Papst: Wachsam gegenüber Antisemitismus sein
Papst Franziskus hat auf seiner Baltikumreise vor einem Wiedererstarken des Antisemitismus gewarnt. Die nach dem Holocaust geborenen Generationen stünden in der Gefahr, solchen Ideologien wieder nachzulaufen, sagte er bei einer Messe am Sonntag im litauischen Kaunas. Die katholischen Gläubigen müssten das Gedenken an die Judenvernichtung im Zweiten Weltkrieg wachhalten und "jeden neuen Keim dieser verderblichen Gesinnung rechtzeitig erkennen".
Franziskus erinnerte dabei an die Räumung des Ghettos von Vilnius vor 75 Jahren am 23. September 1943 und die Ermordung Tausender Juden. Am Nachmittag besuchte der Papst das ehemalige Ghetto sowie das nationale Museum zum Gedenken an die Besetzungen und den Freiheitskampf. An beiden Stätten erinnerte er an die Opfer von Verfolgung und Unterdrückung unter den Nationalsozialisten und während der sowjetischen Ära.
Auch in seiner Predigt in Kaunas ging das Kirchenoberhaupt auf die deutsche und sowjetische Besatzung ein. Litauen höre noch immer "mit Schaudern" den Namen Sibirien oder die Erwähnung der Ghettos von Vilnius und Kaunas. Viele erinnerten sich persönlich an Deportation, die Sorge um die Verschleppten und an "die Schande der Denunziation und des Verrats". Für viele sei auch der Glaube an Gott ins Wanken geraten: "Die Tatsache, dass Ihr treu bliebt, reichte nicht, dass er in den Lauf Eurer Geschichte eingegriffen hätte", so Franziskus.
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Der Papst mahnte die Kirche Litauens zu Solidarität und Aufbruch. "Das Verlangen nach Macht und Ruhm ist die häufigste Verhaltensweise derer, die die Erinnerung an ihre Geschichte nicht verarbeiten und vielleicht gerade deshalb auch nicht bereit sind, sich für die Aufgaben der Gegenwart zu engagieren", so Franziskus. In der Mitte der Kirche hätten die Schwächsten zu stehen, seien es ethnische Minderheiten, von Auswanderung bedrohte Arbeitslose, vereinsamte alte Menschen oder entwurzelte Jugendliche. Die Kirche dürfe keine Angst davor haben, die eigenen Grenzen zu verlassen und sich "an die Geringsten zu verlieren", sagte der Papst.
Die Messe in Kaunas, der zweitgrößten Stadt des katholisch geprägten Landes, war die einzige während des zweitägigen Aufenthalts von Franziskus in Litauen. Zu der Feier unter freiem Himmel hatten sich nach Veranstalterangaben rund 100.000 Menschen versammelt. Ebenfalls in Kaunas traf der Papst mit den litauischen Bischöfen zu einer Unterredung beim Mittagessen zusammen. Anschließend sprach er vor Priestern und Ordensleuten in der Kathedrale von Kaunas. Vor allem die ältere Generation der Kleriker ist geprägt von den Repressionen der kommunistischen Zeit.
Papst gedenkt der Opfer deutscher und sowjetischer Besatzung
Am Sonntagnachmittag besuchte der Papst in Vilnius das Museum der Besatzungen und der Freiheitskämpfe und gedachte dabei der Opfer deutscher und sowjetischer Gewaltherrschaft. In dem historischen Gebäude befand sich seit 1941 ein Foltergefängnis der Gestapo und später des russischen KGB. Anlässlich der Visite hatten sich auch ehemalige Häftlinge und Verfolgte der Regimes eingefunden.
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Franziskus ließ sich die Haftzellen zeigen und entzündete eine Öllampe zum Gedenken an die Ermordeten. Begleitet wurde er neben Museumsdirektor Eugenijus Peikstenis von dem emeritierten Erzbischof Sigitas Tamkevicius. Der heute 79-jährige Geistliche und Jesuit hatte mehrere Jahre in russischen Lagern verbracht. Franziskus legte anschließend beim nahegelegenen Denkmal für die Opfer ein Blumengebinde nieder.
In einem Gebet beklagte der Papst den "Allmachtswahn derer, die sich anmaßten, alles zu kontrollieren". Der Schrei der Unschuldigen müsse Anstoß sein, sich "vereinfachenden Parolen" und jeder Verletzung der Menschenwürde zu widersetzen. Niemand dürfe "taub sein für den Schrei all jener, die auch heute ihre Stimme zum Himmel erheben", so der Papst. In seinem Eintrag in das Gästebuch des Museums erinnerte Franziskus an die vielen, die "ihr Leben für Freiheit und Gerechtigkeit geopfert" hätten, und bat um Versöhnung und Frieden für das litauische Volk.
Bei einer Begegnung mit Geistlichen verwies Franziskus auf das Vermächtnis der Kleriker während der Besatzungszeit. Heutige Priester und Ordensleute sollten sich bewusst sein, "Kinder von Märtyrern" zu sein, sagte er in der Kathedrale von Kaunas. Nachdrücklich mahnte er Priester und Ordensfrauen zur "Nähe zu Gott und den Menschen". Geistliche dürften keine Beamten mit festen Bürozeiten sein. "Der Herr will euch als Hirten und Hirtinnen des Volkes und nicht als Staatskleriker", so der Papst. (luk/KNA)
23. September 2018, 19:50 Uhr: Ergänzt um das Gedenken an Besatzungsopfer