"Trinke die Liebe des heiligen Johannes"

Johanniswein – auf die Liebe und den Jünger, den der Herr liebte!

Veröffentlicht am 27.12.2018 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Wir Katholiken trinken zwischen Weihnachten und Silvester einfach weiter – aus gutem Grund: Der gesegnete Johanniswein erinnert an die Liebe, von der der Evangelist so viel geschrieben hat – aber früher gab es auch profanere Gründe für Aposteltrank.

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Katholiken bemühen sich redlich um ihren Ruf: Während sich andere zwischen weihnachtlichem Glühwein und Silvesterpunsch zwischen den Jahren eine Pause gönnen, gibt es in der Kirche schon am 27. Dezember die nächste Gelegenheit zum Anstoßen. "Trinke die Liebe des Johannes", heißt es dann nach vielen Messen, wenn der zuvor gesegnete Johanniswein – meist ein Weißwein – gereicht wird.

Das Ritual mit diesen Worten ist alt; schon aus dem 14. Jahrhundert ist die Formel, damals auf Latein, überliefert: "Bibe amorem St. Iohannis", und schon 200 Jahre früher gibt es Belege für einen Trunk zu Ehren des Evangelisten.

Zwei Traditionen fließen beim Johanneswein ineinander (so wie in der Tradition die wohl verschiedenen Autoren von Johannes-Evangelium, -Briefen und -Apokalypse ineinanderfließen): Ein unter anderem in der "Legenda aurea", einer mittelalterlichen Sammlung von Heiligenlegenden, berichtetes Trankwunder, das dem Evangelisten und Apostel zugeschrieben wird, und die aus heidnischen Opferbräuchen entstandenen "Minnetränke".

Der Apostel ist nicht zu vergiften

Der Apostel Johannes soll in Kleinasien gewirkt habe. Im Tempel von Ephesus sollte er der Göttin Artemis opfern, doch er weigerte sich. Auf Geheiß des heidnischen Priesters Aristodemus musste er daraufhin einen Becher mit vergiftetem Wein trinken, wie zwei Unglückliche vor ihn. Johannes schlägt das Kreuzzeichen über den Kelch, eine Schlange entweicht dem Wein, der Apostel trinkt, ohne sich zu vergiften, und erweckt nebenbei seine beiden Trinkkumpane wider Willens wieder zum Leben. In anderen Quellen wird die Legende anders ausgeschmückt, spielt in Rom oder Milet, der Priester soll versprochen haben, zum Christentum zu konvertieren, wenn Johannes den Giftbecher trinkt – mit demselben Ergebnis. Heute noch gehört der Kelch und die Schlange neben dem Adler zu den Attributen des Evangelisten, als Patron ist er nicht nur für die Theologen, sondern auch für den Wein und gegen Vergiftungen zuständig.

Der portugiesische Maler Frei Carlos stellt im 16. Jahrhundert den Evangelisten Johannes mit dem Kelch dar, aus dem das Gift als Drachen entweicht.
Bild: ©Frei Carlos (gemeinfrei, Wikimedia Commons)

Der portugiesische Maler Frei Carlos stellt im 16. Jahrhundert den Evangelisten Johannes mit dem Kelch dar, aus dem das Gift als Drachen entweicht.

Da lag es nahe, dieses Weinwunder mit einer Weintradition zu verbinden: Schon in der Antike wurden Trankopfer auf heidnische Gottheiten ausgebracht, später entwickelte sich daraus der "Minnetrank" auf verschiedene Heilige als beliebtes Abschiedsritual, wenn auch zunächst nicht unter Berufung auf Johannes. Der Minnetrank war so beliebt, dass Kaiser Karl der Große persönlich allzu große Minnetrank-Exzesse einzudämmen versuchte – und die Kirche sich schließlich im 12. Jahrhundert der Tradition annahm, seither auch mit Bezug auf den Evangelisten.

Das Johannesevangelium ist das Evangelium der Liebe

Nicht von ungefähr. Wie kein zweites Evangelium betont das von Johannes die Liebe: Untereinander, zu Jesus, zu den Geboten Gottes – und die Liebe Jesu zu dem "Jünger, den er liebte", Johannes selbst. "Ein neues Gebot gebe ich euch", sagt Jesus im vierten Evangelium: "Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben!" Heute heißt es im Benediktionale, dem Buch der Segensriten der Kirche: "Der Johanniswein erinnert uns an das Gebot argloser Liebe, das dieser Apostel besonders gepredigt hat."

„Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben.“

—  Zitat: Joh 13, 34

Kein Wunder, dass diese Botschaft schon früh eingeschlagen hat. Schnell wurde der Johanniswein zu einem beliebten Ritual, immer neue Gelegenheiten gefunden, auf den Apostel den Becher zu heben – sei's mit am Gedenktag des Evangelisten gesegnetem Wein, sei's mit ungesegnetem. Zum Abschied von Gästen, auf den Abschluss von Verträgen, für Reisende und Pilger, zu Neujahr und bei Hochzeiten, als praktisches Allheilmittel gegen schlechtes Wetter und böse Flüche, für gute Ernte und auf die Freundschaft – "wer in tranc, der waz behut vor schaden und vor leide", heißt es in der Dietrichssage aus dem 13. Jahrhundert.

Ein wunderbares Allheilmittel

Die heilige Gertrud – ihr selbst wurden schon vor Johannes gern Heiligen-Minnetränke ausgebracht – soll sogar die Seele eines Ritters gerettet haben, die er dem Teufel verkauft hatte. Auch wer seine Seele nicht verspielt hatte, schwor auf Johanneswein auf dem Sterbebett; "Sant Johanes segen nehmen" wurde gar zur Umschreibung des Sterbens.

„wer in tranc, der waz behut vor schaden und vor leide“

—  Zitat: Dietrichssage (13. Jahrhundert)

Zu den wunderbaren Wirkungen des Weins gehörte auch sein Einsatz vor Gericht: Einem Angeklagten, der nicht gestehen wollte, hat man "reliquien in st. johanneswein eingegossen, er alsobaldt bekhendt". Diese in einer Urkunde aus dem Jahr 1674 nachgewiesene Anwendung hat dem Johanneswein einen eigenen Eintrag im "Deutschen Rechtswörterbuch" beschert.

Willkommene Gelegenheit zu lustigem Gelage

Aber ganz ehrlich: Oft war der Segen des Johannisweins auch zweitrangig, und statt der Wundertätigkeit ging es um die rein weltliche Wirkung des Weins. "Nur in besonders frommen Familien wurde er etwa als segenbringender Freundschaftstrunk empfunden, sonst bot er willkommene Gelegenheit zu lustigem Gelage", weiß das "Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens". Einige konfessionelle Polemiken gegen die allzu trinkfreudigen Katholiken sind überliefert (dabei hatte Martin Luther selbst seinen Gästen beim Abschied gern Johanniswein gereicht) – doch ebenso wortgewaltige katholische Verteidigungsschriften fehlen; wohl, weil zuviel Wahres an den Angriffen war.

Weinsegnung am Fest des Apostels und Evangelisten Johannes im Rituale Romanum
Bild: ©katholisch.de/fxn

Die Weinsegnung zum Fest des Apostels und Evangelisten Johannes hat Tradition: Im Rituale Romanum waren gleich zwei Segensriten für Wein abgedruckt.

Heute läuft es gesitteter ab beim Johanniswein. Trinken lässt sich auch ohne geistlichen Vorwand, so dass der Segen wieder in den Vordergrund treten kann. In vielen Kirchen wird bei der Messe am 27. Dezember vor dem Schlusssegen der Johanniswein gesegnet, mancherorts werden auch eigene Wortgottesdienste mit Weinsegnungen gefeiert. "Segne diesen Wein, den wir zur Ehre des heiligen Apostels Johannes trinken", heißt es im vorgesehenen Segensgebet: "Lass uns erfahren, dass du der Gott bist, der die Herzen der Menschen froh macht und Gemeinschaft stiftet."

Das Segensgebet kann übrigens nicht nur zu Ehren des Evangelisten Johannes zum Einsatz kommen. Zwar weiß der Volksmund: "Voran geht der Stefani, der wässerige Mann, dann kommt der Johanni, und duselt sich an" – darum schert sich das Benediktionale aber nicht. Das kennt neben der Formel für Johanni ("Trinke die Liebe des heiligen Johannes!") auch eine für Stephanswein, der alles andere als wässrig ist: "Trinke die Stärke, das Feuer, den Geist des heiligen Stephanus", schlägt das Segensbuch zur Austeilung vor. Die Katholiken bemühen sich eben redlich um ihren Ruf.

Von Felix Neumann