Bruder Thomas Abrell berichtet über seine Arbeit mit Schwulen und Lesben

Seelsorger: Segen für homosexuelle Paare wird kommen!

Veröffentlicht am 29.12.2018 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Die Kirche hat ein Problem mit Homosexualität, meint Bruder Thomas Abrell. Der Franziskaner und Homosexuellen-Seelsorger im Bistum Osnabrück verrät im Interview, warum er am liebsten den Katechismus umschreiben würde und wieso ein Segen für gleichgeschlechtliche Paare kommen muss.

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In Bezug auf Homosexualität ist in der Kirche noch viel zu tun, glaubt Bruder Thomas Abrell (52). Der Franziskaner leitet den Arbeitskreis "kreuz und queer" im Bistum Osnabrück, der von Bischof Franz-Josef Bode im Jahr 2013 eingerichtet wurde. Bruder Thomas hat einen besonderen Wunsch für die Seelsorge mit Homosexuellen.

Frage: Bruder Thomas, seit mehr als einem Jahr ist die Ehe für alle möglich. Ein Erfolg?

Bruder Thomas: Ja, es war auch höchste Zeit dafür. Aber nur weil das jetzt gesetzlich geregelt ist, heißt das noch lange nicht, dass homosexuelle Beziehungen in der Gesellschaft akzeptiert sind. Ich bin oft in Schulen unterwegs und spreche dort mit Schülerinnen und Schülern über Homosexualität. Wenn ich sie frage, wann sie zum ersten Mal das Wort "schwul" gehört haben, sagen die meisten: "Auf dem Schulhof, als Schimpfwort." So lange das noch so ist, haben wir einen langen Weg vor uns. Wir wollen mit unserer Arbeit jeder Form von Diskriminierung entgegenwirken und deutlich machen: Homosexualität ist normal und gehört zu unserem Menschsein ganz selbstverständlich dazu.

Frage: Ist das Thema in den Bistümern Deutschlands angekommen?

Bruder Thomas: In der Zwischenzeit haben zehn Bistümer eigene Beauftragte, die sich mit dem Thema beschäftigen und für Offenheit plädieren. Das ist schon mal ein wichtiger Schritt. In Köln gibt es seit den 1990er Jahren eine eigene Seelsorgestelle für Homosexuelle. Der ehemalige Leiter dieser Stelle sitzt heute bei der Deutschen Bischofskonferenz und macht sich für das Thema stark. Darüber freuen wir uns.

Frage: Gibt es auch Gegenwind?

Bruder Thomas: Wer sich in der katholischen Kirche mit dem Thema befasst, muss mit Widerstand rechnen. Als sich der Hildesheimer Bistumsbeauftragte für Homosexuellenseelsorge vor einigen Jahren öffentlich zu seiner Aufgabe äußerte, erhielt er Morddrohungen. Widerstand und Häme aus konservativen kirchlichen Kreisen spüren auch wir im Arbeitskreis immer wieder. Angeblich gibt es sogar einen Blogger, der regelmäßig gegen mich hetzt. Aber das ist mir egal. Ich lasse mich nicht nerven. Manche meinen auch, ich sollte meine Telefonnummer nicht öffentlich machen, um keine Drohanrufe zu bekommen. Bislang habe ich das aber noch nicht erlebt. Kirche ist so vielfältig und bunt, außerdem weiß ich, dass der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode unser Anliegen hundertprozentig unterstützt.

Bild: ©Foto: Oliver Pracht

Bruder Thomas Abrell ist Franziskaner und in der Leitung der Deutschen Ordensprovinz tätig. Seit 2013 leitet er den Arbeitskreis "kreuz und queer" im Bistum Osnabrück.

Frage: Wie viele Priester und Ordensleute sind homosexuell?

Bruder Thomas: Man geht davon aus, dass in der Gesellschaft etwa drei bis fünf Prozent der Männer homosexuell sind. Ähnlich dürfte auch der Prozentsatz unter den Priestern und Ordensleuten sein. Es gibt viele, die sich nicht outen und manche können mit dieser Entscheidung auch gut leben. Andere aber leiden darunter, haben starke Selbstzweifel und Depressionen. Der Umgang mit Schwulen und Lesben muss bei uns in der katholischen Kirche angstfrei sein. Es ist noch viel zu tun.

Frage: Ist es leichter Homosexualität im Orden zu leben?

Bruder Thomas: Vielleicht denken manche tatsächlich, dass es leichter ist, im Schutz einer klösterlichen Gemeinschaft zu sein, um sich nicht outen zu müssen. Für manche ist es aber auch entlastend zu wissen, dass man so nicht mehr für eine Partnerschaft zur Verfügung steht. Ich kenne Mitbrüder, die schwul sind und offen damit umgehen. Es ist immer eine Frage der Atmosphäre, wie darüber gesprochen werden kann. Und es ist eine Frage der sexuellen Reife. Leider ist es oft nach wie vor ein Tabu, darüber zu reden. 

Frage: Ist Homosexualität auch ein Hinderungsgrund für den Eintritt in den Orden?

