Gesellschaftliche Akzeptanz der Kirche in Chile schwindet

Kirche im Fokus der Staatsanwaltschaft

Veröffentlicht am 15.09.2018 um 14:15 Uhr – Lesedauer: 
Chile

Santiago de Chile ‐ Das Krisentreffen des Papstes mit den Bischöfen Chiles liegt vier Monate zurück, die Aufarbeitung des Missbrauchs schreitet voran. Für die Kirche wird es in der Gesellschaft aber zunehmend ungemütlicher.

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Für die chilenische Kirche gibt es schon lange kein Zurück mehr: Langsam aber sicher schreitet die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals in der Andenrepublik voran. Vor allem, weil das traditionell katholische Land der Kirche keine Sonderbehandlung gewährt. Die Staatsanwaltschaft verfolgt jede Spur von Kindesmissbrauch mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln. Erst am Donnerstag durchsuchten Spezialkräfte der Polizei in einer koordinierten Aktion gleichzeitig die Verwaltungsräume von vier Diözesen im ganzen Land und stellten mögliches Beweismaterial sicher. Besonders interessant sollen für die Ermittler nach Berichten örtlicher Medien die Missbrauchs-Akten mit Informationen aus dem Vatikan sein. Die chilenische Kirche hatte in der vergangenen Woche beim Heiligen Stuhl die Herausgabe der Dokumente beantragt.

Ebenfalls vor zwei Tagen wurden zudem die Ermittlungen gegen zwei Bischöfe aufgenommen. Insgesamt untersucht die Staatsanwaltschaft damit derzeit neun der 32 Oberhirten des Landes. Unter ihnen der Erzbischof der Hauptstadt Santiago de Chile, Kardinal Ricardo Ezzati, und sein Vorgänger Kardinal Francisco Javier Errazuriz. Auch der Vorsitzende der chilenischen Bischofskonferenz, Militärbischof Santiago Silva, steht seit einigen Tagen im Fokus.

Ermittler stellen E-Mail-Verkehr der Kardinäle sicher

Den E-Mail-Verkehr der Kardinäle und anderer Bischöfe unter Vertuschungsverdacht stellten die Ermittler in dieser Woche sicher. Errazuriz hat zudem nicht an der jüngsten Sitzung des Kardinalrats in dieser Woche im Vatikan teilgenommen. Ein "unerwartetes Problem" habe ihm die Anreise unmöglich gemacht. Italienische Medien mutmaßen, dass der Kardinal wegen des Vertuschungsverdachts aus dem K9-Rat ausgeschieden sei.

Kardinal Francisco Errazuriz
Bild: ©KNA/Romano Siciliani

Kardinal Francisco Errazuriz Ossa ist emeritierter Erzbischof von Santiago de Chile und noch Mitglied des Kardinalsrats.

Zahlreiche Diözesen in Chile erklären mit großer Regelmäßigkeit, mit der Staatsanwaltschaft zusammenarbeiten zu wollen, um Missbrauch in der Kirche oder deren Vertuschung aufzuklären. So etwa am Freitag das Erzbistum Puerto Montt im Süden Chiles. Durch eine Pressemitteilung teilte die erzbischöfliche Verwaltung mit, dass zwei Priester wegen des Vorwurfs des sexuellen Missbrauchs von ihren Ämtern suspendiert worden seien. Zudem bekräftigte das Ordinariat das Versprechen, "sich weiterhin mit größter Kraft für Wahrheit, Gerechtigkeit und Schutz der anzeigenden Personen einzusetzen". Die Kommunikationsstrategie der Bistümer ist offener geworden und die Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden enger.

Nicht alle Bischöfe für absolute Transparenz

Doch nicht alle Bischöfe setzen auf absolute Transparenz: Kardinal Ezzati, der auf der Verhörliste der Ermittler steht, hatte Mitte August einen Aufschub seiner Vernehmung vor einem Gericht durchgefochten. Nun soll er im Oktober zu den Vertuschungsvorwürfen gegen ihn aussagen. Ezzati hat zudem wahrgenommen, dass sich die gesellschaftliche Akzeptanz der Kirche in der chilenischen Gesellschaft enorm verschlechtert hat. Die Kirche habe durch den Missbrauch zu einer Spaltung der Chilenen beigetragen und sei in der Öffentlichkeit nicht mehr erwünscht, sagte er in einem Interview.

Deshalb nimmt der Kardinal nicht am traditionellen "Te Deum" am Nationalfeiertag am 18. September teil. Er halte es als Verdächtiger in einer Strafverfolgung nicht für "klug", bei dem Gottesdienst dabei zu sein. Stattdessen werde der Domdekan der Kathedrale Santiagos teilnehmen. Der staatliche Fernsehsender TVN kündigte an, die Messe nicht im Fernsehen übertragen zu wollen. Als offizielle Begründung werden die gestiegenen Kosten angeführt, doch der bröckelnde Rückhalt der Kirche in Chile dürfte eine größere Rolle spielen.

Von Roland Müller