Warum die Bayern am dritten Oktobersonntag Kirchweih feiern
Früher war ein Gotteshaus nicht nur religiöser, sondern auch gesellschaftlicher Mittelpunkt eines Ortes. Damals hatten die Leute ein feines Gespür dafür, dass die Weihe einer Kirche etwas Besonderes ist. Daher wurde der alljährliche Jahrestag der Kirchweihe früher überall festlich begangen – nicht nur geistlich, sondern vor allem auch weltlich. Das Fest dauerte oft mehrere Tage. Gerade in Bayern haben sich in diesem Zusammenhang viele Bräuche entwickelt. Kein Wunder: Schließlich sind die Bayern dafür bekannt, besonders feierfreudig zu sein. Nicht umsonst gibt es bei ihnen ein Sprichwort, das besagt: "A richtiger Kirta dauert bis zum Irda, wann sies duat schicka, aa bis zum Migga." Zu Deutsch: Eine richtige Kirchweih dauert bis Dienstag, und wenn es sich schickt, auch bis Mittwoch.
Lange war es üblich, dass eine Kirchweih entweder am tatsächlichen Jahrestag der Weihe oder – falls das Weihedatum unbekannt war – um den Gedenktag des Patrons gefeiert wurde. Auf dem Land war die Kirchweih eine wichtige Institution. Gerade die weltlichen Feierlichkeiten hatten es in sich: Das Bier floss in Strömen, ein Stück Braten nach dem anderen wurde verdrückt, es wurde getanzt, es wurde "angebandelt" (bayerisch für flirten) und es gab ein spezielles Unterhaltungsprogramm. Und weil der Bayer ein geselliger Mensch ist, sind die Nachbardörfer beinahe geschlossen zum Mitfeiern gekommen.
Wer soll da noch arbeiten?
So ging das reihum von Dorf zu Dorf. Aber wer soll da noch arbeiten, wenn quasi ständig eine ganze Gegend auf einem Kirchweihfest versammelt ist? Das fragte sich auch die bayerische Obrigkeit. Deshalb überlegte sie sich etwas, um dem ausschweifenden Treiben Einhalt zu gebieten: Es sollte ein einheitliches Datum für das Weihegedenken sämtlicher bayerischen Kirchen geben, und zwar am dritten Sonntag im Oktober. So kann jedes Dorf für sich feiern, und die Leute sind nicht ständig durch Feste in den Nachbarorten abgelenkt. Die Kirche war mit im Boot: 1866 führten die bayerischen Bistümer und Erzbistümer diesen Erlass ein. Der Volksmund nannte den Tag bald "Allerweltskirta". Doch in manchen Gegenden regte sich Widerstand. Viele Dörfer dachten gar nicht daran, ihr originäres Kirchweihfest aufzugeben – und feierten am allgemeinen Weihegedenktag einfach nochmal.
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Heutzutage wird der zentrale Kirchweihsonntag nur noch in jenen Kirchen liturgisch begangen, von denen man den Weihetag nicht kennt. In allen anderen Kirchen wird am dritten Oktobersonntag der gewöhnliche Sonntag im Jahreskreis liturgisch gefeiert. Dort, wo der Weihetag der Kirche bekannt ist, wird er auch tatsächlich an diesem Tag beziehungsweise am Sonntag darauf gefeiert.
Der Zachäus weht auf dem Kirchturm
Ein untrügliches Zeichen, dass ein Dorf Kirchweih feiert, liefert der "Zachäus". So heißt die rote Fahne mit weißem Kreuz, die an einigen Orten am Kirchturm angebracht wird. Ihren Namen erhielt die Fahne vom Evangelium des Kirchweihsonntags (Lk 19,1-10). Darin wird die Geschichte des Zöllners Zachäus erzählt, der auf einen Baum stieg, weil er Jesus sehen wollte.
Auch wenn der zentrale Feiertag längst nicht mehr Pflicht ist, hat sich der "Allerweltskirta" in den Köpfen festgesetzt. Ausschweifende Feste gibt es zwar nicht mehr, aber in Bayern ist es vielerorts noch üblich, dass Amtsleute am darauffolgenden Montag einen halben Tag frei haben.
Dieser Artikel erschien erstmals am 21. Oktober 2018.