Streitbarer Kardinal Walter Brandmüller wird 90
Als Papst Benedikt XVI. den früheren Professor für Kirchengeschichte 2010 zum Kardinal ernannte, musste mancher erst mal nachfragen, wer denn dieser Walter Brandmüller sei. Etwas ungewöhnlich war zudem, dass der Auserwählte zuvor noch zum Bischof geweiht werden musste. Lange Jahre hatte der gebürtige Ansbacher in Augsburg Kirchengeschichte gelehrt und war bei Augsburg in der Pfarrseelsorge tätig.
Für Brandmüller war die Kardinalswürde eine ehrende Auszeichnung; einen Nachfolger Benedikts hätte der damals fast 81-Jährige qua Alter schon nicht mehr mitwählen dürfen. Aber nach dem überraschenden Amtsverzicht Benedikts XVI. im Februar 2013 hätte er es wohl auch nicht gewollt. Denn Brandmüller hielt den Rückzug für falsch - was er 2017 in einem Zeitungsinterview auch kundtat. Deshalb schrieb ihm der emeritierte Papst sogar zwei Briefe, in denen er seine Entscheidung rechtfertigte.
Einer der vier "Dubia-Kardinäle"
Benedikt XVI. tat das mit teils deutlichen Worten, wie ein Jahr später aus der "Bild"-Zeitung zu erfahren war. Das Blatt war an die persönlichen Briefe gelangt, sehr zum Ärger des Absenders - und wohl auch des Empfängers. Brandmüller bestreitet, die Briefe der "Bild" gegeben zu haben.
Den Rücktritt Benedikts XVI. hält der langjährige Präsident des Päpstlichen Komitees für Geschichtswissenschaft immer noch für falsch. Das mag auch daran liegen, dass er die Amtszeit von dessen Nachfolger Franziskus sehr kritisch sieht. So wurde der eher stille Franke weltweit bekannt als einer der vier sogenannten Dubia-Kardinäle. Zusammen mit Raymond Burke und den inzwischen gestorbenen Joachim Meisner und Carlo Caffarra verfasste Brandmüller im Sommer 2016 kritische Anfragen ("Dubia") an Franziskus zu dessen Schreiben "Amoris laetitia" über Ehe und Familie.
Diese würde er heute noch genauso verfassen. "Es geht um die Frage: Ist Ehebruch unter gewissen Umständen sittlich zu rechtfertigen?", so Brandmüller. Und weiter: "Gibt es Handlungen, die an und für sich böse sind?" Seit "der modernen Moraltheologie sei alles unsicher geworden", klagt Brandmüller im Gespräch in seiner Wohnung im 4. Stock des Palazzo della Canonica neben der Sakristei von Sankt Peter. Das "ganze Gebäude christlicher und menschlicher Sittlichkeit" drohe "zusammenzustürzen"; dann "könnte man auch Homosexualität rechtfertigen".
Die heftige Kritik von Ex-Nuntius Carlo Maria Vigano an Franziskus und seiner Kurie zu dessen Personalpolitik, zu Vertuschung und homosexuellen Seilschaften im Vatikan hält Brandmüller für weitgehend gerechtfertigt - bis auf die Rücktrittsforderung an den Papst. Das habe es zuletzt von Kaiser Heinrich IV. (1050-1106) an Papst Gregor VII. (1025/30-1085) gegeben, so der Historiker. So etwas gehe nicht.
Er arbeitete der Kurie jahrzehntelang zu
Zum Mitglied des weltweit renommierten Komitees war Brandmüller 1981 als Nachfolger von Hubert Jedin berufen worden, dem damaligen Nestor der deutschen Kirchenhistoriker. Brandmüller vertrat den Fundus vatikanischer Geschichtsforschung auf internationaler Bühne, seit 1998 als dessen Präsident. Vor allem aber muss das Komitee der übrigen Kurie historisch zuarbeiten.
Als Papst Johannes Paul II. im Jahr 2000 das historische Schuldbekenntnis der katholischen Kirche ablegte, gab es etwa eine Anfrage aus Papua-Neuguinea zu Vergehen von Missionaren bei der Christianisierung. Ein anderes Mal ging es um eine mögliche Wiedererrichtung des 1312 aufgelösten Templerordens - Stoff genug für Romane im Stil von Dan Brown. Doch für so etwas "fehlt mir die Fantasie", gesteht Brandmüller.
Wenn er es könnte, würde er gern "etwas über Konzepte und Methoden der Kirchenreform" verfassen. Die aktuelle Kurienreform von Franziskus hält er für einen "totalen Flop". Man müsse fragen, ob sie überhaupt nötig sei. Der Kardinalsrat habe bis auf Kardinalstaatssekretär Parolin "keine Ahnung von der Kurie".
Beim Eisessen mit Ratzinger über Küng unterhalten
Nach der Ernennung zum Kardinal, die für ihn "damals in der Luft lag", wurde Brandmüller ein enges Verhältnis zu Benedikt XVI. nachgesagt. Das sei aber "eine Legende". Mit Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. verbinde ihn ein "höfliches, kollegiales Verhältnis".
Kennengelernt haben sie sich nach Brandmüllers Erinnerung 1970 in Rom. Bei einem Eis auf der Piazza Navona habe man sich über das gerade erschienene Buch "Unfehlbar?" von Hans Küng unterhalten - und vereinbart, dazu jeweils etwas zu schreiben: Brandmüller aus geschichtswissenschaftlicher Sicht, um Küng "etliche Fehler nachzuweisen", Ratzinger aus fundamentaltheologischer Sicht.
Als Benedikt XVI. Brandmüller 40 Jahre später zum Kardinal ernannte, wählte dieser den Spruch "Ignis in terram" (Feuer auf die Erde). Der stammt aus dem Wort Jesu "Ich bin gekommen, um Feuer auf die Erde zu werfen". Der Theologe verbindet es mit seinem Namen: Ein Brandmüller sei jemand, der seine Mühle auf einem brandgerodeten Areal baut. Im Übrigen sei das Motto ein Bild der Verkündigung von Jesus. Das Christentum sei "kein Schlafpulver, sondern Dynamit", zitiert Brandmüller einen Theologen. "Wenn das Evangelium gelebt wird, verändert es die Welt." Mit dieser Einschätzung dürfte sich Brandmüller dann auch mit Franziskus treffen.