Forum für ein neues Miteinander
Gibt es im 21. Jahrhundert ein "deutsches Judentum"? Wie sinnvoll ist das Reden von einer jüdischen Renaissance, wenn sich Juden heute ganz neu und in Abgrenzung zu alten Bildern und Vorstellungen definieren? Und wie ist dem neu erwachenden Antisemitismus in Deutschland zu begegnen? Fragen wie diese stehen über dem von der Leo Baeck Foundation und der Berliner Senatsverwaltung für Kultur organisierten "Jüdischen Zukunftskongress", der an diesem Montag in Berlin beginnt.
Eine Woche lang wollen sich die Teilnehmer des Kongresses bei Vorträgen, Podiumsdiskussionen und Workshops an mehreren Veranstaltungsorten in der Hauptstadt mit der Gegenwart und Zukunft des Judentums in Deutschland auseinandersetzen – und dabei immer wieder auch den Blick in die Geschichte werfen. Schließlich ist es kein Zufall, dass der Kongress kurz vor dem 80. Jahrestag der Reichspogromnacht vom 9. November 1938 stattfindet, bei der in ganz Deutschland die Synagogen in Flammen aufgingen.
Kaum vorstellbare Vielfalt jüdischen Lebens in Deutschland
80 Jahre später sei das jüdische Leben in Berlin und der Bundesrepublik so vielfältig, wie es nach Zweitem Weltkrieg und dem Holocaust kaum vorstellbar gewesen sei, so die Veranstalter des Kongresses. Die Erinnerung an die Vertreibung und Vernichtung jüdischen Lebens treffe heute auf eine dynamische jüdische Zivilgesellschaft. In Religion, Kultur, Wirtschaft, Politik und Wissenschaft gestalteten junge Juden nicht nur ihre eigene vielstimmige Gemeinschaft, sondern auch die Gesamtgesellschaft mit.
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Diese besondere Situation soll nach dem Willen der Veranstalter die Basis für die Debatten auf dem Kongress sein. "Wir verstehen den Kongress als Forum, das Impulse für die Konsolidierung, aber auch Erneuerung jüdischen Lebens in Deutschland in seiner ganzen Vielfalt geben kann", so die Senatsverwaltung. Das neue Selbstbewusstsein und die Zuversicht der jungen jüdischen Gemeinschaft sollten bei dem Kongress, der auch von der Bundeszentrale für politische Bildung unterstützt wird, im Zentrum stehen. Somit solle eine "klare gesamtgesellschaftliche Perspektive auf ein neues Miteinander" eröffnet werden – in Berlin, Deutschland und Europa.
"Es ist für uns wichtig, nach vorne zu gucken"
"Es ist für uns wichtig, nach vorne zu gucken", sagt der Rabbiner Walter Homolka, der den Kongress als Vorstand der Leo Baeck Foundation mit initiiert hat. Die jüdische Gemeinschaft steht nach seinen Worten vor vielen Herausforderungen: "Von außen bedroht sie Antisemitismus, von innen strebt eine wachsende jüdische Zivilgesellschaft nach Teilhabe an den Diskursen und gleichberechtigter Wahrnehmung." Er hoffe auf eine positive Sicht am Ende des Kongresses. "Dass Juden zuversichtlich in ihre Zukunft schauen, hierbleiben und gestalten möchten. Und dass unsere Gäste Neues lernen und gemeinsam mit uns an dieser Zukunft arbeiten", so Homolka.
Der Rabbiner beschreibt die derzeitige Stimmung unter vielen der rund 120.000 Juden in Deutschland als ein "trotziges 'Dennoch'" und schiebt hinterher: "Wegschieben lassen wir uns nicht." Die große "unteilbar"-Demonstration gegen Ausgrenzung und Rassismus Mitte Oktober in Berlin sei ermutigend gewesen. In der Mehrheitsgesellschaft in Deutschland werde die jüdische Zivilgesellschaft in ihrer Vielfalt aber oft noch nicht wahrgenommen, so Homolka. Das gelte auch für das Gemeindeleben. Daher: "Jeder kann zu unserem Kongress kommen, bei freiem Eintritt. Wir öffnen uns und fordern Offenheit ein, wir möchten an gesellschaftlichen Debatten teilhaben und auch neue anstoßen."