Weihnachten ist revolutionär
Die beiden Wörter Weihnachten und revolutionär scheinen so gar nicht zusammen zu passen. Was wir alles mit dem Weihnachtsfest verbinden, brauche ich nicht im Einzelnen aufzuzählen. Bei Revolution haben wir ganz andere Bilder vor Augen: Umsturz, Umbruch, Herrschaft, radikale Veränderungen. Das klingt so gar nicht gemütlich und weihnachtlich.
Doch gerade an Weihnachten erinnern wir uns an eine wirkliche Revolution. Denn wir feiern nichts weniger als einen Gott, der Mensch wird. Und noch mehr: Wir feiern einen Gott, der als neugeborenes Kind in die Welt kommt. Auch wenn uns das leicht über die Lippen geht, oft sogar wie eine Floskel klingt, ist es doch gar nicht so einfach zu verstehen und es ist keinesfalls belanglos.
Die Theologen haben über Jahrhunderte um die Frage gerungen, ob und wie man überhaupt zu einem Gott beten kann, der Mensch geworden ist. Die Götter waren ja immer anders als die Menschen, erhaben, entrückt und es gab keine Beziehung zwischen Göttern und Menschen auf Augenhöhe. Wie kann also ein Gott noch Gott sein, wenn er zugleich Mensch ist? Und umgekehrt: Wie kann ein Mensch noch Mensch sein, wenn er zugleich Gott ist?
Im Großen Glaubensbekenntnis, das besonders in feierlichen Gottesdiensten - so auch häufig am Weihnachtsfest - gebetet wird, beten wir bis heute: "Für uns Menschen und zu unserem Heil ist er vom Himmel gekommen, hat Fleisch angenommen durch den Heiligen Geist von der Jungfrau Maria und ist Mensch geworden."
Weihnachten feiern wir deshalb aus guten Gründen als beglückendes und fröhliches und hell erstrahlendes Fest, weil wir mitten in der Dunkelheit des Winters auf den hinweisen wollen, der Licht in unser Leben bringt. Und zwar nicht, weil er eine entrückte, blendende Göttergestalt wäre, sondern weil er selbst Mensch ist. Gott erhellt das Menschsein gleichsam von unten und innen her. Die Menschwerdung Gottes ist ein Umsturz und eine radikale Veränderung. Schon mit der Schöpfung des Menschen hat sich alles geändert; damit beginnt die Revolution. Der unveränderliche Gott hat Veränderung bewirkt, indem er den Menschen als sein Ebenbild geschaffen hat. Wir sind Gott nicht gleich, weil wir zwei Augen, zwei Ohren und einen Mund haben. Sondern wir sind Gott gleich in der Freiheit.
Gott gehört niemandem
Darin liegt die Revolution der Bibel: Der Mensch ist als Person geschaffen, die für sich selbst steht und zugleich in Beziehung zum Anderen lebt, und in verantwortlicher Freiheit das eigene Leben führt. Darin gründet die gleiche Würde aller Menschen, die niemandem zuerkannt und niemandem abgesprochen werden kann. Alle Menschen sind gleich! Diese ganz einfache Botschaft kann man nicht oft genug wiederholen. Das ist nicht nur eine religiöse Aussage, sondern auch der Kerngehalt der Menschenrechte geworden.
Und eine weitere einfache Botschaft gehört dazu, die ebenso wichtig ist: Gott gehört niemandem. Gott ist kein exklusiver Besitz einer Religion, sondern Gott ist für alle Menschen da. Er ist eben kein Gott, mit dem sich Mächte und Reiche begründen lassen und auf den man sich berufen könnte, um sich selbst über andere zu erheben. Nein, im Gegenteil! Dieser Gott, der das Heil aller Menschen will, ist Hoffnung gerade für alle Unterdrückten und Leidenden, für alle an den Grenzen des Lebens, für alle, die verletzbar sind.
Das zeigt uns auch das Weihnachtsfest: Gott, der den Menschen als sein Ebenbild erschaffen hat, wird selbst Mensch. Er nimmt Freude und Not des Menschseins auf sich, von der Geburt bis zum Tod. Als Neugeborenes gibt sich Gott nackt und schutzlos in die Hände der Menschen. Gott lässt nichts aus, aber er lässt alles zu. Er wird in Jesus von Nazareth der Bruder aller Menschen.
Unsere Hoffnung, dass Gott nichts Menschliches fremd sein möge und er deshalb in allen Momenten des Lebens an unserer Seite sei, gründet in dieser radikalen Liebe Gottes zum Menschen, ja zu seiner ganzen Schöpfung. Wenn Gott in einem so verletzlichen und schutzbedürftigen Neugeborenen zur Welt kommt, wie könnten wir ihn dann nicht lieben. Und vor allem: Wie könnte er dann die Menschen nicht lieben?
Denken wir die Gottebenbildlichkeit und die Menschwerdung zusammen, dann erschließt sich ganz klar, dass wir nicht nur für uns selbst hoffen, sondern dass wir für die ganze Menschheit hoffen. Der christliche Glaube ist grundsätzlich universalistisch, er sieht alle Menschen als Bild Gottes und Brüder und Schwestern Jesu. Und dieser Universalismus ist der revolutionäre Kern der biblischen Botschaft. Weihnachten ist also wirklich revolutionär!