Unser tägliches Brot gib uns heute
Das Erntedankfest ist sowohl in unseren katholischen wie auch evangelischen und orthodoxen Kirchengemeinden ein sehr beliebtes Fest und wird gern gefeiert. Die Altäre und oft die ganze Kirche werden mit den Gaben der Natur, wie Getreideähren und Brot, mit Weintrauben und Wein, Äpfeln und anderen Obstsorten wundervoll geschmückt. Es werden besondere Kinder- und Jugendgottesdienste gefeiert, um die Kinder und Jugendlichen, wie auch die Erwachsenen, dankbar zu machen für die Gaben der Natur, die wir hier in ausreichendem Maß, ja sogar in Überfülle, haben und genießen können. Uns fehlt es an nichts, was der Leib verlangt und die Zunge befriedigt.
Wir müssen dankbar sein für die gute Ernte und für die Lebensbedingungen, die wir bei uns haben. Eine Selbstverständlichkeit ohne Verfallsdatum ist das allerdings nicht! Sagen wir Gott Dank, an dessen Segen alles gelegen ist, und auch allen in der Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion Tätigen!
Wir dürfen die Hungernden nicht vergessen
Das Erntedankfest muss uns aber auch daran erinnern, dass weltweit rund 850 Millionen Menschen an chronischem Nahrungsmittelmangel leiden und Tag für Tag 25.000 an Hunger sterben. Auch bei uns, vielleicht sogar in der eigenen Nachbarschaft, leben Menschen in Not und wissen nicht, wie sie heute ihr Essen bezahlen sollen. Sie sind angewiesen auf unsere Hilfe, auf "Suppenküchen" und "Tafeln" sowie andere karitative Einrichtungen. Wenn wir danken, dürfen wir die Hungernden nicht vergessen.
Das Erntedankfest erinnert uns an die Bitte des Vaterunser "Unser tägliches Brot gib uns heute". Wir sollen sie für alle Menschen sprechen und uns dabei an die Verantwortung erinnern, unseren Beitrag zu leisten, dass alle Menschen das tägliche Brot haben. Jesus lehrt uns ausdrücklich, nicht für "mein", sondern für "unser" tägliches Brot zu beten. Wenn wir diese Bitte aussprechen, muss uns immer bewusst werden, dass wir verpflichtet sind, alles zu tun, damit alle Menschen das tägliche Brot haben. Diese Pflicht muss sich verwirklichen im Bemühen um Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung, in der Förderung von Wissenschaft und Technik für die Nahrungsmittelproduktion und im Verzicht auf alle Luxusgüter, die auf Böden in Afrika, Asien und Lateinamerika produziert werden, die für Korn, Mais, Reis und Hirse dort nötig sind.
"Das Brot der Hungernden"
Dazu gehört auch, dass wir keine Lebensmittel gedankenlos verderben lassen und wegwerfen. Schon der heilige Basilius mahnt im 5. Jahrhundert: "Das Brot, das ihr verderben lasst, ist das Brot der Hungernden." Und Papst Franziskus hat in der Generalaudienz am 5. Juni 2013 den Zuhörern gesagt: "Ihr sollt stets daran denken, dass Nahrung, die weggeworfen wird, gleichsam vom Tisch des Armen, des Hungrigen, geraubt wird." Die Vaterunser-Bitte um das tägliche Brot verpflichtet uns, alles zu tun, dass der Klimawandel nicht weiter voranschreitet. Die zunehmende Erderwärmung lässt in den wasserarmen Gebieten Ackerböden veröden und nimmt den Meeresregionen fruchtbares Land weg. Hunger ist nicht das Problem der mangelnden Produktion oder Produktionsmöglichkeiten, sondern die Folge von Misswirtschaft und. Missständen bei der Verteilung.
Im Vaterunser bitten wir um das Brot für "heute". Nicht für "morgen", "übermorgen" oder alle Zukunft. Denn wir sollen nicht habgierig werden. "Habgier" ist eine der "Wurzelsünden", die unser Miteinander nah und fern stört. Sie ist Anlass für ungerechte Handelsbeziehungen, die auch Ursache für Hunger in einigen Entwicklungsländern sind. Das Beten um das tägliche Brot für heute macht deutlich, dass wir Gott vertrauen dürfen. Er ist der gute Vater für alle Menschen, der allen und überall das Nötige für den heutigen Tag geben wird!
Ein Fest, das man gar nicht genug feiern kann
Brot steht in unserer Sprache für alles, was wir zum Leben brauchen. Wenn das Vaterunser uns anweist, für unser tägliches Brot zu beten, dann meint es diesen umfassenden Sinn. "Brot" bedeutet mehr als die materielle Basis für unseren Leib. Viele Sprichwörter machen das deutlich, zum Beispiel "Wes Brot ich ess', des Lied ich sing" oder wenn der Chef als "Brötchengeber" bezeichnet wird. Diese Ausdrucksweisen machen deutlich, dass es beim Brot auch immer um Beziehungen geht, die die materiellen, personellen und geistigen Aspekte unseres Lebens ausmachen. Das Vaterunser bittet um gute Beziehungen zu Gott und zu allen Menschen, die Bedingung dafür sind, dass alle das tägliche Brot haben.
Die Vaterunser-Bitte, die zum Erntedankfest dazu gehört wie das Amen zur Kirche, bittet darum, dass jeder Mensch empfängt, was mit dem täglichen Brot auch im übertragenen Sinn gemeint ist: Güte, Wohlwollen, Hilfe, Solidarität, Leben. Nicht zuletzt ist sie auch ein Hinweis auf Jesus, der von sich sagt: "Ich bin das Brot des Lebens." Wer ihn empfängt, hat das Brot des Lebens und muss Brot für den Nächsten werden, das heißt: Er muss ihm helfen, das Leben zu gestalten und die Fülle des Lebens zu empfangen. Das Erntedankfest kann man gar nicht genug feiern.