Warum die Protestanten jetzt doch Nikolaus feiern
"Die Heiligen, uns weit voran, haben hier nichts erworben" – diese Worte könnten am Nikolaustag in evangelischen Gottesdiensten gesungen werden. Die neue Leseordnung, die zum 1. Advent in Kraft getreten ist, sieht erstmals auch vermeintlich katholische Heiligengedenktage in der Liturgie der Protestanten vor. Für die beiden Heiligenfeste – neben Nikolaus auch St. Martin – wird jeweils dieses Lied des niederländischen reformierten Kirchenmusikers Willem Vogel vorgeschlagen, dessen erste Strophe theologisch schon das Terrain absteckt: Für die Heiligen nach evangelischem Verständnis gibt es keine Vorzugsbehandlung im Himmel, auch für sie gilt Luthers "sola gratia", allein durch die Gnade Gottes sind sie erlöst, nicht durch ihre Werke.
Dass es nun zu einer neuen Prominenz der Heiligen in der evangelischen Liturgie kommt, liegt aber doch an ihren vorbildlichen Werken. Auch wenn sie schon lange gestorben sind: "Doch reden sie und zeugen noch, den Glauben uns zu stärken", geht das Lied später weiter. So sieht es auch Stephan Goldschmidt. Der Pastor ist Geschäftsführer der Liturgischen Konferenz der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), die die neue Perikopenordnung erarbeitet hat. "Für uns in der evangelischen Kirche sind die Heiligen Vorbilder des Glaubens und Glaubenszeugen." Martin etwa diene als Beispiel für diakonisches Engagement. "Er gibt die Hälfte seines Mantels dem Bettler – damit folgt er exemplarisch dem Gebot der Nächstenliebe. Er liebt seinen Nächsten wie sich selbst", erläutert Goldschmidt.
Luther war kein Freund des Nikolaus
Dass dieses Verständnis auch im Kirchenjahr seinen Wiederhall findet, war nicht selbstverständlich. Gerade um den heiligen Nikolaus wurde in der Reformationsgeschichte kontrovers gestritten. Bescherte Martin Luther selbst ursprünglich noch seine Kinder am Tag des Heiligen mit Geschenken, rückte er später davon ab. Spätestens ab 1531, so hat es die Lutherforscherin Erika Kohler herausgefunden, gab es im Hause Luther Geschenke vom "Heiligen Christ", und schon früher ist in seinen Schriften vom "Christkindlin" zu lesen. Im frühen 17. Jahrhundert predigte der lutherische Pfarrer Martin Behm gegen den Heiligen an, sah in Nikolausgeschenken einen "bösen Brauch": "weil dadurch die Kinder zum Heiligen gewiesen werden, da wir doch wissen, dass nicht Sankt Niklas, sondern das heilige Christkindlein alles Gute an Leib und Seele bescheret, welches wir auch allein darum anrufen sollten."
Auch bei der Revision der Leseordnung wurde daher in den evangelischen Gremien kontrovers diskutiert. Während die Liturgische Konferenz St. Martin und den Nikolaustag vorgeschlagen hatte, lehnte die "Arbeitsgruppe Texte" die Aufnahme zunächst ab. "Möglicherweise spielten bei dieser Zurückhaltung gewisse traditionelle Vorbehalte eine Rolle, wie zum Beispiel die Auffassung, dass beide Gedenktage doch eher in die katholische als in die evangelische Tradition gehören", verrät Goldschmidt. Dass es dann doch anders kam, war nur dank der guten ökumenische Zusammenarbeit möglich, die heute zwischen den Kirchen herrscht: "Ohne diese wäre es nicht denkbar gewesen, den Martintag oder den Nikolaustag in die neue Perikopenordnung aufzunehmen."
Nikolaus und Christkind kommen zu allen Kindern
Den Ausschlag gegeben hätten dann aber vor allem pragmatische Gründe: Während der Erprobungsphase in den Gemeinden sei deutlich geworden, dass es diese beiden Tage brauche. "Die Aufnahme der Festtage ist wesentlich aus der gemeindlichen Praxis heraus getroffen worden – was mich sehr freut", betont Goldschmidt. Heute kommt der Nikolaus (und Luthers Christkind) eben zu allen Kindern, ganz egal welcher Konfession.
Gottesdienste am Werktag haben in der evangelischen Kirche keine so große Tradition wie in der katholischen; wie und wo die Nikolaus-Texte also angenommen werden, wird sich erst noch zeigen müssen. Vor allem Kinder und Jugendliche in Kita- und Schulgottesdiensten dürften daher mit evangelischen Nikolausfeiern in Berührung kommen. Geeignet sind die Texte aber auch für die Beschäftigung mit dem Heiligen auf biblischer Basis in Hauskreisen, der Bibelgruppe oder der Jugendarbeit.
Biblischer Zugang zu den Heiligen
Bei den vorgeschlagenen Texten setzt die EKD auf einen adventlichen Klassiker, den Propheten Jesaja. Als Lesung aus dem Alten Testament wurde der Beginn des 61. Kapitels gewählt. "Er hat mich gesandt, den Elenden gute Botschaft zu bringen, die zerbrochenen Herzen zu verbinden, zu verkündigen den Gefangenen die Freiheit, den Gebundenen, dass sie frei und ledig sein sollen" heißt es in der Lutherübersetzung. Auch wenn die jüdische Bibel natürlich noch nichts vom Bischof von Myra aus dem vierten Jahrhundert wissen kann: Die ihm zugeschriebenen Tugenden der Gerechtigkeit, der Nächstenliebe und der Fürsorge für die Armen sind gut biblisch. Passend zu Nikolaus, der heimlich Arme beschenkte, ist auch das gewählte Evangelium: "Wenn du nun Almosen gibst, sollst du es nicht vor dir ausposaunen." (Mt 6, 1–4)
(Katholisches) Tagesgebet zum Nikolaustag
Gott, du Spender alles Guten, hilf uns auf die Fürsprache des heiligen Nikolaus in aller Not und steh uns bei in jeder Gefahr. Gib uns ein großmütiges Herz, damit wir anderen schenken, was wir empfangen, und den Weg des Heiles ungehindert gehen. Darum bitten wir durch Jesus Christus.Die evangelische Leseordnung geht damit sogar noch mehr auf den Heiligen ein als die katholische; im Advent sollen in der katholischen Liturgie Heiligenfeste eigentlich nur ausnahmsweise gefeiert werden, auch wenn für beliebte Heilige wie Nikolaus und Barbara Ausnahmen möglich sind. Im Messbuch findet sich für Nikolaus daher nur ein Tagesgebet, in dem auf die Fürsprache des Heiligen um ein großmütiges Herz gebetet wird, "damit wir anderen schenken, was wir empfangen", die Schriftlesungen sind entweder die adventlichen vom Tag oder aus den allgemeinen Formularen für heilige Bischöfe und Hirten.
Solche allgemeinen Heiligen-Formulare braucht es für die evangelische Leseordnung nicht. Anders als bei den Katholiken, wo unzählige Heilige das Kirchenjahr bevölkern, ist es im evangelischen Jahreskreis weniger gedrängt: Erst einmal bleibt es bei den nicht in der Bibel bezeugten Personen bei Martin und Nikolaus. Über den Valentinstag wurde zwar auch diskutiert – der hat es dann aber doch nicht offiziell ins evangelische Kirchenjahr geschafft.