Katholische Hilfswerke kritisieren Wahlsieger Bolsonaro

Nach Wahl in Brasilien: Zurück in die Militärdiktatur?

Veröffentlicht am 29.10.2018 um 17:56 Uhr – Lesedauer: 

Bonn/São Paulo ‐ Die Prognosen waren zutreffend: Am Sonntag ist in Brasilien der rechtsextreme Kandidat Jair Bolsonaro zum Präsidenten gewählt worden. Die katholischen Hilfswerke sind besorgt, denn der Wahlsieger hatte zuvor eine "Säuberung" des Landes angekündigt.

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Frauenfeindlich, rassistisch, homophob – so wird Jair Bolsonaro oft beschrieben. Der brasilianische Politiker weist diese Bezeichnungen nicht zurück, sondern tut vielmehr alles, um sie zu bestärken. So sagte Bolsonaro etwa vor einigen Jahren, dass seine Kinder gar nicht homosexuell sein könnten oder sich in eine afrobrasilianische Frau verlieben würden, da sie "gut erzogen seien". Zudem ist der 63-jährige Hauptmann der Reserve ein Verehrer der Militärdiktatur, die ab 1964 in Brasilien 21 Jahre lang brutal herrschte. Die einzige Kritik Bolsonaros an dieser Zeit: Es wurde zu viel gefoltert und zu wenig getötet. Dieser Mann, Jair Bolsonaro, wurde am Sonntag zum neuen Präsidenten Brasiliens gewählt.

Experte: "Bolsonaro will zurück in die Militärdiktatur"

Nach Bolsonaros Wahlsieg mit 55 Prozent der Stimmen über seinen linken Gegenkandidaten Fernando Haddad ist die Besorgnis über Brasiliens Zukunft groß – auch in Deutschland. "Bolsonaro will zurück in die Militärdiktatur", befürchtet Norbert Bolte vom katholischen Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat. "Auch wenn alle hoffen, dass seiner Rhetorik keine Taten folgen, sollte man sich da keinen Illusionen hingeben", ist der Brasilien-Referent überzeugt. Tatsächlich hatte Bolsonaro in seiner Zeit als Abgeordneter im brasilianischen Parlament gesagt, man solle die "Arbeit der Militärgeneräle beenden" und vermeintliche Gegner des Staates umbringen. Ohnehin könne man "mit Wahlen nichts erreichen".

Doch trotz seiner offenen Verachtung für die freiheitliche Demokratie bekannte sich Bolsonaro unmittelbar nach seiner Wahl zur Verfassung des fünftgrößten Landes der Erde. "Diese Regierung wird die Verfassung verteidigen, die Demokratie und die Freiheit", verkündete der Wahlsieger überraschend. Noch vor wenigen Wochen hatte Bolsonaro im Wahlkampf seinen politischen Gegnern um Präsidentschaftskandidat Haddad mit Verfolgung gedroht: "Es wird in Brasilien eine niemals gesehene Säuberung geben."

Bild: ©KNA

Der katholische Priester und Brasilien-Kenner Pirmin Spiegel ist seit 2012 Geschäftsführer des Bischöflichen Hilfswerks Misereor.

Erste Vorboten der angedrohten Gewalt konnte Brasilien-Experte Bolte bereits vor Bolsonaros Triumph ausmachen: "Die Militärpolizei ist bereits in den letzten Tagen vor dem zweiten Wahlgang in mehr als 20 Universitäten eingedrungen, um Debatten aufzulösen." Freie Meinungsäußerung sei schon jetzt "an diesen Symbolorten des Widerstandes gegen die Militärdiktatur" nicht mehr möglich. Zudem fühlten sich Bolsonaros Anhänger durch seine aggressive Rhetorik ermutigt, gewalttätig auf politisch Andersdenkende loszugehen. "In manchen Regionen liefen Anhänger des Gegenkandidaten Haddad Gefahr, gelyncht zu werden", so Bolte. Auch um die brasilianischen Partner des Hilfswerks macht er sich Sorgen: "Unsere Adveniat-Projektpartner werden bereits verfolgt und angegriffen, weil sie sich für Arme, Indigene, Afrobrasilianer oder Häftlinge einsetzen."

Ein "schwarzer Tag" für Indigene

Diese Bedenken teilt auch Yvonne Bangert von der Gesellschaft für bedrohte Völker aus Göttingen. Sie bezeichnete die Wahl sogar als "schwarzen Tag" für die indigenen Völker. In den vergangenen Jahrzehnten waren viele Territorien der Ureinwohner rechtlich anerkannt worden. Da Bolsonaro seinen Erfolg zu einem großen Teil den wirtschaftlichen Eliten Brasiliens verdankt, versprach er im Wahlkampf, den traditionellen Völkern "keinen Zentimeter Land" zu geben. Nun könnten diese Landstriche ihren Schutzstatus verlieren und für die Rohstoffförderung geöffnet werden. "Ohne einen wirksamen Schutz der Wälder sind auch ihre indigenen Bewohner akut bedroht", so Bangert.

Pirmin Spiegel, der Geschäftsführer des Bischöflichen Hilfswerks Misereor, kennt Brasilien von seiner 15-jährigen Tätigkeit als Pfarrer dort sehr gut. "Nach der Wahl von Jair Bolsonaro befürchte ich, dass die Rechte der Minderheiten und Verletzlichsten in Brasilien drastisch eingeschränkt werden", so Spiegel. Besonders Nichtregierungsorganisationen würden keinen Einfluss mehr erhalten. Diese treffe auch die katholische Kirche und ihre Einrichtungen, ist sich Spiegel sicher. Schließlich hatten sich die brasilianischen Bischöfe offen gegen den nun gewählten Präsidenten gestellt. Der evangelikale Christ Bolsonaro beschimpfte sie in den letzten Wochen daher als "verfaulten Teil der Kirche". Bereits während der brasilianischen Militärdiktatur hatte die katholische Kirche das herrschende Regime kritisiert und sich für die an Armut leidende Bevölkerung eingesetzt. Spiegel ist überzeugt: "Zivilcourage wird mehr denn je notwendig sein." Auch heute.

Von Roland Müller