Der 33-Tage-Papst
Johannes Paul I. war nicht nur der erste Nachfolger Petri, der einen Doppelnamen wählte. Auch sonst brach er mit zahlreichen Gepflogenheiten des päpstlichen Hofes. Zum Beispiel mit dem "Pluralis Majestatis": Bislang sagten die Päpste "Wir", wenn sie von ihrer eigenen Person sprachen. So war es für Monarchen üblich. Johannes Paul I. hingegen sagte "Ich". Auch den traditionellen tragbaren Papstthron, die Sedia gestatoria, wollte er in die Abstellkammer des Apostolischen Palastes verbannen. Die Kurie überredete ihn jedoch schließlich, das sänftenähnliche Gefährt doch zu benutzen. Auch für die Schweizergardisten wurde das Leben bequemer: Der bis dahin verpflichtende Kniefall in Anwesenheit des Papstes entfiel fortan.
Johannes Paul I. kam aus sehr armen Verhältnissen. Sein Vater verdingte sich als Saisonarbeiter im Ausland, etwa in Frankreich, Deutschland oder Österreich und war kaum zu Hause. Sein Elternhaus, in dem er mit drei Geschwistern und zwei Stiefschwestern aufwuchs, erinnert an "Don Camillo und Peppone": Der Vater ist Mitglied der dezidiert antiklerikalen Sozialistischen Partei Italiens, die Mutter streng gläubige Katholikin. Ungeachtet seiner schon seit Kindertagen angeschlagenen Gesundheit macht Luciani, der eigentlich am liebsten Dorfpfarrer geblieben wäre, in der Kirche Karriere.
Vom Hilfspriester zum Patriarch
Seine erste Stelle als Hilfspriester und Religionslehrer erhält er nach seiner Priesterweihe 1935 in seiner Heimatgemeinde Belluno in Venetien. Anschließend lehrte er von 1937 bis 1947 Dogmatik am Priesterseminar von Belluno. 1958 wurde er Bischof von Vittorio Veneto, einer beschaulichen Provinzstadt in Venetien. Zwölf Jahre später schließlich wurde er Patriarch von Venedig. Im Juli 1978 sagte er in einer Predigt, es sei ein Fehler gewesen, dass Paul VI. ihn zu diesem Amt berufen habe.
Am 26. August des gleichen Jahres wählten ihn die Kardinäle im Konklave zu dessen Nachfolger. Ein theologischer Bilderstürmer war Johannes Paul I. gleichwohl nicht: Er stand fest in der Tradition seiner Vorgänger Paul VI. und Johannes XXIII. So verteidigte er auch die wegen ihrer Ablehnung künstlicher Empfängnisverhütung auch innerkirchlich strittige Enzyklika "Humanae vitae2. Seinen Einstellungen nach sei Johannes Paul I. "theologisch und politisch konservativ2 gewesen, urteilt der Münchener Kirchenhistoriker Georg Schwaiger. Von einem kirchenpolitischen Programm lässt sich nach einer Amtszeit von gut einem Monat allerdings ohnehin nicht sprechen.
Mutmaßungen über die Todesumstände
Für ein fundiertes Urteil sind 33 Tage zu wenig, für Spekulationen eignen sie sich umso besser. Und so ist es kein Zufall, dass der frühe Tod Johannes Pauls I. - in diesem Umfang erstmals seit der Renaissance - wieder Mutmaßungen über die Todesumstände eines Papstes ins Kraut schießen ließ. Am 28. September 1978 schob Schwester Vincenza Taffarel um 4.30 Uhr wie gewöhnlich ein Kännchen Kaffee in das Arbeitszimmer des Papstes und klopfte an der Schlafzimmertür. Als sie nach einiger Zeit den Kaffee immer noch unberührt fand und ihr abermaliges Klopfen ohne Antwort blieb, öffnete sie die Tür und fand den Papst regungslos im Bett sitzend. Er hatte seine Brille auf, der Kopf hing leicht zur Seite, in seinen Händen hielt er einige Blätter Papier. Die Leselampe brannte noch. "Akuter Myokardinfarkt", Herzversagen, lautete die Diagnose des päpstlichen Leibarztes Renato Buzzonetti später. Als Zeitpunkt des Todes nahm er 23 Uhr an. Soweit die historische Rekonstruktion.
Schon bald nach dem Tod Johannes Pauls I. wurden jedoch Stimmen laut, die an einer natürlichen Todesursache zweifelten. Der reformwillige Papst sei Opfer dunkler Machenschaften einer Kurie geworden, die um Macht und Einfluss fürchtete, lautete eine beliebte These. Das hörte sich allemal spannender als die Diagnose Herzversagen. Genährt wurden solche Spekulationen nicht zuletzt auch durch verhängnisvolle Fehler in der vatikanischen Informationspolitik. So wurde in der offiziellen Verlautbarung etwa verheimlicht, dass Schwester Vincenza den toten Papst gefunden hatte - offenbar weil die Vorstellung, dass eine Frau einen toten Papst findet, einflussreichen Kreisen im Vatikan nicht opportun erschien. Und aus den Blättern, die der tote Papst in der Hand gehalten hatte, wurde kurzerhand das Buch "Die Nachfolge Christi". Schwaiger spricht von einer "Art Heiligenlegende", die der Vatikan gestrickt habe.
Heiligenlegende contra Mord
Dieser vatikanischen Heiligenlegende setzte der Journalist David Yallop im Jahr 1984 einen englischen Thriller entgegen. "Im Namen Gottes?" hieß sein Buch. Seine These: Johannes Paul I. wurde durch vergiftete Medikamente umgebracht. Hinter dem Mord sollen dunkle Machenschaften der Vatikanbank IOR und ihres Leiters, Erzbischof Paul Marcinkus, der Mafia sowie der geheimnisvollen Loge "P 2" gestanden haben. Das spannend geschriebene Buch wurde ein Bestseller und erreichte in kurzer Zeit eine Auflage von mehr sechs Millionen Exemplaren in 40 Sprachen.
Der Schlussfolgerung des Buches mochte die seriöse Wissenschaft nicht folgen. Vieles spricht dafür, dass dieser schon seit Kindertagen kränkelnde Papst von seiner körperlichen und geistigen Konstitution her den Herausforderungen des Amtes einfach nicht gewachsen war. Einer seiner Privatsekretäre drückte es so aus: "Er ist zusammengebrochen unter einer Bürde, die zu groß war für seine schmalen Schultern, und unter der Last seiner unermesslichen Einsamkeit".
Von Thomas Jansen