US-Bischöfe klagen über "homosexuelle Kultur"

Homosexualität und Missbrauch: Der Zusammenhang, der keiner ist

Veröffentlicht am 25.09.2018 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Washington ‐ Konservative US-Kirchenführer machen eine "homosexuelle Kultur" in der kirchlichen Hierarchie für den Missbrauchsskandal verantwortlich. Experten widersprechen einer Pauschalisierung.

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Für Kardinal Raymound Leo Burke liegen die Dinge schon lange auf der Hand. Schwule Priester und Ordensleute trügen Verantwortung für die sexuellen Übergriffe auf Kinder und Jugendlichen, verkündete er Mitte August in einem Gespräch mit der Organisation "Catholic Action for Faith and Family" in Kalifornien.

Studien hätten klar gezeigt, dass es sich bei dem Missbrauch vor allem "um homosexuelle Handlungen mit jugendlichen, jungen Männern" gehandelt habe. Der bei Papst Franziskus in Ungnade gefallene Kardinal sprach von einer homosexuellen Kultur in der Kirche, "die nicht nur unter den Geistlichen, sondern auch innerhalb der Hierarchie" besteht. Diese müsse "an der Wurzel gereinigt werden".

Homosexuelle Subkultur in der Hierarchie?

Mit dieser Ansicht steht der streitbare Kirchenmann nicht alleine da. Prominente Mitglieder der katholischen Bischofskonferenz der USA sprangen dem ehemaligen Erzbischof von St. Louis, Missouri, nach dem verheerenden Missbrauchs-Bericht der Grand Jury in Pennsylvania zur Seite.

Der us-amerikanische Kardinal Raymond Leo Burke.
Bild: ©KNA

Für den US-amerikanischen Kardinal Raymond Leo Burke will eine angebliche "homosexuelle Kultur" in der Kirche "an der Wurzel reinigen".

Allen voran der Bischof von Madison, Wisconsin, Robert Charles Morlino, der seine Gedanken jüngst in einem Brief an die Gläubigen seines Bistums zu Papier brachte. Darin vertritt er wie Burke und andere den Standpunkt, die jüngsten Vorfälle von Missbrauch beträfen "abweichende sexuelle - fast ausschließlich homosexuelle - Handlungen von Geistlichen". Es sei an der Zeit zuzugeben, "dass es innerhalb der Hierarchie der katholischen Kirche eine homosexuelle Subkultur gibt, die im Weinberg des Herrn große Verwüstung anrichtet".

Keine empirischen Belege

Prominent hatte der ehemalige Nuntius in den USA, Erzbischof Carlo Maria Vigano, die Idee einer "homosexuellen Seilschaft" in der Kirche in die Welt gesetzt, als er Papst Franziskus in einem Brandbrief Ende August wegen des Umgangs mit der Missbrauchskrise scharf anging. "Die vorhandenen homosexuellen Netzwerke in der Kirche" müssten "ausradiert" werden. Das Problem: Für einen derartigen Zusammenhang zwischen Homosexualität und Missbrauch, wie ihn Vigano oder Burke jetzt konstruieren, gibt es keinen empirischen Beleg.

Im Rahmen einer umfassenden von den katholischen US-Bischöfen in Auftrag gegebenen Studie des "John Jay College of Criminal Justice" in New York (2011/12) kam Forscherin Margaret Smith sogar schon 2009 ausdrücklich zu dem Befund, dass "sexuelle Identität und sexueller Missbrauch klar getrennt werden müssen". Es gebe keinen nachweisbaren Zusammenhang "zwischen homosexueller Identität und größerer Wahrscheinlichkeit von Missbrauch."

Es fehlen die Gegenbeispiele

Der Autor des Bestsellers "Building a Bridge" und in der Homosexuellen-Seelsorge vertraute Jesuit James Martin wehrt sich gegen das Stereotyp vom schwulen Priester als Täter. "Der Grund, warum wir dieses Stereotyp haben", sagt Martin, "ist, dass es so wenige öffentliche Gegenbeispiele gesunder zölibatärer schwuler Priester gibt, von denen Hunderte oder gar Tausende existieren."

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Vom Papst hat James Martin noch nichts gehört, dafür gab es Lob von Kardinälen: Mit seinem neuen Buch will der US-Jesuit Brücken zwischen der Kirche und katholischen Homosexuellen bauen.

Diese engagierten sich in Ordensgemeinschaften und Diözesen, in Pfarreien, Schulen, Krankenhäusern und Suppenküchen, sagt Martin, "und sie leisten großartige Arbeit. Ich kenne sie persönlich". Der Jesuit schätzt die Zahl der Geistlichen mit homosexuellen Neigungen auf rund 30 bis 40 Prozent.

Franziskus sieht den Klerikalismus als Ursache

"Die sehr ungesunde Einstellung unserer Kirche zur Sexualität im Allgemeinen und zur Homosexualität im Besonderen muss unbedingt berücksichtigt werden", hält die Exekutivdirektorin von DignityUSA, Marianne Duddy-Burke, der Diagnose der konservativen Bischöfe entgegen. Schwule Priester würden zu Unrecht zu Sündenböcken gemacht.

Gut möglich, dass die erzkonservativen Kirchenmänner, die sich jetzt zu Wort melden, weniger die Folgen des Missbrauchsskandals fürchten als einen Kurswechsel der Kirche gegenüber Schwulen und Lesben.

Einige Äußerungen von Franziskus lassen einen Wandel beim Umgang mit Homosexualität vermuten. Als Erklärungsmuster für den Missbrauch scheint der Papst einer ganz anderen Theorie anzuhängen. Die Geistlichkeit habe mit Klerikalismus Macht über die Menschen ausgeübt und dadurch ein Klima geschaffen, in dem Missbrauch überhaupt erst möglich werden konnte.

Von Thomas Spang (KNA)