Bundesverfassungsgericht verhandelt über Leistungskürzungen

Caritas: Hartz-IV-Sanktionen nicht mit Grundgesetz vereinbar

Veröffentlicht am 15.01.2019 um 11:19 Uhr – Lesedauer: 

Berlin/Karlsruhe ‐ Sind die geltenden Hartz-IV-Sanktionen rechtmäßig? Sozialverbände wie die Caritas sagen Nein. Es gebe einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf die Zusicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums.

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Nach Auffassung des Deutschen Caritasverbandes sind die derzeitig geltenden Regelungen zu Leistungskürzungen beim Arbeitslosengeld II nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. "Es gibt einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf die Zusicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums", betonte Caritas-Präsident Peter Neher am Dienstag mit Blick auf die auf die am Dienstag vor dem Bundesverfassungsgericht beginnende Verhandlung über eine mögliche Abschaffung der sogenannten Hartz-IV-Sanktionen.

Eine Reform der Sanktionsregelungen sei aus Sicht des Caritasverbandes längst überfällig, so Neher weiter. Besonders hart träfen die Sanktionen Jugendliche unter 25 Jahren, da für sie härtere Strafen als für Erwachsene gelten. "Das führt dazu, dass viele Jugendliche den Kontakt zum Jobcenter abbrechen, häufig vollständig aus dem Sicherungssystem herausfallen und keine Hilfsangebote mehr wahrnehmen. Ein fataler Domino-Effekt für das Leben der Jugendlichen", so der Caritas-Präsident.

Der Präsident des Deutschen Caritasverbands, Peter Neher, bei der Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Fulda.
Bild: ©katholisch.de

"Es gibt einen verfassungsrechtlichen Anspruch auf die Zusicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums", so Caritas-Präsident Peter Neher.

Die Caritas lehne Sanktionen nicht grundsätzlich ab, der Gesetzgeber sei aber bei der Ausgestaltung dessen, was eingefordert werden darf, zu weit gegangen, so der Verband. "Besonders kritisch ist die vorübergehende Streichung der Leistungen für die Kosten der Unterkunft. Im schlimmsten Fall kann dies dazu führen, dass die Betroffenen auf der Straße stehen und wohnungslos werden", sagte Neher. Deshalb brauche es dringend flexiblere Möglichkeiten der Entscheidung für die Sachbearbeitung in den Jobcentern. Die Minderung der Unterkunftskosten müsse ebenso ausgeschlossen werden wie die verschärften Sanktionen für junge Menschen.

Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverband, Ulrich Schneider, äußerte die Hoffnung, dass das Bundesverfassungsgericht die geltenden Sanktionen abschaffen werde. Damit wäre "endlich Schluss" mit dem negativen Menschenbild, das hinter der Agenda 2010 stehe, so Schneider in der "Augsburger Allgemeinen" (Dienstag).

"Es kann nach Artikel 1 unseres Grundgesetzes nicht sein, Menschen durch eine Kürzung einer staatlichen Leistung in ein Leben unterhalb des Existenzminimums zu schicken", so Schneider weiter. Die Agenda 2010 gehe davon aus, "dass die Menschen von Grund auf faul sind, dass man ihnen Beine machen muss, dass sie, wenn man ihnen das Existenzminimum gibt, keine Lust mehr zum Arbeiten hätten und man sie deshalb sanktionieren muss", kritisierte er.

Standpunkt: Können wir Würde bezahlen?

Albrecht von Croy über die Hartz-IV-Diskussion. (Standpunkt von März 2018)

Das Deutsche Kinderhilfswerk verwies darauf, dass von den Kürzungen der Bezüge ihrer Eltern Monat für Monat zehntausende Kinder und Jugendliche betroffen seien. Das verstieße auch gegen das in der UN-Kinderrechtskonvention normierte Recht auf soziale Sicherheit und angemessene Lebensbedingungen. "Schon der normale Hartz-IV-Regelsatz von Kindern ist künstlich kleingerechnet und entspricht nicht dem notwendigen soziokulturellen Existenzminimum", sagte Bundesgeschäftsführer Holger Hofmann.

Der Paritätische erklärte, dass von den 4,4 Millionen erwerbsfähigen Hartz-IV-Beziehern nur 1,4 Millionen tatsächlich arbeitslos seien. Sanktionen gebe es gerade einmal gegen drei Prozent der Hartz-IV-Bezieher. Vor diesem Hintergrund wäre es sinnvoller, wenn sich die Jobcenter um die 97 Prozent kümmern, die arbeiten wollten. (stz)