Heute vor 80 Jahren

Als die Nazis die Zentrale der katholischen Jugendarbeit stürmten

Veröffentlicht am 06.02.2019 um 15:15 Uhr – Lesedauer: 

Düsseldorf ‐ Unabhängige christliche Jugendarbeit – das durfte es unter den Nazis nicht geben. Heute vor 80 Jahren wollten sie das endgültig durchsetzen: Die Zentrale der katholischen Jugendarbeit wurde von der Gestapo gestürmt. Nur ein letztes Vaterunser konnte der Generalpräses mit seinen Mitarbeitern beten.

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Am 6. Februar 1939 war es endgültig zu Ende mit der unabhängigen katholischen Jugendverbandsarbeit in Deutschland. Der Katholische Jungmännerverband wurde verboten, die Verbandszentrale geschlossen und beschlagnahmt, die Konten gepfändet. 140 Gestapo-Beamte stürmten das Jugendhaus in der Derendorfer Straße in Düsseldorf.

Es war schon die dritte Schließung unter den Nationalsozialisten – und dieses Mal blieb die Verbandszentrale geschlossen. Schon lange war das Jugendhaus dem Regime ein Dorn im Auge, die selbstbewussten und unabhängigen Jugendverbände widersetzten sich der "Gleichschaltung", die nur noch die Hitlerjugend und den Bund deutscher Mädel übrig lassen sollte. Schon kurz nach der "Machtergreifung" gab es den ersten Versuch, die Verbände auszuschalten. Bereits am 1. Juli 1933 wurden das Jugendhaus, der Sitz des Katholischen Jungmännerverbandes Deutschlands, und das Haus Altenberg, die Bildungsstätte des Verbandes, zum ersten Mal geschlossen. Auch das Konkordat zwischen dem Deutschen Reich und dem Heiligen Stuhl, das keine drei Wochen später unterzeichnet wurde, bot keinen wesentlichen Schutz für die Jugendverbände.

Das Konkordat schützte die unabhängigen Verbände nicht

Der Artikel 31 des Staatsvertrags zwischen dem Vatikan und Berlin sicherte zwar katholischen Organisationen und Verbänden Schutz zu – aber nur, wenn sie sich "ausschließlich religiösen, reinkulturellen und karitativen Zwecken" widmeten und direkt der Kirche unterstellt waren. Für die unabhängigen katholischen Verbände bot das keinen Schutz. Ihre Arbeit wurde immer weiter eingeschränkt; Publikationsverbote für ihre Zeitschriften schnitten den Kontakt untereinander ab, es kam zu Verhaftungen, der Reichsführer des katholischen DJK-Sportverbands wurde 1934 im Umfeld des Röhm-Putsches ermordet. 1934 kam dann der zweite Versuch, das Jugendhaus zu schließen. Ab 1935 beschränkte eine Polizeiverordnung das Wirken der Verbände völlig auf den religiösen Bereich – nicht einmal mehr Zeltlager waren damit möglich.

Das Siegel, mit dem die Gestapo das Jugendhaus Düsseldorf nach der Räumung verschlossen hatte
Bild: ©Archiv des Jugendhauses Düsseldorf

Das Siegel, mit dem die Gestapo das Jugendhaus Düsseldorf nach der Räumung verschlossen hatte.

Schweren Herzens musste die Unabhängigkeit aufgegeben werden; 1936 wurden die vormals selbständigen Verbände direkt den Bischöfen unterstellt, um wenigstens den Schutz zu genießen, der ihnen auf dem Papier des Konkordats zugesichert wurde.

Kein offener Aufruf zum Widerstand – und doch Gegner des Regimes

Die Nationalsozialisten sahen in der Jugendarbeit der Kirche einen Gegner. Nicht ohne Grund: Lange vor der Machtergreifung ergriffen die katholischen Jugendlichen Partei gegen die NSDAP. Die Reichstagung des Jungmännerverbands 1931 wurde zu einem Großereignis, das mit einem "Kampfgelöbnis für Deutschland" von 15.000 Jugendlichen endete: gegen Nationalsozialismus und Kommunismus, für Freiheit, für ein Lebensrecht aller, für eine neue Wirtschaftsordnung, für eine freiheitliche Verfassung, für Abrüstung und Völkerverständigung. Während der Naziherrschaft litten die katholischen Jugendlichen unter den Repressalien der Hitlerjugend. Auch nach der Machtergreifung versuchten die Jugendverbände, vor allem der Jungmännerverband und der DJK-Sportverband, die Jugendarbeit gegen den totalen Anspruch des Regimes zu ermöglichen. Einen offiziellen Aufruf zum Widerstand oder zur Kriegsdienstverweigerung gab es jedoch nie.

