Polens Gewerkschaftsführer Lech Walesa wird 75

Umstrittener Präsident und Verehrer von Johannes Paul II.

Veröffentlicht am 29.09.2018 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Warschau ‐ Er führte im Sommer 1980 die Streiks der Danziger Werftarbeiter an, die Aufmerksamkeit auf sich zogen. Als Polens Präsident nahm er oft zu Terminen Priester mit. Inzwischen werden die Mahnungen von Lech Walesa kaum noch gehört.

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Polens einst gefeierter Revolutionsheld und Ex-Präsident Lech Walesa findet in seinem Land kaum noch Gehör. So leidenschaftlich und entschlossen Walesa gegen die heutige Regierung in Warschau das Wort führt, die Massen folgen ihm nicht mehr. "Unsere Generation hat es geschafft, Polen auf den richtigen Weg zu bringen und die Gewaltenteilung durchzusetzen", sagte er 2017 bei einer Kundgebung in Danzig. "Wir dürfen nicht zulassen, dass das nun zerstört wird." Nachdenkliche Worte des berühmten Anführers der früheren polnischen Oppositionsbewegung Solidarnosc, der am Samstag (29. September) 75 Jahre alt wird.

Noch immer spricht er sehr energisch, gerade wenn es um Europa-Themen geht. Walesa will die Demokratie verteidigen, die er 1989 nach langem Ringen mit den kommunistischen Machthabern durchsetzte. Schon 1983 hat er für seinen Kampf den Friedensnobelpreis bekommen. Zehn Millionen Polen traten in den 80er Jahren der von ihm gegründeten Gewerkschaft Solidarnosc (Solidarität) bei und zwangen mit ihm das kommunistische Regime zum Machtverzicht.

Unberechenbarer Populist

Doch nun gehen in Polen nur wenige Menschen gegen die Justizreform der nationalkonservativen Regierung auf die Straße. So sehr der parteilose Walesa auch vor Polens starkem Mann, Jaroslaw Kaczynski, dem Chef der nationalkonservativen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS), warnt - die Umfrageergebnisse ändern sich nicht. Die PiS-Partei liegt in allen Umfragen weit vorn. Zuletzt bat Walesa die EU um Hilfe. Brüssel solle verhindern, dass Polens Regierung unliebsame Richter entlässt und so unkontrollierbar werde.

Unumstritten war Walesa nie. Die Eignung für das Amt des Staatsoberhaupts, das der einstige Werftarbeiter von 1990 an für fünf Jahre besetzte, sprachen ihm viele Polen ab. Er enttäuschte in seiner Amtszeit zudem viele Erwartungen; der versprochene Aufschwung blieb aus. Der geborene Populist versagte an den Ansprüchen des hohen Amtes und regierte auf eine oft unberechenbare Weise. Manche sahen sogar die Demokratie in Gefahr. Walesa verlor 1995 die Wahl gegen den Ex-Kommunisten Aleksander Kwasniewski. Der Tiefpunkt folgte im Jahr 2000, als er nur noch ein Prozent der Stimmen erhielt.

Bild: ©KNA

Am 14. Januar 1981 wurden der Führer der freien polnischen Gewerkschaft "Solidarität" Lech Walesa und die Mitglieder der ihn begleitenden Delegation von Papst Johannes Paul II. in Audienz empfangen. Walesa begrüßt den Papst.

An seinem Ruf kratzte vor allem, dass er sich oft scheinbar unüberlegt äußerte. Er erklärte, jemandem nicht mehr die Hand geben zu wollen, um es am nächsten Tag doch zu tun. So forderte die konservative Zeitung "Rzeczpospolita" 2006: "Man sollte vor Walesa ein Schild aufstellen, auf dem in sechs Sprachen geschrieben steht: 'Achtung, das ist nur Walesa! Bestaunt und bewundert ihn, aber nehmt nicht ernst, was er sagt - morgen widerruft er es sowieso."

Marienbild am Revers und Papst-Kugelschreiber

Noch immer trägt der Ex-Präsident - inzwischen ergraut, aber noch immer mit seinem markanten Schnauzbart - die Anstecknadel mit der Schwarzen Madonna von Tschenstochau am Revers. Das Marienbild ist zum Symbol für den demonstrativen Katholizismus des polnischen Revolutionshelden geworden.

Die starke Präsenz der Kirche in Polens politischem Leben geht zu einem nicht geringen Anteil auch auf Walesa zurück. So engagierte er für den Präsidentenpalast einen eigenen Pfarrer. Während seiner Zeit als Staatspräsident nahm er zu vielen Terminen, darunter Treffen mit Abgeordneten und Reisen, einen Priester mit. Das war eine ganz neue Rolle der Kirche nach dem Ende des kommunistischen Regimes 1989.

Den eigenen Erfolg und den der Solidarnosc-Bewegung erklärt Walesa mit Papst Johannes Paul II. (1978-2005). "Die Existenz der Solidarnosc und von mir wären ohne diesen großartigen Polen nicht vorstellbar", sagte er einmal. Seine große Verehrung für den Papst hatte er bereits 1980 gezeigt, als er in Danzig (Gdansk) nach einem langen Streik ein Abkommen mit der Regierung über die Zulassung seiner Gewerkschaft unterschrieb. Auf dem übergroßen Kugelschreiber war das Konterfei von Johannes Paul II. abgebildet.

Von Oliver Hinz (KNA)

Walesa fordert neues Fundament für Europa

Friedensnobelpreisträger Lech Walesa fordert ein neues Fundament für Europa. "In Europa haben wir verschiedene Glaubensrichtungen und auch Atheisten. Deswegen sollten wir uns darauf einigen, so etwas wie 'Zehn laizistische Gebote' aufzustellen; und die sollten wir zum Fundament erklären", sagte Walesa im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Innerhalb der EU sei es gelungen, Trennungen zu überwinden, betonte Walesa. Nun fehlten aber Programm und Strukturen für Europa und eine globalisierte Welt. Daher seien die Menschen unzufrieden, erstarkten Demagogie und Populismus, würden "Dämonen geweckt wie die Trumps und Kaczynskis", so Walesa. "Man weiß nicht, wie man weiter vorgehen soll. Immerhin: Die Trumps und Kaczynskis zwingen uns, nach Lösungen zu suchen. Am Ende werden wir ihnen quasi aus 'Dankbarkeit' noch Denkmäler errichten müssen, weil sie uns aufgerüttelt und zur Tat gezwungen haben." Es brauche nun einen gemeinsamen Diskurs, wie Europa aussehen und wer regieren solle. (luk/KNA)