Der Modepapst, der keinen Priesterkragen tragen sollte
Die religiöse Biographie von Karl Lagerfeld klingt zunächst ein bisschen nach Dornröschen. Eine Wahrsagerin prophezeite seiner Mutter einst, dass ihr Sohn einmal Priester werden würde. Daraufhin hielt Mutter Lagerfeld ihren Jungen vor Schreck von allem Religiösen fern. Anders als Dornröschens Eltern gelang es seiner Mutter auch tatsächlich, zu verhindern, dass sich die Prophezeiung erfüllte. Nicht verhindern konnte sie allerdings, dass ihr Sohn zumindest Modepapst wurde.
Religiös ist Lagerfeld, der am 19. Februar verstarb, nie geworden. Doch das Thema wurde er nicht los. Der Mann mit weißgepuderten Zopf und Kentkragen, der die Aura des Geheimnisvollen kultivierte, gab nicht allzu oft Interviews. Doch wenn er welche gab, dann kam Religion auffällig oft zur Sprache. Wohl kein Großer der Haute Couture wurde so regelmäßig darauf angesprochen.
Schwierigkeiten mit dem Christentum
Er habe "keinerlei religiöse Erziehung", sagte er 2011 im Interview mit der "FAZ". Und erzählte dann die Geschichte von der Prophezeiung. "Was mich interessiert, ist der Einfluss der Religion auf die Geschichte und die Kultur." Aber dies beobachte er, "wie sich der Professor Rostand die Ameisen ansah".
Mit dem Christentum hat Lagerfeld offensichtlich so seine Schwierigkeiten. Bevor das Christentum gekommen sei, hätten die Leute Millionen von Jahren gar nicht an die Hölle gedacht, weil sie das Wort noch gar nicht gekannten hätten, erklärte er im FAZ-Interview. "Und man kann doch nicht sagen, dass die Milliarden Leute vor uns verdammt sind, nur weil plötzlich eines Tages ein guter Mann kam."
Überhaupt traute Lagerfeld den Männern in Sachen Religion wenig Gutes zu. "Ich bin fürs Matriarchat", bekannte er. Dazu erzählte er den Witz von einem Priester, der im Himmel der Gottesmutter Maria begegnet, eine "wunderbare Geschichte, die ich liebe": Der Priester wird im Himmel von Petrus mit den Worten empfangen: "Sie haben wunderbar für die Kirche gearbeitet, besser als der Papst, haben Sie irgendeinen Wunsch?" Ja, antwortet der Priester, er würde gerne die Madonna treffen. Als er vor der Gottesmutter steht, fragt er sie, warum sie auf den Bildern mit dem kleinen Jesus immer so traurig dargestellt werde. Darauf antwortet ihm Maria: "Wissen Sie, mein Traum war ein Mädchen." Lagerfelds Kommentar dazu: "Die Welt wäre wahrscheinlich besser, hätte sie ein Mädchen gehabt." Ob er das Matriarchat auch für die Modewelt bevorzugen würde, sagte Lagerfeld nicht.
Doch irgendwie ließ den meist streng dreinblickenden Designer die Religion nicht los. Als das "Zeitmagazin" ihn 2015 fragte "Wie sähe eigentlich ihre Traumwelt aus?", verwies Lagerfeld erstaunlicherweise auf das friedliche Zusammenleben von Christen, Juden und Muslimen im spanischen Cordoba um das Jahr 1000, als die Muslime über die Stadt herrschten. Damals habe es schon Kanalisation, Straßenbeleuchtung und Krankenhäuser gegeben. Doch dann hätten die Christen die anderen "rausgeekelt, nach dem Motto: Der Mensch braucht keine Krankenhäuser, der Mensch soll leiden. Und Nacht ist Nacht, weil Gott das so gewollt hat." So sei aus Cordoba, das die ideale Stadt gewesen sei, ein Dorf geworden, resümierte Lagerfeld.
Pius XII. war "sehr elegant"
An anderer Stelle erzählte er von seiner für einen Modeschöpfer höchst ungewöhnlichen Lektüre des deutschen Philosophen Johann Gottlieb Fichte. Von dessen Aussagen zur Religion zeigte er sich sehr angetan. Fichte habe etwas "sehr Kluges" über Religion gesagt, das man sinngemäß so zusammenfassen könne: "Okay, bei all den grauenhaften Dingen, die in der Welt passieren, kann man meinetwegen an Gott glauben, aber die Guten, wer hat die denn gemacht?"
Über die Ansichten des Religionsphilosophen Lagerfeld mag man diskutieren, das Urteil des Modeschöpfers ist über jeden Zweifel erhaben. Sein Fashion-Favorit unter den Päpsten war ein Papst, der es heute schwer hat: Pius XII. "Sehr elegant" sei dieser Nachfolger Petri gewesen, so das Urteil Lagerfelds.
Wie Lagerfeld selbst einen Papst anziehen würde, hat er nicht verlauten lassen. Das aus byzantinischen Kreuzen geknüpfte Top, das jüngst in einer Ausstellung über das Verhältnis von Katholizismus und Mode im New Yorker Metropolitan Museum zu sehen war, war offensichtlich schon für das Zeitalter des Matriarchats gedacht.
Der Artikel erschien zuerst am 10. September 2018 und wurde am 19. Februar 2019 aktualisiert.