Afrika: Warum die Kirche Homosexuelle diskriminiert
Zynischer geht es kaum: "Es ist besser, an Hunger zu sterben, als Hilfe zu erhalten und zu Dingen gezwungen zu werden, die dem Wunsch Gottes widersprechen", sagte der tansanische Kardinal Polycarp Pengo vor kurzem – ausgerechnet bei einer Erntedank-Feier. Der Erzbischof der Hauptstadt Daressalam bezog sich darauf, dass die Entwicklungshilfe einiger Länder an die Akzeptanz von Homosexualität gebunden ist. Dabei greift Pengo ein Thema auf, das bereits seit einigen Jahren in Tansania präsent ist. Denn: Die Diskriminierung von Homosexuellen ist dort weit verbreitet – wie in den allermeisten Ländern Afrikas.
Der aktuelle Hintergrund für die Worte des Kardinals ist in der Politik Tansanias zu finden. Ende Oktober rief der Gouverneur der Hauptstadtprovinz Daressalam, Paul Makonda, zur Denunzierung von Homosexuellen auf. "Nennt mir ihre Namen", wandte er sich an die Bevölkerung. Gleichzeitig kündigte Makonda die sofortige Einrichtung einer Überwachungseinheit an, die Homosexuelle aufspüren werde, etwa mit einer gezielten Suche in den Sozialen Medien. Auch Prostituierte und Nutzer von Pornografie stehen auf der Fahndungsliste des Überwachungsteams.
Kritikern aus dem Ausland entgegnete der Politiker, er "ziehe es vor, diese Länder zu verärgern anstatt Gott". Seine Politik zog internationale Konsequenzen nach sich: Dänemark kündigte Mitte November an, Hilfszahlungen an Tansania in Höhe von knapp zehn Millionen US-Dollar unmittelbar einzufrieren. Man sei "sehr besorgt über die negativen Entwicklungen in Tansania" in der jüngsten Zeit, verlautete es aus dem dänischen Ministerium für Entwicklung.
Dabei sind homophobe Äußerungen in der tansanischen Politik bereits seit mehreren Jahren an der Tagesordnung. Seit 2015, dem Jahr des Amtsantritts des aktuellen Präsidenten John Magufuli, ist die politische Rhetorik gegen Schwule und Lesben noch aggressiver geworden. Doch es blieb nicht nur bei Worten: 2017 ordnete der autokratisch regierende Präsident an, 40 Kliniken für Aids-Patienten zu schließen, da sie angeblich für Homosexualität geworben hätten. Beobachter gehen davon aus, dass Makonda mit seinen Äußerungen seine Zustimmung zur Politik des Präsidenten unter Beweis stellen wollte.
Sein Wohlwollen gegenüber der Regierung verbindet Makonda mit Kardinal Pengo. Der Kirchenmann gilt innerhalb des tansanischen Episkopats als besonders regierungsnah und hat in seiner Äußerung wohl deshalb auf den Konflikt des Landes mit Dänemark angespielt. Trotzdem überraschten die Worte des Kardinals Kenner der kirchlichen Situation in dem ostafrikanischen Land. Pengo ist eigentlich als Oberhirte bekannt, der sich mit der gesellschaftlichen Realität in Tansania auseinandersetzt, auch mit der von Homosexuellen. Über dieses Thema, heißt es, seien durchaus differenzierte Gespräche mit ihm möglich. Wenn auch nur in vertrauten Runden.
Tansania: 95 Prozent lehnen Homosexualität ab
Ein Grund für den Gesinnungswandel des Kardinals ist wohl darin zu suchen, dass er seit Juni mit Erzbischof Jude Thadaeus Ruwa'ichi einen Koadjutor an seiner Seite hat. Für Ruwa'ichi ist dieser Posten ein großer Karriereschritt, denn er besitzt das Recht zur Nachfolge auf den Bischofsstuhl in Daressalam. Die Tage Pengos als Erzbischof sind also gezählt. Doch gerade in den letzten Monaten habe sich der 74-Jährige in der Leitung seiner Diözese so kraftvoll wie lange nicht mehr gezeigt, sagen Beobachter. Pengos Worte aus dem Erntedank-Gottesdienst können als Ausdruck seines Willens zur Macht angesehen werden.
