Wie es zum Bruch zwischen Moskau und Konstantinopel kam

Die Einheit der Orthodoxie zerbricht an der Ukraine

Veröffentlicht am 16.10.2018 um 15:00 Uhr – Lesedauer: 

Frankfurt am Main ‐ Das Tischtuch ist zerschnitten: Das Moskauer Patriarchat hat dem Patriarchat von Konstantinopel die Kirchengemeinschaft aufgekündigt. Damit eskaliert der Streit um die orthodoxe Kirche der Ukraine. Der Bruch hat eine lange und verwickelte Vorgeschichte.

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Das Zerwürfnis in der orthodoxen Kirche ist da: zuerst hatte das das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel die ukrainisch-orthodoxe Kirche im Alleingang anerkannt – ein Vorgang, der kirchenrechtliche Grenzen weit überschreitet. Russland hat nun deutlich verstimmt reagiert: Die Kirchengemeinschaft zwischen Moskau und Konstantinopel ist seit Montag aufgekündigt. Dieser Konflikt hat eine lange Geschichte.

Wohin geht die ukrainische orthodoxe Kirche?

Am 5. Mai richtete das Oberhaupt der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche, Patriarch Filaret, mit Unterstützung des ukrainischen Präsidenten Pedro Poroschenko, die Bitte an den Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios, eine mögliche Wiederaufnahme und Eigenständigkeit der Ukrainischen Kirche zu gewähren. Der berief eine Synode ein, um diese Frage zu klären. Kurz darauf hatte der Ökumenische Patriarch die Einladung seines Moskauer Amtskollegen, Patriarch Kyrill, abgelehnt, an den traditionellen Feierlichkeiten zur Taufe der Kiewer Rus teilzunehmen. Bartholomaios beteiligte sich stattdessen an der ukrainischen Feier unter Leitung von Patriarch Filaret und Präsident Poroschenko.

Bild: ©picture alliance/dpa/Nikolay Lazarenko

Der neue Präsident der Ukraine nach der Wahl 2014: Petro Poroschenko.

Das Gespräch im Vorfeld zur Vorbereitung auf die Synode wurde von Kritik aus der gesamten orthodoxen Welt überschattet. Der Jerusalemer Erzbischof Theodosios Hanna hatte sich zur Kontroverse bezüglich der möglichen Autokephalie, der Eigenständigkeit, der ukrainisch-orthodoxen Kirche geäußert: In der Ukraine könne nur die Autorität des russischen Patriarchen akzeptiert werden. Ebenso läge die Ukraine kirchenrechtlich unter der Administration des russisch-orthodoxen Bischofs von Kiew, Onuphrij, und sei somit eine Angelegenheit des Patriarchats in Moskau. Mit dieser Aussage widersprach Bischof Hanna dem Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios, der im Juli erklärte, das Patriarchat in Konstantinopel habe die Jurisdiktion über die heutige Ukraine nie vollends abgetreten, damit läge sie somit bis heute bei ihr. Auch der Sprecher des Moskauer Patriarchats, Metropolit Hilarion Alfeyew, zweifelt dieses Argument an: Ihm fehlten dafür die historischen Quellen.

Am 31. August trafen sich Patriarch Bartholomaios und Patriarch Kyrill in Konstantinopel, um die Ukrainefrage zu besprechen. Im Vorfeld meldeten sich der ukrainische wie der russische Präsident zu Wort: Poroschenko plädierte für die Autonomie der ukrainischen Kirche, Putin kritisierte ihn dafür scharf. Das Treffen brachte keine Entspannung: Kurz darauf kündigte das Sekretariat der Heiligen Synode des Ökumenischen Patriarchates von Konstantinopel an, zwei amerikanische Bischöfe als Legaten nach Kiew zu entsenden. Sie sollen den Prozess der Unabhängigkeit der ukrainischen Kirche vorbereiten.

Das Regierungsgremium der russisch-orthodoxen Kirche, der Heilige Synod, forderte die Ausweisung der zwei Legaten aus der Ukraine. Moskau verhängte erste Sanktionen und verbot ukrainisch-orthodoxen Priestern des Moskauer Patriarchats die Teilnahme an Gremien, Liturgien und anderen kirchlichen Feier, an denen sich Vertreter aus Konstantinopel ebenfalls beteiligen.

