Eine besondere Himmelfahrt
Einmal im Jahr verwandeln sich die kleine Stadt Warstein und die umliegende Region in einen Pilgerort für Ballonfahrer. Anfang September findet die jährliche Montgolfiade in dem kleinen Ort statt. Als Montgolfiade bezeichnet man Heißluftballon-Treffen, die an mehreren aufeinanderfolgenden Tagen stattfinden. Jeweils morgens und abends starten Hunderte Ballone gen Himmel. Darunter sind auch spezielle Sonderformen, wie eine Lokomotive oder ein Ballon mit dem Aufdruck des Sandmännchens. Als Bruder Isidor, Pater im Kloster der Abtei Königsmünster im sauerländischen Meschede, am Samstag während des Abendessens aus dem Fenster blickte, ahnte er zwar, dass wohl gleich ein Heißluftballon an seiner Schafwiese landen würde. Dass er und sein Mitbruder Justus nur wenige Tage später im Ballonkorb unter einer 42 Meter hohen, mit heißer Luft gefüllten Christus-Statue stehen würden, hätte er sich in diesem Moment wohl nicht träumen lassen.
Alles begann am Samstag um kurz vor 20 Uhr: Pilot Uwe Storkan suchte mit seinem Sandmännchen-Ballon eine geeignete Landefläche, nachdem er den Gebirgspass Stimm-Stamm hinter sich gelassen hatte. Denn ein Pilot hat nur die Möglichkeit, den Ballon im Rahmen der unterschiedlichen Höhenwinde zu lenken. Nicht aber welche Richtung er einschlägt. Pilot Uwe Storkan fand einen Landeplatz – mitten auf dem Gelände des Benediktiner-Klosters in Meschede. "Wir saßen gerade beim gemeinsamen Abendessen und sahen, wie immer mehr Ballone über den Stimm-Stamm in unsere Richtung zogen", erinnerte sich Bruder Isidor
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Als er realisierte, dass ein Ballon – das Sandmännchen – Kurs aufs Kloster nahm, habe er sofort Sorge um seine Schafe gehabt. "Ich ging heraus und staunte. Der Ballon landete ganz ruhig und kontrolliert. Die Schafe standen ganz locker hinterm Zaun und schauten interessiert zu." Isidors Sorgenfalten waren verschwunden. Das Abendessen hatte für ihn jedoch keine Priorität mehr. Vielmehr packte ihn der Helferdrang. Tatkräftig half er – die Hände stark an der Topleine – den Ballon abzurüsten. In der Zwischenzeit seien seine Brüder zum Abendgebet in die Kirche gegangen "um größeres Unheil abzuwenden". Unheil befürchtete Bruder Justus: "Ich hab mir schon Gedanken gemacht, wo Bruder Isidor abgeblieben ist.“
Geistlicher Beistand bei der Ballöner-Taufe
Also machte er sich auf die Suche, bekam vom Abrüsten des Ballons zwar nichts mehr mit, erlebte jedoch die Taufzeremonie, die gerade mit zwei Ballonfahrern zelebriert wurde. Nach alter Tradition klingt jede Ballonfahrt, die ein Ballonfahrer das erste Mal bestreitet, mit einer Ballonfahrertaufe aus. "Ich habe bei der Taufe dann geistlichen Beistand geleistet", sagte Bruder Justus. Der Ballon war eingepackt, die Taufe vorüber – Zeit für Gespräche. Und schnell war klar, welche Frage den Brüdern am meisten auf den Nägeln brannte: "Kann der große Jesus Christus-Ballon auch bei uns landen? Das wäre doch ein herrliches Bild, wenn Christus ins Kloster einschweben würde."
Mit Christus-Ballon meinen die Brüder eine riesige Ballonhülle in der Form der "Cristo Redentor", der monumentalen Christusstatur im Süden von Rio de Janeiro. Mit seinem brasilianischen Piloten Helio Michelini Pellaes Neto feierte der Ballon seine Europapremiere auf dem Ballonfestival.
Ein Versprechen in diese Richtung konnte aufgrund der eingeschränkten Möglichkeit, einen Heißluftballon zu lenken, natürlich nicht gegeben werden. Doch als das Organisations-Team der Montgolfiade diese Geschichte hörte, war die Einladung an die Mönche zum Ballongelände schon so gut wie formuliert.