Ein besonders lautstarker Gegner der Nazis war der Kölner Priester Joseph Cornelius Rossaint, Pazifist und Mitglied des Jugendverbandes "Sturmschar". 1931 gründete er die Aktion "Katholische Jugend gegen Nationalsozialismus", 1933 trat er aus der Zentrumspartei aus, nachdem sie im Reichstag dem "Ermächtigungsgesetz" zugestimmt und damit dem Dritten Reich den Weg geebnet hatte: Nur mit den Stimmen der Zentrumspartei war die nötige Zweidrittelmehrheit für Hitlers Gesetz möglich, das den Parlamentarismus ausschaltete.

Erst nach dem Krieg wurde das Jugendhaus wieder aufgebaut

Rossaint und weitere Anführer der katholischen Jugendbewegung, darunter der Generalpräses Jungmännerverbands, Ludwig Wolker, wurden 1936 verhaftet. Wolker und andere kamen glimpflich davon und waren bald wieder frei. An Rossaint dagegen sollte ein Exempel statutiert werden; er war nach einer kritischen Predigt  einer der Hauptangeklagten im "Berliner Katholikenprozess", einem Schauprozess am Volksgerichtshof und wurde zu elf Jahren Zuchthaus verurteilt, weil er eine Einheitsfront aus christlichen und sozialistischen Regimegegnern aufbauen wollte – fast hätte er die Haft nicht überlebt, aus der er im April 1945 freikam. Die Kirche dankte ihm seinen Mut nicht, auch die Jugendverbände distanzierten sich nach dem Urteil von ihm; während seinem Prozess und der Haft gab es keine Unterstützung des Kölner Kardinals Karl Joseph Schulte, danach untersagte ihm dessen Nachfolger Kardinal Joseph Frings jedes politische Wirken und Kontakt zu seinen kommunistischen Mithäftlingen. Er wollte sich nicht von den Kommunisten distanzieren, die ihm das Leben retteten – so konnte er nicht mehr als Priester wirken. Erst 1991, auf dem Sterbebett, erreichte ihn ein versöhnlicher Brief von Kardinal Joachim Meisner.

Generalpräses Ludwig Wolker mit Jugendlichen
Bild: ©Archiv des Jugendhauses Düsseldorf

Generalpräses Ludwig Wolker mit Jugendlichen. Hinter ihm ist das Banner zu sehen mit dem Christusmonogramm, das in der Zeit des Nationalsozialismus ein Bekenntnis der katholischen Jugend zu Christus, dem König, und gegen die Machthaber war. Noch heute fliegt das Christusbanner über dem Jugendhaus Düsseldorf.

Erst nach dem Krieg und dem Ende des Nationalsozialismus konnte das Jugendhaus Düsseldorf wieder eröffnet werden. Durch einen Bombenangriff war das ursprüngliche Gebäude zerstört. 1947 wurde der Bund der Deutschen Katholischen Jugend gegründet, 1954 wurde das Grundstück an der Derendorfer Straße zurückgegeben, die Straße umbenannt: Nun ist die Adresse der Jugendverbandszentrale "Carl-Mosterts-Platz", benannt nach dem Vorgänger von Ludwig Wolker. Damit konnte der Grundstein für das heutige Jugendhaus gesetzt werden, das Sitz des BDKJ, einiger seiner Mitgliedsverbände und der Arbeitsstelle für Jugendseelsorge der Deutschen Bischofskonferenz ist.

Ein Vaterunser und ein Handschlag

Vor 80 Jahren konnte damit niemand rechnen. Als am 6. Februar 1939 die Gestapo das Jugendhaus stürmte, war der Chef im Haus: Generalpräses Ludwig Wolker wollte noch einmal mit seinen Mitarbeitern reden, die in einem Sitzungszimmer eingesperrt wurden und von den Beamten informiert wurden, dass sie nun entlassen seien.

Später erinnert sich einer seiner Mitstreiter, der Kaufmännische Direktor des Jugendhauses Albert Fehrenbach, an die Reaktion Wolkers: "GP [der Generalpräses] wollte noch ein Abschiedswort an seine Mitarbeiter richten, es wurde ihm verwehrt. Da forderte er im Beisein der verlegenen Staatspolizei auf, ein gemeinsames 'Vater unser' zu beten. Das erwartete keiner. Dann stellte er sich an die Tür und gab jedem den Handschlag des Dankes und der Treue." Das Jugendhaus Düsseldorf, die Zentrale der katholischen Jugendarbeit, war Geschichte. Fürs erste.

Von Felix Neumann