Konstantinopel wagt den Alleingang

Am 14. September wurden diese Sanktionen noch einmal verschärft. Die Teilnahme der russisch-orthodoxen Kirche "an allen Bischofsversammlungen, theologischen Dialogen, multilateralen Kommissionen und anderen Gremien, in denen Vertreter des Patriarchats von Konstantinopel präsidieren oder Ko-Vorsitzende sind", werde untersagt, berichtete der griechisch-orthodoxe Metropolit von Deutschland, Augoustinos, in einem Brief an die deutschen orthodoxen Kirchen. Zum ersten Mal drohte die russisch-orthodoxe Kirche mit einer Spaltung vom Ökumenischen Patriarchat.

Patriarch Kyrill I.
Bild: ©KNA

Kyrill I. ist Patriarch der Russisch-orthodoxen Kirche.

Kurz vor dem Beschluss am 11. Oktober wurden Stimmen aus der ganzen orthodoxen Welt laut. Ein panorthodoxes Konzil wurde gefordert, um die Ukrainefrage zu klären. Stattdessen folgte der Alleingang Konstantinopels. Nach ausführlichen Beratungen stellte das Chefsekretariat des Heiligen Synod folgende Punkte zusammen:

  1. Das Ökumenische Patriarchat bemühe sich weiterhin, die Autokephalie, also die kirchenrechtliche Eigenständigkeit, der Ukrainischen Kirche zu gewähren.
  2. Stavropegia sollen in der Ukraine wiederhergestellt werden, das sind Klöster, die direkt dem Ökumenischen Patriarchen untergeordnet sind.
  3. Die Anträge auf Rückkehr in die Kirche, wie beispielsweise von Patriarch Filaret und Makariy Maletych, dem Metropoliten von Kiew, und ihren Gläubigen, die sich nicht aufgrund von dogmatischen Gründen von der Kirche abgespalten haben, werden überprüft und angenommen. Die genannten Personen und ihre Gläubigen werden in ihren hierarchischen oder priesterlichen Rängen anerkannt, ihre Gläubigen befinden sich damit in Einheit mit dem Ökumenischen Patriarchat.
  4. Der Synodalbrief von 1686 wird wiederrufen. Damit entfalle das Recht des Patriarchen von Moskau, den Metropoliten von Kiew zu ordinieren. Der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel soll somit wieder in der Liturgie als erster memoriert werden.
  5. Außerdem appelliert der Synod an alle Parteien, jegliche Gewalt und Vergeltung zu vermeiden und Klöster, sowie sich keine Kirchen anzueignen, damit der Frieden in dem Land gewahrt wird.

Die orthodoxen und orientalischen Kirchen

Die eine Kirche Christi tritt in verschiedensten Formen auf, etwa in den orthodoxen und orientalischen Kirchen. Wir erklären das katholische Verständnis von "Kirche", was das für die Ökumene bedeutet und stellen unterschiedliche Traditionen vor.

Auch wenn die Eskalation durch die Erklärung Konstantinopels besonders deutlich ist: Der Streit um die Ukraine geht einem bestimmten Muster nach. Schon beim Panorthodoxen Konzil, das 2016 auf Kreta stattgefunden hatte, fehlte neben den Patriarchaten von Bulgarien, Georgien und Antiochien auch das russische Oberhaupt. Das zeigte schon die inneren Spannungen, unter welchem die orthodoxe Kirche bereits damals litt. Der offizielle Grund für das Ausbleiben der russischen Kirche war die Frage nach der Legitimität des Konzils. Bulgarien, Georgien und Antiochien sagten vorher ihre Teilnahme ab, somit wurde das gesamte Konzil von russischer Seite infrage gestellt.

Serbien und Antiochien haben bereits Warnungen ausgesprochen

Mit dem Beschluss der Synode des Ökumenischen Patriarchates hatte sich die Situation zwischen Konstantinopel und Moskau verschlechtert. Das Ökumenische Patriarchat hat zuerst eigenmächtig eine aus Sicht der Mehrheit der orthodoxen Kirche schismatische Kirche wiederaufgenommen und somit nicht nur die kirchliche Integrität des Moskauer Patriarchates untergraben, sondern das gesamte System der synodalen Kirchenstruktur ignoriert. Falls der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel diesen Alleingang weiterverfolgt und der ukrainischen Kirche zusätzlich noch die Eigenständigkeit, die Autokephalie, zuerkennt, drohen Konsequenzen aus der gesamten Orthodoxie. Serbien und Antiochien haben bereits derartige Warnungen ausgesprochen.

