Vor 70 Jahren erschien Thomas Mertons "Berg der sieben Stufen"

Der Bestseller vom "Hippie Hermit"

Veröffentlicht am 05.10.2018 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Schriftsteller und Trappist Thomas Merton
Bild: © KNA

Bonn/New York ‐ Der US-Trappist Thomas Merton verschaffte vor 70 Jahren mit einem Buch unzähligen jungen Menschen Zugang zum Ordensleben. Er fühlte sich bald wie ein Abziehbild des kontemplativen Lebens - und ging noch einen anderen Weg.

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Im Oktober 1948 erschien im New Yorker Harcourt Brace Verlag die Autobiografie eines jungen Mannes, der nach bewegten Jugendtagen den Weg in die katholische Kirche und ins Kloster fand. Thomas Mertons "Der Berg der sieben Stufen" schlug sofort ein. Doch konnte es nicht auf der Bestseller-Liste der "New York Times" auftauchen - wegen des religiösen Inhalts. Merton (1915-1968), der als Trappist mit dem Namen Pater Louis der Welt entsagt hatte, begann damit eine 20 Jahre dauernde Karriere im Rampenlicht der Öffentlichkeit. Heute gilt er als einer der bedeutendsten geistlichen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts.

In den USA der unmittelbaren Nachkriegszeit traf Mertons Werk offenbar einen Nerv. Die "New York Times" urteilte: "Sieben Bücher veränderten Amerikas Haltung zur Religion nach 1945. Thomas Merton schrieb eines davon. Die Geschichte von Thomas Mertons Bekehrung liest sich wie die erste aller spirituellen Autobiografien: die Confessiones des Augustinus". Nachdem der Verlag eine ganzseitige Anzeige geschaltet hatte und auf die Entscheidung der NYT hinwies, das Buch nicht in der Bestseller-Liste zu führen, gab die Zeitung nach – und das Buch blieb dort wegen der hohen Verkaufszahlen für ein weiteres Jahr.

Vom Longseller profitiert das Kloster in Kentucky

In 15 Sprachen übersetzt, ist das Buch bis heute als Longseller immer im Druck geblieben. Da Pater Louis ein Armutsgelübde abgelegt hatte, profitierte nicht er von den Tantiemen seines Bestsellers, sondern sein Kloster Gethsameni Abbey im US-Bundesstaat Kentucky. Nach dem Unfalltod von Merton im Dezember 1968 erbte das Kloster die Rechte an seinen Werken.

Viele junge Menschen fanden durch Merton Zugang zum Ordensleben, oft mit einem Exemplar vom "Berg der sieben Stufen" im Koffer. Merton – oder richtiger: Pater Louis war über diese Entwicklung gar nicht glücklich. "Wegen eines Buches, das ich geschrieben habe, bin ich selbst zu einer Art Modellfigur des weltverachtenden Kontemplativen geworden – der Mann, der New York verschmäht, auf Chicago gespuckt und Louisville mit Füßen getreten hat. An dieser Modellfigur eines Kontemplativen bin ich wahrscheinlich selbst schuld. Ich muss versuchen, sie bei Gelegenheit zu zerstören", schrieb er später selbstkritisch.

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Genau das tat er. Pater Louis blieb für jene, die seine weitere Entwicklung in Richtung Friedensaktivist und seine Hinwendung zum Zen-Buddhismus teilten, die Modellfigur eines Kontemplativen. Andere nahmen entsetzt zur Kenntnis, dass ihr Idol zum Rebellen wurde. Er war jetzt der "Hippie Hermit" (Hippie-Eremit), Verfechter eines sozialen Engagements der katholischen Kirche, ein Kämpfer gegen krassen Materialismus und den Vietnam-Krieg. Und er machte die spirituellen Impulse des Buddhismus für das Ordensleben nutzbar.

Joan Baez: Ein Rebell, der Kirchenleuten Mut gab

Seine tiefe Spiritualität verlieh ihm eine hohe moralische Autorität, wenn er sich zu den drängenden Fragen der Zeit äußerte. Pater Louis sieht sich selbst als Zeitzeuge: "Dass ich 1915 geboren wurde, dass ich Zeitgenosse von Auschwitz, Hiroshima, Vietnam und der Rassenunruhen von Watts sein sollte, sind alles Dinge, über die ich vorher nicht gefragt worden bin. Und doch sind es Ereignisse, in die auch ich, ob mir das passt oder nicht, tief und persönlich verwickelt bin."

Daraus resultiert seine Verantwortung, aktiv am Zeitgeschehen teilzunehmen. Warum? Er hege "ein tiefes Misstrauen gegen alle verbindlichen Antworten", schrieb er. "Das große Problem unserer Zeit sind nicht die klaren verbindlichen Antworten auf nett zurechtgemachte theoretische Fragen. Das große Problem ist der Kampf gegen die selbstzerstörerische Entfremdung des Menschen in einer Gesellschaft, die sich in der Theorie zwar menschlichen Werten verpflichtet weiß, in der Praxis aber der Verfolgung der Macht um ihrer selbst willen."

Die Sängerin Joan Baez, die ihn 1967 im Kloster besuchte, sagte später: "Er war ein Rebell. Und dieser Mann, abgeschieden im Kloster, gab Priestern, Ordensfrauen und anderen Kirchenleuten den Mut, Schritte zu gehen, die sie sonst nicht gewagt hätten".

Von Christiane Laudage (KNA)