Die CSU ist selbst schuld
Es stimmt schon, was Horst Seehofer einst als bayerischer Ministerpräsident sagte: "Bayern ist die Vorstufe zum Paradies." Ich mag in dieser Angelegenheit befangen sein, weil ich die ersten knapp 28 Jahre meines Lebens im Freistaat verbracht habe. Aber die Fakten sprechen für sich: Der Himmel ist weiß-blau, die Wiesen grün, das Bier süffig, die Schweinshaxen knusprig. Doch Spaß beiseite: Bayern ist erfolgreich, Bayern funktioniert, Bayern ist sicher. Dass das Land heute in vielen Bereichen deutschlandweit Spitzenreiter ist, liegt in hohem Maße an der CSU. Sie hat Bayern zu dem gemacht, was es ist. Selbst diejenigen, die der Partei nicht wohlgesonnen sind, müssen das anerkennen.
Doch die 37,2 Prozent (vorläufiges amtliches Endergebnis) für die CSU bei der bayerischen Landtagswahl und der damit einhergehende Verlust der absoluten Mehrheit zeigen, dass sich der Wind gedreht hat. Irgendetwas scheint im Argen zu liegen im schönen Bayernland. Ex-Ministerpräsident Edmund Stoiber meinte kürzlich noch, dass die CSU – damals noch in den Umfragen – so abgerutscht sei, liege an den vielen "Zugezogenen", die nicht mit der CSU sozialisiert worden seien. Interessanter Ansatz, aber vermutlich nicht stichhaltig genug. Viel eher liegt es daran, dass das Gesamtbild der Partei in den vergangenen Jahren immer mehr in Schieflage geraten ist. Das hat auch der Wähler registriert.
Wofür steht die CSU heute?
Lange Zeit hatte die CSU ein sehr feines Gespür dafür, was die Menschen im Land bewegt. Das war es, was die Partei so stark gemacht hat. Nicht umsonst lautet ihr Motto "Näher am Menschen". In Hochzeiten waren Partei und Wahlvolk eine Einheit. Sozusagen ein Bollwerk gegen die dummen und überheblichen Sprüche der "Preißn". Das war "Mia san mia" in seiner reinsten Form. Gleichzeitig hat es die CSU immer wieder geschafft, verschiedene politische Strömungen zu integrieren, ohne ihre christlich-konservativen Wurzeln zu vernachlässigen. Vom Landwirt über den Arbeiter bis zum mittelständischen Unternehmer: Alle fühlten sich in der CSU aufgehoben. Das Bild vom rührigen Lokalpolitiker, der sich um die Sorgen der einfachen Leute kümmert, hat sich tief in das Bewusstsein eingebrannt. "Herz-Jesu-Sozialismus" nannten das die Spötter. Doch der Erfolg gab der CSU Recht.
Und wofür steht die CSU heute? Eher für Streit als für Inhalte, möchte man sagen. Da ist etwa der lächerlich anmutende Machtkampf zwischen Horst Seehofer und Markus Söder, wer wann bayerischer Ministerpräsident werden darf. Da sind die ewigen Querschüsse von Horst Seehofer in der Großen Koalition in Berlin, die ein vernünftiges Regieren in der aktuell enorm aufgeheizten politischen Atmosphäre unmöglich machen und das Bündnis aus Union und SPD beinahe schon zum Platzen gebracht hätten. Und da ist das ständige Kopieren von AfD-Positionen in der Flüchtlingsdebatte, was eher der AfD als der CSU genützt hat.
Der Kurs in der Migrationsfrage hat auch die einstige Allianz zwischen CSU und katholischer Kirche zum Bröckeln gebracht. Über ein halbes Jahrhundert waren sie verlässliche Partner, die CSU war so etwas wie der verlängerte parlamentarische Arm der Kirche. Doch die Zeiten, in denen der Pfarrer beim Sonntagsgottesdienst von der Kanzel herab seine Schäfchen aufforderte, ihr Kreuz bei der CSU machen, sind vorbei. Nicht nur Vertreter der Kirchenhierarchie kritisierten die Parteispitze häufig für ihre Aussagen: Viele engagierte Christen haben in den vergangenen Jahren der Partei den Rücken gekehrt, weil sie "ihre" CSU nicht mehr wiedererkennen. Der anhaltende Rechtskurs hat sie verschreckt. Dazu kommt noch der heftige Streit um das Kirchenasyl: CSU-Politiker warfen der Kirche immer wieder vor, dies zu leichtfertig zu vergeben und damit den Rechtsstaat umgehen zu wollen.
Partei und katholische Kirche sind sich fremd geworden
Doch nicht nur in der Migrationsfrage sind sich CSU und Kirche fremd geworden. Ministerpräsident Markus Söder forderte die Kirche vehement auf, sich aus der Politik rauszuhalten – und übersieht dabei, dass es der Kirche, auch aus ihrem Sendungsauftrag heraus, sehr wohl zusteht, sich zu den großen politischen Fragen unserer Zeit zu äußern. Auch der Erlass, wonach in allen bayerischen Amtsstuben ein Kreuz zu hängen hat, hat sich eher als ein Schuss ins eigene Bein erwiesen. Dass sich ein Staat in einem Akt der Selbstvergewisserung auf seine Wurzeln besinnt, ist ja durchaus zu begrüßen. Doch die Art und Weise, wie es präsentiert wurde, hatte ein "Gschmäckle" – nicht nur wegen der Inszenierung vor laufenden Kameras. Das Kreuz sei Sinnbild bayerischer Identität und Lebensart, hieß es. Darf sich ein Politiker anmaßen, die Deutungshoheit über ein religiöses Symbol an sich zu reißen? Das Kreuz ist nicht Folklore. Das Kreuz ist das ewige Heilszeichen, verbunden mit der Zusage: Die Liebe Gottes mit uns Menschen geht bis in den Tod – und darüber hinaus. Darüber kann ein Staat nicht verfügen.
Die nächsten Wochen werden spannend, nicht nur wegen der anstehenden Koalitionsverhandlungen – mit wem auch immer. Die CSU muss sich fragen, wie sie sich inhaltlich aufstellen soll, um die verlorengegangenen Wähler zurückzugewinnen. Markus Söder sagte am Wahlabend: "Es ist ein schmerzhaftes Ergebnis, aber wir nehmen es in Demut an. Wir werden analysieren, was sich für Veränderungen ergeben haben – auch in der Gesellschaft." Die CSU hat die Chance, es besser zu machen. Sie hat nach wie vor den Regierungsauftrag. Bayern wird vorerst das Bayern der CSU bleiben.