Auch viele Politiker auf dem afrikanischen Kontinent greifen das Thema Homosexualität auf, etwa um von politischen Problemen abzulenken. Gleichgeschlechtlich Liebende sind ein beliebtes Ziel ihrer Hassreden, denn eine große Mehrheit der afrikanischen Bevölkerung lehnt Homosexualität ab. Tansania ist eine Hochburg der Homophobie, nach einer Umfrage aus dem Jahr 2007 sind 95 Prozent der Tansanier feindselig gegenüber Homosexualität eingestellt. Dort wird Sex unter Männern mit 30 Jahren Gefängnis oder lebenslanger Haft bestraft. In anderen Ländern des Kontinents ist es ähnlich: 35 der 54 afrikanischen Staaten verbieten homosexuelle Handlungen gesetzlich. In Mauretanien und dem Sudan sowie in bestimmten Regionen Nigerias und Somalias gilt sogar die Todesstrafe. Die Aufhebung der Illegalität von Homosexualität, wie etwa vor drei Jahren in Mosambik, ist eher die Ausnahme.
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Dabei stammen die meisten Gesetze gegen Homosexualität noch aus der Kolonialzeit, die in den meisten Ländern erst seit wenigen Jahrzehnten vorbei ist. Zuvor wurden Homosexuelle in vielen afrikanischen Kulturen sogar toleriert. Die Folgen der bestehenden Gesetze und in den vergangenen Jahren gewachsenen Vorurteile sind für die Betroffenen gravierend: Sie können ihre Sexualität nur im Geheimen ausleben und sind weitreichender Diskriminierung ausgesetzt – bis hin zu Verfolgungsjagden, Razzien und Hinrichtungen. Deshalb ist Homosexualität ein Tabu – eines, das auch von der katholischen und anglikanischen Kirche sowie den zahlreichen Freikirchen verstärkt wird. Die Kirchen betonen, dass ausschließlich die Liebe zwischen Mann und Frau von Gott gewollt sei.
Doch das eigentliche Problem liegt tiefer: Homosexualität ist ein Kristallisationspunkt für eine gefühlte Dominanz des "Westens" über die afrikanische Kultur. Deshalb wird sie von Politikern immer wieder als "unafrikanisch" bezeichnet. Sie befeuern das Gefühl, dass Industrienationen ihnen über Entwicklungshilfe und finanzielle Unterstützung ihre Werte aufdrängen wollen. Viele Afrikaner spüren gesellschaftliche Veränderungen und haben Angst, ihre eigene Kultur zu verlieren. Deshalb jubeln sie Staats- und Kirchenmännern zu, die für sich in Anspruch nehmen, die afrikanische Identität zu verteidigen. Selbst wenn das bedeuten würde, die Zusammenarbeit mit westlichen Staaten beenden zu müssen, wie es auch Kardinal Pengo gefordert hat.
Misereor will Enttabuisierung von Homosexualität
Für das katholische Hilfswerk Misereor hingegen ist klar, dass es trotz der Äußerungen Pengos weiter in Afrika aktiv sein will. "Unsere Bedingung ist die Notwendigkeit zur Hilfe", sagt Markus Büker mit Blick auf die Tätigkeit Misereors auf dem Kontinent. Zudem hätten sich die Worte des Kardinals auf die Entwicklungshilfe von Staaten bezogen. Doch für den Referenten für theologische Grundfragen in der Entwicklungszusammenarbeit ist auch klar, dass "Menschenrechte nicht verhandelbar" sind. "Die Diskriminierung und Kriminalisierung von Homosexuellen lehnen wir entschieden ab."
Vielmehr wolle man mit den Projektpartnern in einen Dialog treten, betont Maria Klatte. Die Leiterin der Afrika-Abteilung Afrika bei Misereor sagt, man müsse eine Atmosphäre schaffen, "in der man über das Thema sprechen kann". Niemand dürfe von vornherein auf die Anklagebank gesetzt werden. Doch gerade mit afrikanischen Kirchenvertretern dürften Gespräche über Homosexualität nicht leicht werden. Bei den letzten Bischofssynoden hatten sie sich bei diesem Thema nicht dialogbereit gezeigt. Trotzdem verfolge Misereor eine klare Richtung, so Büker: "Wir fordern die Enttabuisierung und Entkriminalisierung von Homosexualität." Für das kirchliche Hilfswerk wie auch die Bischöfe aus Afrika gelte zudem der Katechismus. Und der schreibe schließlich vor, dass Homosexuelle mit "Achtung" behandelt werden müssen.