Katholisch und hochbegabt – Hier lernen die Studenten des Cusanuswerks
Wenn Siegfried Kleymann vom Cusanushaus spricht, wird schnell klar, dass ihm dieses Projekt eine Herzensangelegenheit ist: Mit Begeisterung in der sonst eher bedächtigen Stimme erzählt der Geistliche Rektor des Cusanuswerks, wie in der alten Villa im Bonner Ortsteil Mehlem Studierende unterschiedlicher Fachrichtungen gemeinsam lernen. Die Augen des Pfarrers beginnen freudig zu strahlen, als er die gemeinschaftlichen Gebete beschreibt, die dem Alltag der Besucher im Cusanushaus einen Rhythmus geben. Enthusiastisch gestikuliert Kleymann mit seinen Händen, während er von den fast durchweg positiven Rückmeldungen berichtet, die ihm die Teilnehmer der dort regelmäßig stattfindenden "Ora et labora"-Kurswochen geben.
"Büffeln und Beten" in Bonn
Kein Wunder, dass Kleymann so sehr Feuer und Flamme für das geistliche Studienhaus des Cusanuswerks ist – er hat es 2012 schließlich selbst gegründet. Bereits bei seinem Amtsantritt als Geistlicher Rektor 2010 hatte er die Idee für das Projekt: "Aus meiner Arbeit in der Studierenden-Pastoral in Münster kannte ich das Konzept des gemeinsamen Lernens auf Zeit", sagt der ehemalige Hochschulpfarrer. "'Büffeln und Beten' haben wir das genannt", erklärt er und grinst. Das Angebot ist schnell erklärt: Studenten unterschiedlicher Fachbereiche fahren für eine Woche in ein Kloster oder Tagungshaus. Verschiedene Gebete und die gemeinsamen Mahlzeiten gliedern den Tag. "Das wollte ich für die Stipendiaten des Cusanuswerks auch anbieten, aber in einem festen Haus", so Kleymann. Nach Gesprächen mit dem Erzbistum Köln war rasch ein geeigneter Ort gefunden: das ehemalige Pfarrhaus in Bonn-Mehlem, eine Villa aus der Zeit Ende des 19. Jahrhunderts, die von einem Industriellen-Ehepaar der Kirche vermacht worden war.
In der Tat scheint es keinen passenderen Standort für ein Studienhaus zu geben, als Mehlem: Die Haupteigenschaft des 9.000 Einwohner zählenden Ortsteils der ohnehin schon beschaulichen Ex-Hauptstadt Bonn ist die große Ruhe, die dort vorherrscht. Die unmittelbare Nähe zum Rhein und dem Siebengebirge am gegenüberliegenden Flussufer bieten den Teilnehmern der Kurswochen des Cusanushauses Rheinromantik pur. Für einige Cusaner, wie die Stipendiaten des Cusanuswerks genannt werden, sei Mehlem sogar zu einem "geistlichen Heimatort" geworden, erzählt Kleymann.
Lena Pfeifer und Johannes Kassel können das nur bestätigen. Beide sind Cusaner und waren bereits mehrmals in Mehlem zu Gast. "Die Gebetszeiten am Morgen und Abend geben mir oft neue Impulse", verrät Kassel, der in Potsdam Physik und Philosophie studiert. Seine Konstipendiatin Pfeifer ist in Heidelberg für Anglistik und Philosophie eingeschrieben. Sie schätzt besonders das freiwillige Meditationsangebot von Kleymann, das um 7 Uhr stattfindet – bereits eine halbe Stunde vor dem verpflichtenden Morgengebet. "Das ist für mich ein richtiger Ruhepol", sagt die 25-Jährige begeistert. Sie ist für eine Woche nach Mehlem gekommen, um sich in die Thematik ihrer Masterarbeit einzulesen: Politische Lyrik Nordirlands der 90er- und 2000er-Jahre, lautet ihr Thema. Andere der maximal zehn Teilnehmer an den Kurswochen schreiben ebenfalls an Abschluss- und Hausarbeiten oder bereiten sich auf Prüfungen vor. "Im Cusanushaus gefällt mir besonders die straffe Struktur. Sie hilft mir dabei, mich zu konzentrieren", so Pfeifer. Doch auch ihr Vorsatz, nur einmal am Tag ihre Emails zu lesen, trage dazu bei, sich auf die Arbeit zu konzentrieren, ist sie überzeugt.
Neben dem Morgengebet, das sich am kirchlichen Stundengebet orientiert, gibt es jeden Tag um 18.30 Uhr eine Abendandacht. Diese hat eine freiere Struktur und kann auch von den Studierenden gestaltet werden, erklärt Kleymann. Mehrmals in der Woche feiert er zudem abends anstatt der Andacht die Heilige Messe in der Kapelle des Hauses, die für ihn "Herz und Mitte des Cusanushauses" ist. Damit bezieht sich der Geistliche Rektor zum einen auf die Architektur, denn die Kapelle befindet sich auf der zweiten von drei Etagen etwa im Mittelpunkt der Villa. Zum anderen sei sie aber auch das Zentrum des Konzepts des geistlichen Studienhauses: "Ich möchte den Stipendiaten vermitteln: 'Wissenschaftliche Arbeit ist Gottesdienst'", stellt Kleymann klar.
