Kirchenrechtler sieht große Defizite im neuen Datenschutzrecht

Schüller: Kirchlicher Datenschutz "bürokratisches Monster"

Veröffentlicht am 30.07.2018 um 15:55 Uhr – Lesedauer: 
Datenschutz

Bonn/Münster ‐ Das neue Datenschutzrecht der Kirche stößt auf viel Kritik – jetzt meldet sich auch ein Vertreter des Kirchenrechts zu Wort. Der Münsteraner Kanonist Thomas Schüller lässt kaum ein gutes Haar an dem neuen Gesetz.

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Der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller sieht im neuen Datenschutzrecht der katholischen Kirche ein "bürokratisches Monster" und beklagt ein "weitgehendes Desinteresse" der Bischöfe an dem Thema. In einem Artikel in der August-Ausgabe der Herder-Korrespondenz attestiert er dem Gesetz über den kirchlichen Datenschutz (KDG) mehrere grundlegende Probleme: einen Mangel an theologischen Grundlegungen des kirchlichen Datenschutzes, einen Überschuss an Bürokratie, Unklarheiten bezüglich des Geltungsbereichs sowie problematische Detailregelungen in Bezug auf Bußgelder und Ausnahmen für die Wissenschaft.

Schüller merkt an, dass es trotz des Schutzes des guten Rufs und der Intimsphäre, die das Kirchenrecht vorsieht, weder theologische noch universalkirchliche Überlegungen zum Datenschutz gebe. Dass das KDG keinen Bezug auf die einschlägigen Bestimmung des kirchlichen Gesetzbuchs Codex Iuris Canonici (CIC) nimmt, sieht er "möglicherweise in Unkenntnis und mangelnder Sorgfalt" der Bischöfe begründet.

Unsicherheiten bei vielen Fragen

Weiterhin beklagt der Kanonist, dass anstelle einer punktuellen Formulierung kirchlichen Datenschutzrechts, die nur selbst regelt, was in kirchlichem Interesse liegt, die europäische Datenschutzgrundverordnung (EU-DSGVO) "weithin stupide [...] abgeschrieben und kirchenrechtlich kanonisiert" worden sei. Einzelne Abweichungen vom europäischen Recht seien dabei unverständlich, so etwa ein grundsätzliches Schriftformerfordernis bei Einwilligungen in die Datenverarbeitung, das über die Regelungen der EU-DSGVO hinausgehe. Die bischöflichen Gesetzgeber hätten "mit dieser nicht notwendigen Bestimmung ein bürokratisches Monstrum geschaffen, das mit Rechtssicherheit begründet wird, im Alltag der betroffenen katholischen Einrichtungen aber Kräfte bindet, die besser für die inhaltliche Arbeit eingesetzt würden".

Unklar sei, "für welchen Adressatenkreis das KDG überhaupt gilt", vor allem im Bereich der Verbände. Viele Verbände führten zwar den Namensbestandteil "katholisch", seien allerdings im kirchenrechtlichen Sinn "freie Zusammenschlüsse von Gläubigen", die nicht den vereinigungsrechtlichen Normen des CIC unterlägen. Damit könnten sie auch dem staatlichen Datenschutzrecht unterliegen. Schüller befürchtet, dass finanzielle Unterstützungen seitens der Bistümer als Druckmittel verwendet werden, um eine Unterordnung unter kirchliches Datenschutzrecht zu erwirken: Kirchliche Realpolitik siege hier meistens gegen den durch das Kirchenrecht eingeräumten Freiraum für freie Zusammenschlüsse von Gläubigen.

Pfarreien und Diözesen von Geldbußen ausgenommen

Der Kirchenrechtler kritisiert außerdem, dass gegen öffentlich-rechtlich verfasste kirchliche Stellen wie Pfarreien und Diözesen keine Bußgelder bei Datenschutzverstößen verhängt werden können. Die Aufsichtsbehörden können Geldbußen nur gegen privatrechtlich verfasste Rechtsträger wie Verbände und caritiative Einrichtungen aussprechen. Damit werde "das gesamte gesetzeswidrige Handeln der Amtskirche in Sachen Datenschutz" von Sanktionen ausgenommen, was Schüller für unverständlich hält, "da dort die meisten Datenschutzverstöße geschehen." Auch für die Wissenschaft erzeuge das KDG Unsicherheiten, da eine Ausnahme zur Datenverarbeitung zu wissenschaftlichen Zwecken, etwa für die historische Forschung, im Unterschied zum staatlichen Datenschutzrecht wie dem der evangelischen Kirche fehle.

Im Vorfeld der Umsetzung sei es versäumt worden, "die kirchliche Öffentlichkeit in einem breiten Konsultationsprozess auf die neuen datenschutzrechtlichen Bestimmungen hinzuweisen." Schüller plädiert dafür, den kirchlichen Datenschutz aus seinem "stiefmütterlichen Nischendasein" zu befreien. Datenschutz sei ein "Lackmustest" dafür, wie die Kirche mit den ihr anvertrauten persönlichen Daten ihrer Gläubigen umgehe.

Seit dem 24. Mai gilt das Gesetz über den kirchlichen Datenschutz (KDG). Die EU-DSGVO räumt den Kirchen das Recht ein, ein eigenes Datenschutzrecht anzuwenden, sofern das Schutzniveau in den Kirchen in Einklang mit der EU-Verordnung gebracht wird. Mit der Reform des europäischen und des kirchlichen Datenschutzes einher ging eine Debatte, wie praktikabel die neuen Regeln sind. Vor allem im zivilgesellschaftlichen Bereich kam es zu großer Unsicherheit, wie die Gesetze umgesetzt werden sollen. Auch innerhalb der Kirche gibt es deutliche Kritik. Insbesondere strenge Regeln zur Veröffentlichung von Fotos von Kindern stießen auf Unverständnis. Anfang Juli haben Experten aus Seelsorge und Medienarbeit grundlegende Reformen am Gesetz und bei seiner Anwendung gefordert. Bereits im Mai hatte die Gesellschaft katholischer Publizisten Korrekturen zum Schutz der Pressefreiheit gefordert. (fxn)

Linktipp: Kirchlicher Datenschutz: Gut gemeint, schlecht umgesetzt

Die Verwirrung ist groß: Rechtsunsicherheit, mangelnde Informationen, lebensferne Auslegungen. Das neue kirchliche Datenschutz-Gesetz schadet dem eigentlichen Anliegen, kommentiert Felix Neumann. (Artikel vom 24. Mai 2018)