"Franz war in faszinierender Weise auf der Suche"
Der Tübinger Kirchenhistoriker Volker Leppin hat sich in seiner Biografie über Franz von Assisi (1181/82-1226) auf die Suche begeben. Gefunden hat er einen zutiefst authentischen, aber auch irritierenden Menschen, dessen Vorbild in einer Zeit der "Fake News" immer noch wirksam ist. Nur als Kirchenkritiker taugt er nicht, sagt Leppin im Interview.
Frage: Herr Leppin, Sie haben sich in Ihrem neuen Buch auf die Suche nach Franz von Assisi begeben. Haben Sie ihn gefunden?
Leppin: Wenn das hieße, meine Suche wäre am Ende, müsste ich sagen: Nein. Ich habe nun eine Vorstellung von Franz von Assisi, von der ich meine, sie kommt der historischen Realität nahe. Ich bin auf einen Menschen gestoßen, der in faszinierender Weise auf der Suche ist. Ein ferner, tief im Mittelalter verwurzelter Mensch, der um seine Identität ringt: mit dem Vater, mit dem Umfeld, auch mit seinen Brüdern und mit seinen treuesten Anhängern. Insofern kann ich sagen: Ich habe auf meiner Suche nach Franz von Assisi vielleicht einen Zwischenstopp gemacht.
Frage: Warum ist es so schwer, sich Franziskus zu nähern? Wissen wir nicht eigentlich schon alles über ihn?
Leppin: Wir alle wissen irgendwie etwas von ihm, aber wir wissen nur das, was wir wissen sollen. Die tatsächlichen schmalen Überbleibsel von seiner Hand, die wenigen Schriften, die wir von ihm selbst haben, stehen in einem enormen Missverhältnis zu den übergroßen Anstrengungen, die von seinem Tod an andere gemacht haben, um ihn jeweils passend für ihre Anliegen zu schildern. Schon die erste Lebensbeschreibung soll ihn vor allem als Heiligen darstellen. Da kann man keinen nüchternen, historisch präzisen Bericht erwarten. Später wurden seine Lebensbeschreibungen genutzt, um Politik im eigenen Orden zu machen. Immer wurde in ihn hineinprojiziert, was man brauchte und haben wollte – bis hin zum Ökologen und Friedensstifter. Das historisch belastbare Material hinter all diesen Erzählungen ist aber nur schwer zu finden. Da gibt es Anekdoten, Zuspitzungen, Legenden – eine dicke Schicht von Übermalungen über dem historischen Franz.
Buchtipp
Volker Leppin: Franziskus. Der Heilige aus Assisi. Verlag wbg Theiss 2018, 368 Seiten, 29,95 Euro.Frage: Haben Sie auf Ihrer Suche Überraschungen erlebt?
Leppin: Franz wird gerne als Kirchenkritiker vereinnahmt, oder vielleicht auch nur: als Institutionenkritiker. Das ist modernes Wunschdenken. Franz war viel, viel kirchlicher, als man das heute glauben mag. Sein Bischof hatte ihn gegenüber seinem Vater geschützt, das hat ein tiefes Vertrauen begründet, in den Papst, in alle Priester. Bis zum Lebensende forderte er seine Brüder dazu auf, den Priestern gehorsam zu sein. Zum Kirchenkritiker taugt er nicht. Das war gerade für mich als evangelischen Theologen eine besondere Entdeckung.
Frage: Der umbrische Heilige erlebte eine Gesellschaft im Umbruch und eine Kirche im Umbruch. Was bedeutete das für ihn?
Leppin: In erster Linie wohl: Verunsicherung. "Diskrepanzerfahrungen" nenne ich das gerne: Es ist ja nicht so, dass die Kaufleute von Assisi sich nicht christlich verstanden hätten. Beide Eltern waren fromme Christen. Aber Franz erlebte, dass diese Art von Christlichkeit nicht dem entsprach, was er aus der Bibel hörte. Insofern haben sich die Spannungen seiner Zeit auch in ihm abgebildet, aber eine ganz eigene, eng am Evangelium orientierte Form gefunden.
Frage: Was hat er seiner Zeit gegeben?
Leppin: Authentizität. Authentizität und dadurch: Irritation. Man muss sich das vorstellen: Der reiche Kaufmannssohn reitet auf einem Pferd aus – und Wochen später erscheint er als verdreckter, verlumpter Mensch wieder, ein Außenseiter, für viele ein Verrückter. Und dann fängt er an, zur Buße zu rufen, hält seiner Gesellschaft den Spiegel vor die Augen und zeigt, dass etwas nicht stimmt.
Frage: Was sagt er uns heute?
Leppin: Authentizität täte gut in unserer Welt der "Fake News". Und seine Kritik daran, dass Menschen, die sich nur noch durch Ökonomie verzwecken lassen, den Sinn und Halt ihres Lebens verlieren, klingt unglaublich aktuell. Wenn ich so darüber nachdenke, fürchte ich, ich würde auch zu denen gehören, die ihn als verrückt abstempeln – und trotzdem hat er mich gepackt.