Benedikt XVI. äußert sich zu seinem Aufsatz zum Judentum
Der emeritierte Papst Benedikt XVI. ist erstmals öffentlich auf die Kritik an seinem Aufsatz zur christlichen Theologie des Judentums eingegangen. In einem in der Zeitschrift "Communio" veröffentlichten Briefwechsel mit dem Wiener Oberrabbiner Arie Folger nimmt der Theologe Stellung zur Kritik an seinen Überlegungen zum Verhältnis von Christentum und Judentum.
Benedikt XVI. geht in seinem Brief insbesondere auf drei Punkte ein: Die Bedeutung der messianischen Verheißung, die Interpretation der Landverheißung und des Staats Israel sowie das gegenwärtige Verhältnis von Juden und Christen mit Blick auf "Moral und Kult".
„Inzwischen bleibt es beiden Seiten aufgetragen, um die rechte Erkenntnis zu ringen und die Auffassung der je anderen Seite ehrfürchtig zu bedenken.“
Kontroversen um Messias-Theologie und den Staat Israel
Er räumt ein, dass in der Geschichte der Dialog zwischen Juden und Christen "von Seiten der Christen häufig oder fast immer nicht in der gebotenen Ehrfurcht für die andere Seite" geführt worden sei. Daraus habe sich eine "traurige Geschichte des christlichen Antijudaismus" entwickelt, die im "antichristliche Antijudaismus" der Nazis und damit Auschwitz einen "traurigen Höhepunkt" gefunden hätte. Benedikt XVI. betont, dass Christen und Juden zwar "nach menschlicher Voraussicht" keine Einigkeit in der Interpretation der hebräischen Bibel mit Blick auf Christus erzielen würden: "Das ist die Sache Gottes am Ende der Geschichte." Daher sei das Ziel des Dialogs, "um die rechte Erkenntnis zu ringen" und die Auffassung der anderen Seite "ehrfürchtig zu bedenken".
Kontrovers diskutiert wurden die Äußerungen im ursprünglichen Aufsatz zur Landverheißung Israels. Noch einmal stellt Benedikt klar, dass für Christen die Gründung des säkularen Staates Israels zwar "nicht theologisch als die Erfüllung der Landverheißung" eingestuft werden könne. Wohl aber sei es "nicht schwer zu sehen", dass sich in der Entstehung des säkularen jüdischen Staates "doch auf eine geheimnisvolle Weise die Treue Gottes zu Israel" erkennen ließe. Bereits im ursprünglichen Aufsatz hieß es, dass die Staatsgründung zwar nicht aus der Heiligen Schrift abgeleitet werden könne, aber "in einem weiteren Sinn die Treue Gottes zum Volk Israel" ausdrücke.
Angebot zu gemeinsamem öffentlichen Wirken
Benedikt sieht in Fragen von "Moral und Kult" eine "viel größere Zusammengehörigkeit von Israel und Kirche" und hofft auf ein "erneuertes Gespräch mit dem Judentum". Dabei grenzt er sich ab von einem "antijudaistischen Denken Luthers", der mit seiner Betonung der Gnade Gottes und damit des "Nein zum Gesetz" in der Neuzeit die Grundlage für antijudaistische Argumentationen gelegt und einen "pseudoreligiösen Markionismus", also die strikte Trennung zwischen Altem und Neuen Testament, befördert habe.
„Was nicht sein darf, ist die Geschichte zu vergessen und zu behaupten, dass alles eigentlich doch immer gut gewesen sei, weil die Täter angeblich theologisch falsch lagen.“
Benedikts Gesprächspartner Folger, der in einem Beitrag in der Jüdischen Allgemeinen vor allem einen "ahistorischen Revisionismus" in den Thesen Benedikts kritisierte, zeigt sich in seiner Replik wohlwollend. Insbesondere die Einladung, "sich zusammen für den Erhalt der moralischen Standards im Westen" einzusetzen, begrüßt der Rabbiner. Mit Blick auf die Erläuterung der Position des emeritierten Papstes zum Staat Israel sieht er eine Annäherung. Ebenso begrüßt Folger Benedikts Klarstellung, dass die Ziele des Dialogs nicht Mission oder die Erörterung theologischer Kontroversen seien, sondern "Verständnis und Freundschaft".
Keine Stellungnahme zur Substitutionstheorie
Kritik dagegen übt Folger an dem Punkt, auf den Benedikt in seinem Brief nicht eingeht: Die Frage, wie die "Substitutionstheorie" und die Rede vom "ungekündigten Bund Gottes" in der Theologie- und Kirchengeschichte zu bewerten sei. Für Folger ist die These vom ungekündigten Bund zentral für die Bekämpfung des Antisemitismus. Er zeigt sich nicht überzeugt von der Argumentation, die Kirche habe nie eine Theologie der Ersetzung des Bundes Gottes mit dem Volks Israel durch den Christusbund vertreten: "Was nicht sein darf, ist die Geschichte zu vergessen und zu behaupten, dass alles eigentlich doch immer gut gewesen sei, weil die Täter angeblich theologisch falsch lagen." Es würde den Juden "viel bedeuten", wenn neben der These, eine Substitutionstheorie habe noch nie theologisch verantwortet vertreten werden können, auch anerkannt würde, dass dennoch Christen diese Theorie vertreten hätten und damit Unrecht gegenüber Juden rechtfertigten.
Die im Juli in der Zeitschrift "Communio" erschienenen Aufsatz "Gnade und Berufung ohne Reue" zur christlichen Theologie des Judentums hatten eine intensive Diskussion ausgelöst. Verschiedene Vertreter des Judentums und christliche Theologen hatten darin eine Gefährdung des christlich-jüdischen Dialogs gesehen. Der Aufsatz war zunächst als internes Papier für die Arbeit des Präsidenten der Vatikanischen Kommission für die religiösen Beziehungen mit dem Judentum, Kardinal Kurt Koch, geschrieben worden. Mit Zustimmung des emeritierten Papstes hatte Koch das Papier veröffentlichten lassen. Auf die öffentliche Kritik hin hatte Koch klargestellt, dass der Dialog mit den Juden für den Vatikan nicht in Frage stehe und Vertreter der orthodoxen Rabbinerkonferenz, darunter Folger, zu einer Aussprache eingeladen. (fxn)