Eine Pilgertour durchs Bistum Rottenburg-Stuttgart

Gehen Sie mit auf dem Martinusweg!

Veröffentlicht am 11.11.2018 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Heute ist Sankt Martin. Eine Pilgerroute, die ganz im Zeichen des beliebten Heiligen steht, ist der Martinusweg in der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Er führt von Martinskirche zu Martinskirche. Doch es gibt auch liebliche Landschaften und weitere kulturelle Schätze zu entdecken.

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An einem lauschigen Wald- und Wiesenhang oberhalb der Gemeinde Buttenhausen stehen Grabsteine. Es sind alte Grabsteine, von grünen Flechten und Moos überzogen. Sie tragen jüdische Inschriften, farbenfrohe Bilder, Jahreszahlen, die oft weit in die Vergangenheit zurückreichen.

Man darf einfach hineingehen in den jüdischen Friedhof von Buttenhausen. Keine hohe Mauer grenzt ihn von außen ab. Unter großen Kiefern, Fichten und Eichen stehen die letzten Zeugnisse einer untergegangenen Welt. Es war die kleine heile Welt von Buttenhausen. Malerisch ruht das Dorf im Tal der Lauter, umgeben von Burgen, Wacholderheiden und Felsenhängen. Der Blick vom Friedhof ist herrlich, wie eine Idylle liegt der Ort in der Landschaft, in der Mitte lugt die Spitze der kleinen Michaelskirche hindurch.

Die Große Lauter: ein kleiner Fluss mit großem Charme

Bis 1933 lebten hier Christen und Juden friedlich nebeneinander. Sie sangen gemeinsam im Liederkranz Concordia, teilten sich die Sitze im Gemeinderat, gingen zusammen in die Schule und den Kindergarten. Der Reichsfreiherr Philipp Friedrich von Liebenstein hatte die jüdischen Bürger 1787 hier angesiedelt, ihnen einen Schutzbrief ausgestellt. Sie machten Buttenhausen zu einer der größten jüdischen Siedlungen in Württemberg, lange hielt sich die Zahl der Protestanten und Juden hier die Waage. Dann kamen die Nazis und vergifteten die Stimmung. Auch Buttenhausen ließ sich anstecken. 1938 brannte die Synagoge, 1940 wurde Buttenhausen in ein jüdisches Sammellager verwandelt, 1943 der letzte Jude ins Konzentrationslager deportiert. Es war das Ende einer 150 Jahre alten Kultur des friedlichen Miteinanders und des jüdischen Lebens in Buttenhausen. Dem Landarbeiter Walter Ott (1928-2014) aus Aalen ist es zu verdanken, dass die Geschichte der Juden in Buttenhausen wachgehalten wurde. 1946 zog er als Mitarbeiter der Bruderhaus-Diakonie hierher und fand nach und nach die Spuren der Vergangenheit. Mit seinen Söhnen restaurierte er den jüdischen Friedhof und verwandelte ihn in jenes gepflegte Kleinod, das Besucher von nah und fern immer wieder aufs Neue berührt.

Es lohnt sich, Buttenhausen ein wenig Zeit zu widmen. Jenseits des Friedhofs gibt es ein kleines jüdisches Museum, eine Gedenkstätte für den ermordeten Politiker Matthias Erzberger aus der Weimarer Republik, der hier geboren wurde. Die Bruderhaus-Diakonie betreibt in Buttenhausen eine große Einrichtung, ihr "Café Ikarus" ist eine beliebte Einkehrstation für alle, die im Lautertal unterwegs sind.

Bild: ©Andreas Steidel/der pilger

Der jüdische Friedhof in Buttenhausen.

Seit 2011 führt der Martinus-Pilgerweg der Diözese Rottenburg-Stuttgart auch durchs Große Lautertal. Die Etappe beginnt in Zwiefalten an der Donau und endet in Großengstingen, unweit der Burg Lichtenstein. Ihr Herzstück ist aber jenes Hochtal, das keineswegs so groß ist wie der Name vermuten lässt: Die Große Lauter ist eher ein kleiner, kaum 50 Kilometer langer Fluss und heißt nur deshalb so, weil es bei Blaubeuren noch eine viel kleinere Lauter gibt.