Viele Studenten hätten Probleme damit, die "Würde ihrer alltäglichen Arbeit" zu erkennen und würden ihre intellektuellen Fähigkeiten für selbstverständlich halten. Auch blickten die Stipendiaten zu sehr auf die Zukunft und zu wenig auf das Hier und Heute, meint Kleymann – auch wenn das bei Studenten natürlich verständlich sei. Für den Priester zeige sich daran die eigentliche Frage nach Berufung: "Kann ich wahrnehmen, dass mein Sein und Tun von Gott kommen?" Eine Frage, der er in seinen Impulsen während der Gebete regelmäßig nachgeht. Zusätzlich bietet Kleymann geistliche Begleitgespräche für die Gäste des Cusanushauses an, bei denen diese, aber auch persönliche Fragen thematisiert werden können. Normalerweise geht er für diese Unterhaltungen mit den Stipendiaten am Rhein entlang. "Zum Spazierengehen komme ich hier mehr als genug", sagt Kleymann und schmunzelt.
Der Priester will jedoch mehr als eine Art geistlicher Herbergsvater sein. Deshalb lebt er selbst dauerhaft im Cusanushaus, gemeinsam mit den meist kurzzeitigen Mitbewohnern. Denn manchmal gibt es Cusaner, die mehrere Monat bleiben, etwa für ein Praktikum oder das Verfassen ihrer Doktorarbeit. Darüber freut sich Kleymann, denn so würde dem "kirchlichen Co-Working-Space", wie er das Cusanushaus augenzwinkernd nennt, eine größere Kontinuität verliehen. Wichtig war ihm seit Beginn des Projektes zudem, dass alles einfach gehalten ist. "Die Betten sind gebraucht und stammen aus dem Franz-Hitze-Haus in Münster, die Schränke aus dem früheren Mehlemer Pfarrbüro", erinnert er sich. Alle Gäste sind in Doppelzimmern untergebracht und es gibt eine Essenskasse, in die jeder einzahlt, was er beitragen kann und für angemessen hält. Im vergangenen Jahr nahmen 423 Cusaner das Angebot des geistlichen Studienhauses in Anspruch. Auch 2018 werden es in etwa so viele sein, schätzt Kleymann.
Wichtig ist ihm, dass Gebets-, Arbeits- und Freizeit im Haus in einer guten Balance bleiben, gerade bei den Stipendiaten des Cusanuswerks. Sie seien "besonders begabte und engagierte junge Katholiken", die jedoch oft einen hohen Anspruch an sich selbst und ihre wissenschaftliche Arbeit hätten. Die Bezeichnung "Elite" weist Kleymann für die Cusaner jedoch entschieden zurück. Der Priester achtet sehr genau darauf, dass jeden Tag um Punkt halb sieben "die Griffel fallen gelassen werden". Die "kontemplative Ruhe des Studiums" mit dem Geräusch des konzentrierten Tippens auf den Tastaturen, verwandelt sich dann zunächst in andächtiges Singen und kurz darauf in gesellige Unterhaltungen beim Abendessen, für das die Hausbewohner selbst sorgen.
"Wir Cusaner fühlen uns der Kirche verbunden"
Die Gespräche am Abendbrottisch würden das Herz wohl jedes Bildungsbürgers erfreuen: Die Stipendiaten zitieren gemeinsam Goethes Zauberlehrling, leiten die griechischen Ursprünge von Fremdwörtern her und philosophieren über Gott und die Welt. Das rührt auch daher, dass die meisten Cusaner eine kirchliche Prägung hätten, die "mehr oder wenig stark" sei, erklärt Johannes Kassel. Dafür ist er selbst ein gutes Beispiel, denn als Nicht-Theologe lässt er ganz selbstverständlich Begriffe wie "ultramontan" und "vorkonziliar" ins Gespräch einfließen. "Wir Cusaner fühlen uns der Kirche verbunden, wenn auch oft eher kritisch", gibt er zu. Deshalb ist unter ihnen das Interesse an den aktuellen Vorgängen in der Kirche groß: Die Causa Wucherpfennig wird eingehend bei abendlichen Gesprächsrunden diskutiert, aber auch der kirchliche Missbrauchsskandal beschäftigt die Stipendiaten. Nicht umsonst haben sie an einem ihrer freien Abende den Oscar-prämierten Film "Spotlight" geschaut, der sich mit sexuellem Missbrauch von Kindern durch katholische Priester in den USA auseinandersetzt.
"Es ist schwieriger geworden, katholisch zu sein. Man muss sich mehr rechtfertigen", beschreibt Lena Pfeifer die Situation für die jungen Gläubigen. Kassel hingegen glaubt, die Kirche müsse mehr Räume schaffen, in denen diskutiert werde. Die Gläubigen müssten erleben können, dass alle Getauften ein essentieller Teil der Kirche seien, nicht nur die Kleriker. "Ein solcher Ort ist auf jeden Fall das Cusanushaus", sagt er. Als Siegfried Kleymann diesen Satz hört, weitet sich sein Mund zu einem Lächeln, wie so oft den Tag über im Cusanushaus. Man sieht ihm an, dass er sich freut, einen solchen Ort ins Leben gerufen zu haben.