Der ökumenische Patriarch Bartholomaios I. von Konstantinopel
Bild: ©KNA

Der ökumenische Patriarch Bartholomaios I. von Konstantinopel auf dem orthodoxen Konzil auf Kreta 2016. Schon damals wurden sich die orthodoxen Kirchen nicht einig: Viele, darunter die russische, blieben fern.

Der dritte Punkt der Veröffentlichung des Ökumenischen Patriarchates ist äußerst brisant. Dieser Absatz ist ein Freifahrtschein für alle Kirchen, die sich nicht aus dogmatischen Gründen getrennt haben, in die Orthodoxie zurückzukehren. Konstantinopel hat diesen Beschluss im Alleingang ohne die anderen orthodoxen Kirchengefasst. Damit würde Konstantinopel auch den wiederanerkannten Kirchen als Mutterkirche vorstehen, andere Nationalkirchen müssten diese Kirchen automatisch anerkennen – sonst droht wiederum ihnen der Bruch mit Konstantinopel.

Es fehlen tragfähige kirchenrechtliche Gründe

Für die Aufkündigung des Synodalbriefes von 1686 fehlen tragfähige kirchenrechtliche Gründe. Konstantinopel konnte mit Verweis auf die Sondersituation zur Zeit der türkischen Herrschaft im 17. Jahrhundert und aufgrund der undurchsichtigen historischen Quellenlage zwar den Synodalbrief zurücknehmen und so den eigenen Anspruch auf die Verwaltung der Kirchen der Ukraine behaupten. Kirchenrechtlich ist der Entzug der Rechte jedoch kaum zu begründen. Das orthodoxe Kirchenrecht sieht eigentlich Fristen von drei Jahren vor, innerhalb derer Bistümer wieder zu ihrer ursprünglichen Jurisdiktion zurückkehren müssen, bevor dieser Anspruch verwirkt sowie eine 30-jährige Frist für eine konziliare Klärung von Streitigkeiten über die Jurisdiktion von Pfarreien. Dazu kommt, dass das alte Bistum der Ukraine nur die Region um Kiew umfasste, während die Bistümer im Osten und Süden des Landes vom Moskauer Patriarchat gegründet wurden.

Über dem Dnepr hebt sich das Kiewer Höhlenkloster aus den Bäumen.
Bild: ©alexey_fedoren / Fotolia.com

Über dem Dnepr hebt sich das Kiewer Höhlenkloster aus den Bäumen.

Mit seinem Status als "primus inter pares", als erster unter Gleichen, kann der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel nicht argumentieren; mit diesem Status sind keine kirchenrechtlichen Sonderbefugnisse verbunden. Es bräuchte eine gemeinsame Synode zwischen Konstantinopel und Moskau zur Klärung.

Befriedung oder Zerstörung der Ukraine?

Das Moskauer Patriarchat und somit die russische Regierung hatten aufgrund ihres Bistums in der Ukraine eine gewisse Autorität behalten auch nach den Protesten des Euromaidans im Jahr 2013 um die Westbindung der Ukraine. Somit standen ukrainisch-orthodoxe und russisch-orthodoxe Kirchen gegeneinander. Zahlreiche Kirchen wurden von beiden Seiten verwüstet oder gar in Brand gesteckt. Die ukrainische Regierung entzog dem Moskauer Patriarchat nach und nach Baugenehmigungen für Kirchen und ließ Kapellen abreißen. Ukrainische Milizen räumten Kirchen des Moskauer Patriarchates. Russische Priester traten zur ukrainischen Kirche über. Der Kampf, der die Ukraine nach dem Euromaidan erschütterte, richtete sich somit stets auch gegen das Moskauer Patriarchat.