Die Brüder wurden nach Warstein eingeladen, kündigten sich für Mittwochnachmittag an. Und als wären übermenschliche Kräfte im Spiel gewesen, erlebten sie einen Montgolfiade-Besuch, wie er perfekter nicht hätte sein können. Der brasilianische Pilot Helio Michelini Pelaes Neto war am Vorabend mit seinem "Cristo Redentor" in Warstein eingetroffen, rüstete die Sonderform – die vier Meter höher ist als ihr 38 Meter großes steinernes Vorbild – am Mittwochabend erstmals auf europäischem Boden auf.
Ohne sie wäre die Kloster-Landung nicht zustande gekommen
Bevor die Startfreigabe für den Abendstart aus Warstein erfolgt war, erlebten die Benediktiner-Mönche das Pilotenbriefing und im Anschluss den Massenstart der 126 Ballone. Dabei trafen sie auf Uwe und Sabine Storkan, die mit den Aufbauarbeiten des Sandmännchen-Ballons beschäftigt waren. Die Gelegenheit wurde für ein großes Dankeschön genutzt, da dieser besondere Tag ohne die Kloster-Landung wohl nie zustande gekommen wäre.
Sprachlos machte die Mönche dann die Auferstehung der Christus-Sonderform. Zunächst hatten sie bei den Vorbereitungen geholfen, hielten die Hülle während der Befüllung mit Kaltluft auf. Pünktlich als der Pilot die Heißluft aus dem Brenner in den Ballon trieb, hatten sich die Pater 42 Meter weiter, am Kopf der Sonderform aufgestellt und wurden Zeuge, wie die eben noch platte Ballonhülle an Form gewann und in die Höhe stieg.
"Es war wirklich bewegend, so eine große Christus-Statue vor sich zu haben", betonte Bruder Isidor. "Es war wirklich faszinierend, wie er sich aufstellte und überhaupt war es toll, bei einem solchen Massenstart zwischen so vielen Ballonen rumwuseln zu können."
"Steigt ein zu mir!"
Helio Michelini Pelaes Neto hatte sich aufgrund der ungünstigen Windrichtung gegen einen Start entschieden, blieb am Boden und präsentierte sich und seinen Ballon den Besuchern. In Richtung der beiden Mönche winkend signalisierte er: "Steigt ein zu mir!" Das ließen sich Isidor und Justus nicht zweimal sagen, waren vor allem von der enormen Hitze des Brenners überwältigt: "Da fühlt man sich eher dem Fegefeuer ganz nah", sagte der nie um einen lockeren Spruch verlegene Bruder Isidor, der auch keineswegs Angst gehabt hätte, abzuheben, sondern vielmehr auf Hilfe von oben vertraut hätte: "Wenn der Herr wollen würde, dass ich noch länger auf Erden bleibe, würde er auch zusehen, dass ich wieder runterkomme."
Auch für den Piloten der Sonderform war es ein ganz besonderer Besuch in seinem Ballonkorb: "Es ist eine Ehre für mich, zwei Mönche an Bord zu haben. Der Ballon soll Glauben und Frieden in die ganze Welt bringen. Diesen Werten haben die beiden ihr Leben verschrieben. "
Am Ende ging es doch in die Luft
Zwar klappte es mit dem Start der Christus-Statue nicht – doch in die Luft ging es für die beiden Mönche trotzdem. Und zwar im Hubschrauber, aus dem sie das Montgolfiade-Gelände und die aufgerüsteten Sonderformen aus der Vogelperspektive beobachten konnten. "Das Herz hat wirklich gebubbert", sagte Bruder Isidor. Bruder Justus fügte an: "Es hat sich wirklich gelohnt, es war toll, so nah dran sein zu können!"
Und unterm Strich sind sich beide einig, wiederkommen zu wollen und ihre Ballonfahrt nachzuholen: "Die römisch-katholische Taufe haben wir. Die ballonesische fehlt uns aber noch... "
Dieser Beitrag erschien zuerst im Soester Anzeiger.