"Namenlos, aber nicht bedeutungslos"
Frage: Abt Johannes, Ihr Buch heißt "Steht auf!" und parallel wirbt Linken-Ikone Sahra Wagenknecht für ihre Bewegung "Aufstehen". Zufall?
Eckert: Das ist reiner Zufall. Der Titel hat sich aus dem Markus-Evangelium ergeben. Dort heilt Jesus ein junges Mädchen mit den Worten: Ich sage dir, steh auf. Das hat natürlich mit dem Glauben an die Auferstehung zu tun.
Frage: Sie wollten ein wenig provozieren. Steht es um die katholische Kirche schon so schlecht, dass ein Abt für die Frauen Partei ergreifen muss?
Eckert: Die Entstehungsgeschichte ist eine andere. Vor drei Jahren habe ich mich mit den "Heute"-Worten bei Lukas beschäftigt, vor zwei Jahren mit den "Gipfeln" bei Matthäus. Nun suchte ich ein Thema bei Markus und bin auf diese sechs namenlosen Frauen gestoßen. Anfangs bin ich exegetisch an den Text heran, dann aber begann ich, fiktive Briefe an diese Frauen zu schreiben und so wurden sie für mich lebendig.
Frage: Haben Sie Antworten erhalten?
Eckert: Ja, ich habe mir auch zurückgeantwortet. Zudem führte ich Gespräche mit vielen Frauen in meinem Bekanntenkreis über diese biblischen Frauen. Mir hat das sehr geholfen. Diese unbekannten Frauen sind für mich so zu Kirchenlehrerinnen geworden.
Frage: Das Thema "Frauen" im Markus-Evangelium bot sich also an?
Eckert: So ist es. Markus erwähnt namentlich auch drei Frauen, die aus der Ferne die Kreuzigung und die Grablegung Jesu beobachten und am Ende zu Boten der Auferstehung werden. Doch zunächst verharren sie in Schockstarre am Grab. So schloss eigentlich das Evangelium. Die Frauen erzählen niemandem, was sie erlebt haben. Man nimmt an, dass Markus bewusst seine Leser provozieren wollte: "Und Du?" Es geht darum, neu das Evangelium zu lesen und es auf sein eigenes Leben hin zu aktualisieren.
Frage: Welche von den Frauen hat Sie besonders beeindruckt?
Eckert: Oh, das ist schwer. Zu allen habe ich eine intensive Beziehung bekommen, weil ich spürte, sie spiegeln konkrete Personen in meinem Leben wider. Fasziniert hat mich die Syrophönizierin, die ruhig bleibt, auch wenn ihr Jesus einen harten Vorwurf macht. Er gibt ihr zu verstehen, dass das Brot nicht für die Hunde da ist, sondern für die Kinder. Gemeint ist, dass Heilung zuerst den Juden und dann anderen zusteht. Sie lässt sich auf die Argumentation ein und widerspricht: Während die Kinder am Tisch sitzen, fällt für die Hunde auch was ab.
Frage: Und wie reagiert Jesus?
Eckert: Jesus lässt sich belehren und sagt: Auf Dein Wort hin wird dein Kind gesund. Markus zeigt, dass in der Auseinandersetzung etwas gesunden kann. Diese Frau ist der einzige Mensch im Markus-Evangelium, von dem sich Jesus korrigieren lässt. Ansonsten sucht er den Konflikt mit den Schriftgelehrten und lässt sich von niemandem belehren, sondern bleibt bei seinen Positionen.
Frage: Wie kann sich die Kirche aus den Wurzeln des Evangeliums erneuern?
Eckert: Wir dürfen dankbar sein, dass die katholische Kirche mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil die Heilige Schrift neu entdeckt hat. Papst Franziskus ruft dazu auf, das Evangelium auf unsere Zeit hin zu aktualisieren. Das mag nicht immer angenehm sein und auch Konflikt bedeuten. Doch unsere Glaubwürdigkeit als Jüngergemeinde des Herrn hängt davon ab, wie wir uns Themen stellen.
Frage: Sie greifen Reizthemen wie den Zölibat, Frauenpriestertum oder die Segnung für homosexuelle Paare auf, stellen aber keine Forderungen, sondern Fragen. Warum?
Eckert: Fragen sind einladend. Das Evangelium lässt diese Offenheit zu. Man kann auch von notwendigen Themen sprechen, die Not wenden helfen. Um Antworten zu finden, müssen wir miteinander ringen. Manchmal behaupten wir ja, die Frage ist beantwortet, aber sie darf auch wieder neu gestellt werden, wenn man meint, sie ist noch nicht beantwortet.
Frage: Gerade beim Frauenpriestertum heißt es, die Sache sei von Rom entschieden ...
Eckert: Das erinnert mich an den Advent bei uns daheim, als meine Eltern uns Kindern sagten, wir dürften die Geschenke nicht vorher suchen, weil sonst das Christkind traurig sei. Ab einem gewissen Alter hat uns das besonders interessiert, was in den Schränken versteckt worden ist. Man kann manche Fragen nicht unterbinden. Bei Markus sind es übrigens nur Frauen und Engel, die Jesus dienen. Die Männer kommen alle schlecht weg. Sie müssen vor seiner Passion noch einmal belehrt werden, was dienen heißt. Sein erstes Heilungswunder, bei dem Jesus einen Menschen berührt, nimmt er an einer Frau vor, der Schwiegermutter des Petrus. Dadurch wird sie in sein Auferweckungsgeheimnis eingeweiht und dient ihm. In unserer Kirche erleben wir viele Frauen, die selbstverständlich dienen, in der Krankenhausseelsorge, in der Katechese oder anderen Bereichen. Da stellt sich schon die Frage, wie steht es um die Dienste in unserer Kirche und ist diese Frage hinreichend beantwortet.
Frage: Der heilige Benedikt hat von seiner Schwester Scholastika so einiges für sein spirituelles Leben gelernt. Ist Ihre Schwester bisweilen auch jemand, der Ihnen neuen Input gibt?
Eckert: Das gilt für alle meine Geschwister, aber auch für meine Nichten. Auch von den geistlichen Schwestern nehme ich etwas mit. Frauen gehen manche Themen ganz anders an, haben eine andere Form der Spiritualität, manchmal auch der Konsequenz. Es ist wichtig, dafür offen zu bleiben. Die Syrophönizierin und die Frau mit dem Blutfluss bei Markus haben den Mut, Grenzen zu überschreiten. Sie haben einen Glauben, der gesund macht. Ich wollte auf diese Frauen verweisen, die uns ins Stammbuch der Kirche eingeschrieben sind: Namenlos, aber nicht bedeutungslos.
Das Buch "Steht auf! Frauen im Markus-Evangelium als Provokation für heute" ist im Verlag Herder erschienen und kostet 16 Euro.