Aufgrund dieser Vorkommnisse entschied sich das Ökumenische Patriarchat, den fünften Punkt einzufügen, der zu Gewaltverzicht aufruft. Bartholomaios möchte die Ukraine mit einer Separierung beider Nationalkirchen befrieden. Russland soll keine Macht mehr in der Ukraine besitzen. Dieser fromme Wunsch kann jedoch verheerende Folgen haben. Zwei Gewaltszenarien drohen: einerseits die gewaltsame Räumung der russischen Kirchen und zeitgleich die Ausweisung von russischen Priestern, die sich nicht freiwillig der ukrainischen Kirche anschließen wollen. Andererseits eine gewaltsame Einverleibung der ukrainischen Kirchen in das Moskauer Patriarchat und die strikte Aufrechterhaltung der Integrität des Moskauer Patriarchates in der Ukraine.

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Ukraine-Flaggen und Stacheldraht auf dem Maidan-Platz in Kiew: 2013 begannen die Proteste um die Westbindung der Ukraine.

Am Montag folgte dann der Paukenschlag des Moskauer Patriarchates: Die Synode der russisch-orthodoxen Kirche entschied, jede Verbindung zum Ökumenischen Patriarchat abzubrechen bis hin zur eucharistischen Gemeinschaft.

Die Trennung

Der Leiter der Abteilung für kirchliche Außenangelegenheiten des Moskauer Patriarchats, Metropolit Hilarion, erklärte nach der Synode den Bruch. "Die Entscheidungen des Ökumenischen Patriarchates sind rechtswidrig und kanonisch nichtig." Die russisch-orthodoxe Kirche werde daher diese Entscheidungen nicht anerkennen und ihnen auch nicht folgen. Man hoffe darauf, "dass der gesunde Menschenverstand sich durchsetzen wird und das Ökumenische Patriarchat seine Haltung ändern wird". Solange allerdings die "illegale und antikanonische Entscheidung" bestehe, könne das Moskauer Patriarchat nicht in der Gemeinschaft mit dem von Konstantinopel bleiben.

In der nach der Synode veröffentlichten Erklärung spricht die russisch-orthodoxe Kirche von "rücksichtslosen und politisch motivierten Entscheidungen, die das Verlangen nach Wiederherstellung der Einheit der ukrainischen Orthodoxie heuchlerisch begründen". Die Erklärung Konstantinopels führe "zu noch größerer Spaltung" und verschärfe das Leiden der kanonischen orthodoxen Kirche der Ukraine". Moskau wirft dem Ökumenischen Patriarchat vor, sich selbst die Befugnis für gerichtliche Entscheidungen zu übertragen. Anstelle des traditionellen Ehrenvorsitzes eines "primus inter pares" maße sich der ökumenische Patriarch die Rolle eines "primus sine paribus", eines "Ersten ohne Gleichen", an. Die weiteren kanonischen Punkte der Konstantinopler Erklärung, darunter die Aufkündigung des Synodalbriefs, seien rechtlich nicht zulässig. Akzeptiere man sie, drohe die Gefahr willkürlicher Revision weiterer Grundsätze.

Hilarion Alfejew
Bild: ©KNA

Hilarion Alfejew ist russisch-orthodoxer Metropolit von Wolokolamsk und Leiter des Außenamtes des Moskauer Patriarchats.

Es geschah das, was viele Gläubige befürchteten und zum Teil auch wollten: Der Ökumenische Patriarch wird für seinen Alleingang abgestraft – und zwar mit einem Alleingang des Moskauer Patriarchates. Diese Entscheidung kam überraschend. Kurz zuvor gab es noch Hoffnungen auf eine Einberufung eines Panorthodoxen Konzils zur Klärung des Konflikts. Moskau geht zwar nicht so weit, Konstantinopel eigenmächtig aus der gesamten Orthodoxie auszuschließen und für sich den Rang eines "Dritten Roms" nach Konstantinopel, dem zweiten Rom in der orthodoxen Kirche, zu beanspruchen. Es bleibt jedoch abzuwarten wie das Ökumenische Patriarchat in nächster Zeit reagieren wird und wie sich andere Patriarchate, wie Bulgarien, Serbien, Rumänien, Georgien, Antiochien, Jerusalem oder Alexandrien dazu verhalten werden. Eines bleibt klar: Die orthodoxe Kirche ist gespalten und wird, wenn nicht ein Wunder geschieht, es auch noch eine Weile bleiben.

Von Alexander Radej

Der Autor

Alexander Radej ist Theologe und Religionswissenschaftler. Der orthodoxe Christ ist Herausgeber von Orthodoxia-News, einer Informationsplattform über die orthodoxen Kirchen in deutscher Sprache.