Köstliche Erfrischungen für Leib und Seele des Wanderers

In Indelhausen trifft der Martinusweg auf das Lautertal. Wer in Zwiefalten aufgebrochen ist, hat schon einige Pilgerkilometer hinter sich gebracht. Zeit für eine Einkehr, die unter dem Kirchturm möglich ist: Der Biergarten des Gasthofs Hirsch liegt direkt unter St. Urban, der katholischen Kirche von Indelhausen, die erhaben auf einem Bergrücken thront. Man kann im Hirsch Maultaschen essen oder Albschnecken mit Spätzle. Ein kühles Bier aus der Region genießen oder ein erfrischendes Eis aus dem Lautertal. Erfrischend ist der Weg eigentlich immer im Tal der Großen Lauter. Bei Bichishausen gibt es sogar eine Badestelle, die zum Eintauchen einlädt. Das tut dem Körper gut. Die Seele durfte schon etwas früher rasten: Auf einem schiefen Bänkchen gleich neben der schönen Kapelle von Weiler, wo zwei neugierige Katzen die Wanderer anschnurren.

Die vielleicht angenehmste Kanu-Tour im ganzen Land

Das Lautertal ist hier ein katholischer Landstrich, bis Bichishausen ging einst das Herrschaftsgebiet der Habsburger. Zwei bunte Grenzhäuschen erinnern noch daran. Augenzwinkernd hat man sie dort platziert, als geschichtsträchtige Wartehäuschen für den Linienbus. Sie liegen gleich neben dem Bootshaus, das im Sommer ein beliebter Ausflugsort ist.

Von hier werden Kanufahrer nämlich nach Buttenhausen gefahren, um sich dann knapp fünf Kilometer nach Bichishausen treiben zu lassen. Eine kinderleichte Übung, vermutlich die einfachste Kanu-Tour im ganzen Land. Die Lauter ist so zahm und schmal, dass absolut nichts schiefgehen kann. Auf diese Weise erlebt man das Tal von einer ganz neuen Seite, abseits der Straße und den Wegen, umgeben von Wasser und Weiden, die die Ufer säumen. An denen gackern Hühner und blühen Blumen, liegen kleine Bötchen und Bauerngärten. Nach einer Stunde ist alles vorbei und das Bootshaus in Bichishausen wieder erreicht. Schade eigentlich, man hätte sich stundenlang treiben lassen können.

Bild: ©Andreas Steidel/der pilger

Die katholische Martinskirche in Großengstingen.

Stattdessen geht der Fußweg nun weiter. Nach einer kurzen Rast im Biergarten des Bootshauses ist Hundersingen der nächste Ort. Es ist die erste evangelische Gemeinde im Großen Lautertal, ein Stück Alt-Württemberg auf der Münsinger Alb. Der Kirchturm ist nun spitz und nicht mehr zwiebelförmig wie jener der katholischen Kirche St. Gallus in Bichishausen. Man folgt einfach immer dem schmalen gelben Kreuz auf rotem Grund. Der Abschnitt durchs Lautertal ist einer der Regionalrouten des Martinuswegs. Streng genommen geht er an Buttenhausen vorbei, doch das wäre ein großer Fehler. Deshalb sollte man hier unbedingt abweichen: Der Umweg ist kaum der Rede wert und wer der Lauter folgt, trifft in Wasserstetten schon wieder auf die Pilgerroute. Das Lautertal macht nun einen Bogen in Richtung Gomadingen. Der Pilgerweg verläuft entgegen der Flussrichtung, sodass die ohnehin kleine Große Lauter nun immer noch schmaler wird. Zuweilen erinnert sie an einen Dorfbach, wie etwa in Dapfen, wo sie leise am alten Lagerhaus entlang fließt. Das ist heute ein Café mit Bioprodukten, hausgemachtem Kuchen, einer Chocolaterie und Seifenmanufaktur sowie einem kleinen geschwungenen Brückchen über der Lauter, an deren Ufer Tische aufgestellt sind.

