"Maria 2.0": Katholische Frauen treten in den Kirchenstreik
In einem Lesekreis katholischer Frauen der Münsteraner Heilig-Kreuz-Gemeinde kippte Anfang Januar die Stimmung: Den sieben Frauen, die sich einmal im Monat trafen, um "Evangelii Gaudium" ("Die Freude des Evangeliums") zu lesen, das Apostolische Schreiben von Papst Franziskus aus dem Jahr 2013, war gar nicht nach Freude zumute. Die Missbrauchsfälle in der Kirche und die andauernde Ausgrenzung von Frauen setzten ihnen zu, berichtet Lisa Kötter. "Aus dem ewigen 'Man müsste mal' machten wir dann ein 'wir machen es nun'". Die Frauen rufen zu einem einwöchigen Kirchenstreik katholischer Frauen auf – nicht nur in ihrer Gemeinde. Eine eigens angelegte Facebook-Seite soll anregen, dass sich auch andere Pfarreien in ganz Deutschland der Aktion anschließen. "Wir hatten kein Vorbild dazu; wir machen etwas, das es noch nicht gab", sagt sie.
Vom 11. bis 18. Mai wollen sie keine Kirche betreten und keinen Dienst tun. In ihrem Aufruf heißt es: "Wir alle wissen, wie leer dann die Kirchen sein werden und wie viel Arbeit unerledigt bleiben wird. Wir bleiben draußen! Wir feiern die Gottesdienste auf den Kirchplätzen, vor den Kirchentüren." Zeitgleich zur Idee mit dem Streik formulierten die Frauen – inzwischen ist die Kerngruppe auf 15 angewachsen – einen offenen Brief an Papst Franziskus. Dieser wurde am Wochenende in den Gottesdiensten der Gemeinde verlesen. "Da war dann kurz Stille und dann haben alle applaudiert", berichtet Kötter. Es gebe eine große Zustimmung; sie selbst habe nur vereinzelt leise Kritik gehört, sagt die 58-Jährige. Auch der Pfarrer der Heilig-Kreuz-Gemeinde, Stefan Jürgens, stehe hinter dem Anliegen der Frauen.
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Anlässlich des Sondergipfels zum Thema Missbrauch und Kinderschutz, der kommende Woche in Rom stattfindet, soll das Schreiben samt Unterschriften dem Papst übermittelt werden. 100 Unterzeichner konnten die Frauen am Wochenende in ihrer Gemeinde gewinnen; auf der Petitionsplattform Campact sind es derzeit zusätzlich noch 300.
Auch der Gottesmutter Maria hat ein Heiliger Schweigen befohlen
In dem Brief klagen die Frauen die "vielen unbekannten Fälle von Missbrauch und Verletzungen jeglicher Art" an und "deren Vertuschung und Verdunkelung durch Amtsträger". Sie fordern: Kein Amt mehr für Missbrauchstäter, -dulder und -vertuscher sowie die selbstverständliche Überstellung der Täter an weltliche Gerichte. Zudem treten sie für einen Zugang von Frauen zu allen Ämtern der Kirche, die Aufhebung des "Pflichtzölibats" und eine Ausrichtung der Sexualmoral an der Lebenswirklichkeit der Menschen ein.
"Maria 2.0" heißt die Aktion, die laut Kötter auf Facebook auch kirchliche Autoritäten wie Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck und der Essener Generalvikar Klaus Pfeffer abonniert haben. Kirchenmänner duldeten in ihrer Mitte nur eine Frau: Maria. "Auf ihrem Sockel. Da steht sie. Und darf nur schweigen", heißt es in dem Offenen Brief mit Bezug auf eine Legende, nach der der heilige Bernhard von Clairvaux einer Marienerscheinung den Mund verbat, als sie ihn ansprechen wollte. Die Aktion "Maria 2.0" holt die Gottesmutter runter von dem Sockel und will sie als eine Schwester zeigen, als eine Mutter und als eine Frau, die gehandelt und gelitten habe.
Das Ziel der Münsteraner Frauen ist, dass sich viele Menschen in Deutschland ihrer Aktion anschließen – vor allem auch dem Streik der Frauen im Mai. Sie hofften, dass sich die Situation dann bessern wird, so Kötter. "Maria 2.0, das sind alle, denen ihre Kirche zu sehr am Herzen liegt, als dass der stillschweigende Austritt eine Alternative wäre". Sie persönlich hoffe, dass die Aktion große Welle schlägt, "die Mut macht, die andere Hälfte der Kirche zu hören". Es seien bislang noch zu wenige Bischöfe, die mutig nach vorne gingen und die Probleme beim Namen nannten.
Für Kötter sind sowohl die Missbrauchsfälle als auch der Ausschluss von Frauen gleichermaßen "strukturelle männerbündische Probleme der Kirche". Wenn etwa Frauen, die sich zum Priesteramt berufen fühlten, dieses verweigert werde und sie zu einem anderen Glaubensweg gezwungen würden, dann sei das spiritueller Missbrauch, sagt Kötter mit Bezug auf das gleichnamige Buch von Doris Wagner über geistliche Manipulationen und Grenzüberschreitungen durch Seelsorger. Der Kirchenstreik solle allen spürbar machen, dass Frauen durch kirchliche Hierarchien und Strukturen draußen gehalten würden.