Theologe übt neue Kritik an Aufsatz Benedikts XVI.
Der Freiburger katholische Theologe Magnus Striet und der Potsdamer Rabbiner Walter Homolka wollen einen besseren Austausch von Juden und Christen. Nötig sei ein lebendiges Gespräch; erreichte Annäherungen dürften nicht leichtfertig verspielt werden, mahnen die Autoren im Vorwort ihres gemeinsamen Buchs "Christologie auf dem Prüfstand. Jesus der Jude – Christus der Erlöser". In diesem Zusammenhang kritisieren sie auch den jüngsten Aufsatz von Papst Benedikt XVI. zum Verhältnis von Christentum und Judentum.
Striet nannte es im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) am Mittwoch überzogen, dem emeritierten Papst Antijudaismus vorzuwerfen. Benedikt XVI. setze sich aber nicht selbstkritisch mit der Rolle von Kirche und Theologie im Blick auf Antijudaismus oder die Schoah auseinander. "Ein deutscher Papst kann nach dem Holocaust nicht mehr so argumentieren." Die Zeitschrift "Communio" hatte im Juli 2018 einen Aufsatz Benedikts XVI. publiziert. Darin schreibt der emeritierte Pontifex unter anderem, dass es zwar im Grunde richtig sei, dass Israel nicht durch die Kirche substituiert werde, und dass der Bund Gottes mit dem jüdischen Volk nie gekündigt worden sei. Allerdings seien diese beiden Thesen in vielen Dingen ungenau und müssten "kritisch weiter bedacht" werden.
"Theologischer Antijudaismus" mitverantwortlich für Schoah
Ein "über viele Jahrhunderte konstanter theologischer Antijudaismus" sei mitverantwortlich für Judenpogrome und die Schoah, sagte Striet. Er erinnerte an den Theologen Johann Baptist Metz, der Auschwitz ins Zentrum seines Denkens gestellt und als radikalen Einschnitt für Theologie und Kirche beschrieben habe. Bei Benedikt XVI. dagegen sei zur Frage, warum Gott solches Leid zugelassen habe, "wenig bis nichts zu spüren". Nach einem Treffen von Rabbinern mit Benedikt XVI. hieß es zuletzt in Rom, "Missverständnisse" seien ausgeräumt worden.
Striet sprach sich auch dafür aus, die traditionelle katholische Lehre von Sündenvergebung und Erlösung neu zu durchdenken. Anstelle der Vorstellung, dass Jesus am Kreuz als Sühneopfer für die Sünden der Menschen gestorben sei, könne in den Blick kommen, dass "Gott in Jesus am Kreuz selbst ein zu Tode Gefolterter ist und somit Gott am Ende der Tage vielleicht auch für jene Versöhnung bringen kann, die unter die Räder der Geschichte gekommen sind". Jesus habe nicht sterben, sondern für Gott werben wollen, der "den am Rande einer Gesellschaft Stehenden nahe sein will".
Striet betonte, ausgehend davon, dass Jesus Jude war, könne ein neues Bild des historischen Jesus entstehen. Das Nachdenken darüber, was das für religiöse Vorstellungen heute bedeute, müsse aber immer im Dialog mit dem Judentum geschehen.
In dem gemeinsamen Buch beschreibt Homolka, dass es über Jahrhunderte keine positive jüdische Auseinandersetzung mit der Person Jesu gegeben habe. Stattdessen sei Jesus beispielsweise als ein Symbol der christlichen Unterdrückung gesehen worden, so Homolka. Erst Ende des 19. Jahrhunderts habe im Judentum eine Wiederentdeckung des historischen Jesus begonnen. Wenn Christen heute über Jesus nachdächten, so Homolka, dürften sie dessen "Verankerung im Judentum" nicht verdecken. (mal/KNA)