Bruder Thomas: Nein, für die Ausübung eines geweihten Lebens in einem Orden findet sich dazu nichts im Kirchenrecht. Das hat seinen Grund vielleicht darin, weil das ewige Ordensgelübde kein Sakrament ist und deshalb nicht denselben Stellenwert hat wie die Ehe oder die Priesterweihe. Vom ewigen Gelübde einer Ordensgemeinschaft kann man leichter entbunden werden im Gegensatz zur Ehe oder Priesterweihe.  

Ein verliebtes Paar, zwei Männer, lehnen sich aneinander.
Bild: ©KNA

Ein Mann lehnt sich an die Schulter seines Partners.

Frage: Sollte man sich als Priester in der Gemeinde also besser outen?

Bruder Thomas: Es hängt immer vom jeweiligen Bischof ab. Im Bistum Osnabrück herrscht dafür eine große Offenheit. Ich selbst aber habe es noch nicht erlebt, dass sich ein Pfarrer vor seiner Gemeinde geoutet hat. Es schreibt sich auch niemand auf die Stirn, welche sexuelle Neigung er hat. Manche fürchten sich auch vor Konsequenzen und haben Angst, ihren Job zu verlieren. Aber es gibt aus kirchenrechtlicher Sicht keinen Grund, homosexuelle Menschen von einem kirchlichen Dienst auszuschließen. Priester sollen aus meiner Sicht homosexuell sein dürfen, so lange sie ihre Homosexualität nicht ausleben. Ein Priester ohne Partner muss sich als homosexuell outen dürfen, ohne dass er deshalb sein Amt verliert. Es gibt auch viele pastorale Mitarbeiter, die schwul oder lesbisch sind und eine gute Arbeit machen. Warum sollten sie deshalb ihren Job verlieren?

Frage: Da sprechen die offiziellen kirchlichen Dokumente aber eine andere Sprache…

Bruder Thomas: Und genau das ist das Problem. Erst vor zwei Jahren gab es ein kirchliches Schreiben zur Priesterausbildung. Darin heißt es, dass Homosexualität ein Weihehindernis darstellt. So lange das da so festgelegt ist, haben wir definitiv ein Problem. Ich bin froh, dass es Bistümer gibt, die diese Anweisung gar nicht befolgen. Das schafft auch eine offenere Atmosphäre. Es gibt Gott sei Dank auch Dokumente aus Rom, die Mut machen, wie das nachsynodale Schreiben "Amoris laetitia" von Papst Franziskus. Dort steht, dass die erste Option für alle Entscheidungen immer die Liebe sein sollte. Als Kirche sollen wir nicht mit Felsblöcken auf andere werfen. So meint es auch Papst Franziskus, wenn er sagt: "Wer bin ich, andere zu verurteilen?" Das ist sehr ermutigend. Gott hat keinen Fehler gemacht, als er die unterschiedlichen Neigungen der Menschen geprägt hat. Warum machen wir nur so ein Riesentheater draus?

Ein homosexuelles Paar steckt sich gegenseitig Eheringe bei der Eheschließung an.
Bild: ©picture alliance / dpa/Philippe Riedinger

Ein homosexuelles Paar steckt sich gegenseitig Eheringe an.

Frage: Müsste man den Katechismus also umschreiben?

Bruder Thomas: Ja, dringend! Wenn ich könnte, würde ich hineinschreiben, dass jeder Mensch, egal welche sexuelle Orientierung er hat, die gleiche Würde verdient. Gott liebt alle Menschen. Wir dürfen niemanden verurteilen.

Frage: Denken Sie, dass das Sakrament der Ehe oder andere liturgische Segensformen eines Tages auch für gleichgeschlechtliche Paare möglich sein wird?

Bruder Thomas: Ja, ich denke, dass wir in zehn Jahren offiziell die Erlaubnis dazu haben werden, gleichgeschlechtlichen Paaren den kirchlichen Segen mit auf den Weg zu geben. Es gibt genügend Seelsorger, die das bereits machen. Ich vertraue der Dynamik, die dann in Gang kommen würde, wenn ein Bistum diese liturgischen Formen offiziell erlauben würde. Auf einer Tagung in Hamburg mit 100 Teilnehmern aus verschiedenen Bistümern war die Botschaft jedenfalls eindeutig: Wir wollen eine kirchliche Segnungsfeier für homosexuelle Paare! Denn es ist theologisch auf Dauer nicht länger haltbar, Homosexuelle davon auszuschließen.

Bild: ©KNA / P.Razzo/CIRIC

Ein evangelischer Pastor segnet zwei Bräute, ein gleichgeschlechtliches Paar, am 18. Juli 2017 in der evangelisch-lutherischen Kirche Bon Secours in Paris. Der Pfarrer hat seine Stola über die beiden Frauen und seine Hände auf deren Köpfe gelegt.

Von Madeleine Spendier

Zur Person

Bruder Thomas Abrell ist Franziskaner und in der Leitung der Deutschen Ordensprovinz tätig. Zudem ist er geistlicher Begleiter im Bistum Osnabrück. Abrell leitet seit 2013 den Arbeitskreis "kreuz und queer" im Bistum Osnabrück. "Queer" steht für die Vielfalt sexueller Orientierungen.