Von Martinskirche zu Martinskirche führt der Martinusweg

Ein wunderbarer Ort zum Rasten und Sitzen, bevor es den Berg hinauf geht zur Martinskirche. Der Martinusweg versucht möglichst viele Kirchen mit eben diesem Namen zu verbinden, in schönem ökumenischem Wechsel sind sie mal katholisch, dann wieder evangelisch.

Die in Dapfen ist evangelisch. Ein Kleinod auf einem Hügel am Ortsrand, umgeben von einem Dorffriedhof und großen alten Bäumen. Am Ende des Weges wird in Großengstingen eine katholische Martinskirche erreicht, ein barocker Bau von imposanter Größe mit einem Hochaltar, auf dem der Namenspatron thront.

Viele Darstellungen des heiligen Martin zeigen ihn mit Schwert, Mantel und Pferd. Das passt so recht zu einer Gegend, die ein Paradies für Ross und Reiter ist. In Marbach an der Großen Lauter liegt sogar das Haupt- und Landgestüt Baden-Württemberg, wo schon seit über 500 Jahren Pferde gezüchtet werden.

Info: Der Martinusweg

Der Martinusweg ist insgesamt 1.200 Kilometer lang, hat eine Haupt- und vier Regionalrouten. Gute Beschreibungen und alle wichtigen Informationen findet man unter www.martinuswege.de oder in dem Buch "Martinusweg in der Diözese Rottenburg-Stuttgart" von Doris Albrecht und Mario Keifel (Fink-Verlag). Die Etappe durchs Lautertal gehört zur Regionalroute Mitte des Martinus-Pilgerwegs, Abschnitt Zwiefalten-Großengstingen.

Im Gomadinger Ortsteil Offenhausen hat das Gestütsmuseum seinen Platz. Es ist ein besonderer Ort mit einer besonderen Geschichte. Von weitem erinnert es an eine Kirche, ein hoher gelber Bau mit sakral anmutenden Fenstern. Der Schein trügt nicht, denn tatsächlich war hier einst ein Dominikanerinnenkloster untergebracht. 1575 wurde es im Zuge der Reformation geräumt, bis 1810 evangelisch genutzt und schließlich in eine Außenstelle des Landgestüts umgewandelt.

Den Klostergarten hat man inzwischen wiederhergestellt, in ihm blühen die Kräuter und Blumen, die schon Abt Walahfrid von der Reichenau vor über 1.000 Jahren beschrieben hatte. Hier am Klostergarten beginnt der Weg zur Quelle, zur Quelle jenes Flüsschens, das einst dem Lautertal seinen Namen gab.

Schon immer fühlten sich Menschen zur Lauter-Quelle hingezogen

Rund 100 Meter hinter den Klostergebäuden liegt, gut beschildert, ihr Quelltopf. Versteckt hinter Büschen und Bäumen fließt das glasklare und acht Grad kalte Wasser aus einer Höhle der Alb heraus. Es ist ein Ort, der schon immer die Menschen anzog. Auch die Nonnen des Klosters kamen einst hierher.

Nun sind es Wanderer, Radfahrer, Pilger und Ausflügler.  Sie wollen ein wenig zur Ruhe kommen. Zurückkehren zur Quelle der Lauter und vielleicht auch des eigenen Lebens. Der Weg ist das Ziel, egal in welche Richtung man ihn im Großen Lautertal geht. Hinter jeder Flussschleife wartet eine kleine feine Entdeckung, die man danach im Herzen mit sich weiterträgt. Der jüdische Friedhof von Buttenhausen hat darin einen besonders großen Platz sowie der heilige St. Martin, dessen Spuren man so gerne durchs Große Lautertal gefolgt ist.

Von Andreas Steidel

Das Magazin "der pilger"

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