl nicht so groß gewesen, hätte sich "statt Özil mit Erdogan ein russischstämmiger Fußballnationalspieler mit dem russischen Präsidenten Putin fotografieren lassen".
Der Generalvikar des Bistums Essen, Klaus Pfeffer, schreibt auf seiner Facebook-Seite, abgesehen von einem "schwer erträglichen" Foto-Shooting mit Erdogan und fehlender "Selbstkritik" Özils halte er es für besonders schlimm, "wie schnell gegenwärtig in unserem Land ein offener Rassismus mit nationalistischem Gewand um sich greifen kann". (bod/KNA)