Papst startet Baltikum-Reise mit Appell zu Solidarität
Deutliche Worte hat Papst Franziskus bei seiner ersten Rede in Vilnius, dem Auftakt seiner viertägigen Reise ins Baltikum diesen Samstag, gewählt. Seine Ansprache an Vertreter aus Politik und Gesellschaft: ein eindringlicher Appell für Einheit, nicht nur zwischen Ost- und Westeuropa, sondern über Kontinente wie Religionen hinaus.
Franziskus, anlässlich des 100-Jahr-Jubiläums der Unabhängigkeit Litauens eingeladen, sagte, Litauen habe lange Zeit Menschen verschiedener Ethnien und Religionen gastfreundlich aufgenommen: "Litauer, Tataren, Polen, Russen, Weißrussen, Ukrainer, Armenier, Deutsche ...; Katholiken, Orthodoxe, Protestanten, Altkatholiken, Muslime, Juden" hätten friedlich zusammengelebt, "bis die totalitären Ideologien aufkamen und diese Fähigkeit zur Gastfreundschaft und Vereinbarkeit von Unterschieden durch Verbreitung von Gewalt und Misstrauen zerstörten".
Staatspräsidentin erinnert an harte Sowjetzeiten
Dann schlug Franziskus den Bogen zur Gegenwart. Auch heute würden "Stimmen, die Spaltung und Konfrontation säen, immer lauter". Er beklagte eine Instrumentalisierung von Konflikten und forderte Toleranz, Gastfreundschaft, Respekt und Solidarität. Am Ende gab es verhaltenen Applaus. Möglicherweise hatte sich der ein oder andere klare Worte Richtung Russland erhofft; die Beziehungen dorthin sind seit Beginn der Ukraine-Krise 2014 besonders angespannt, die Erinnerungen an die sowjetische Expansion bei vielen noch präsent.
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Etwa bei Litauens Staatspräsidentin Dalia Grybauskaite. Sie fand in ihrer Begrüßungsrede vor dem Präsidentenpalast in Vilnius starke und persönliche Worte. Deutlicher als Franziskus erinnerte sie an die harten Sowjetzeiten 1940 bis 1991. Eine schwere Zeit für die Bevölkerung, auch für die katholische Kirche eine Durststrecke.
Grybauskaite sagte, gerade der Glaube habe in diesen schweren Zeiten vielen Halt gegeben, Menschen in der Verbannung, Lagern, Gefängnissen und Bunkern der Partisanen gerettet. Mit der Nation überlebte auch der Glaube, den Unterdrückungsversuchen des KGB zum Trotz. Die 62-Jährige weiß, wovon sie spricht. Es heißt, Grybauskaite sei selbst mitten im Kommunismus heimlich katholisch getauft worden. Vielleicht wirkte ihre Rede deshalb noch eindringlicher als die des Papstes.
Am Marienheiligtum ist der Andrang größer als vor dem Präsidentenpalast
Wie es heute um den katholischen Glauben in Litauen steht, das ans katholische Polen grenzt, dafür wird auch die Stimmung im Land ein Indikator sein. Gemessen daran, das knapp 80 Prozent der Litauer katholisch sind, fanden sich auf den Straßen bei seiner Ankunft am Vormittag eher wenige Zuschauer. Bei seiner ersten Rede vor dem Präsidentenpalast, der in früheren Jahrhunderten als Bischofsresidenz diente, waren noch Plätze frei; im Umkreis herrschte ebenfalls kein Gedränge. Der Empfang der Litauer zum Auftakt der Papstreise ins Baltikum wirkte wie die Temperaturen vor Ort: nicht wirklich warm, eher etwas verhalten und kühl.
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Vielleicht mussten Franziskus und die Litauer noch warm miteinander werden, oder die Volksfrömmigkeit im Land ist stärker als politisches Interesse: Am Nachmittag beim Rosenkranzgebet des Papstes am bekannten Marienheiligtum "Tor der Morgenröte" war der Andrang jedenfalls deutlich größer. Auch der Empfang war deutlich wärmer. Einige am Wegesrand hielten rote Pappherzen für Franziskus hoch, dazu gab es Rufe: "Papst Franziskus, wir haben dich lieb".
Das passte zur Botschaft des Papstes am "Tor der Morgenröte": Die Nächstenliebe sei "der Schlüssel, der uns das Tor des Himmels öffnet". Franziskus griff den Tenor vom Vormittag auf, mahnte, Brücken statt Mauern zu bauen, auf Barmherzigkeit statt auf Verurteilung zu setzen.
Das "Tor der Morgenröte" mit der Marienikone hatte vor Franziskus bereits Papst Johannes Paul II. (1978-2005) besucht, vor ziemlich genau 25 Jahren. Ein besonderer Besuch, wie die Staatspräsidentin am Vormittag betonte - und vor Franziskus der erste Papst in Vilnius. 1993, kurz nach dem Abzug der Russen. Auch Franziskus, der den Tag mit einer Jugendbegegnung beschloss, könnte in Vilnius bedeutende Zeichen setzen. Etwa am Sonntag mit seinem Besuch des KGB-Museums und im jüdischen Ghetto, das am 23. September vor genau 75 Jahren geräumt wurde.