Franz Kamphaus: Priester aus Passion
"Wir gehen nicht unter, wir gehen auf – in Gott", sagt er. Solch ein Satz im 87. Lebensjahr kommt spürbar von weit her. In unserem Gespräch im vergangenen September drehte sich vieles darum, was wir angesichts des nahenden Todes zu erwarten haben und hoffen dürfen. Haben wir Bilder dafür, frage ich ihn. Nach längerem Schweigen sagt er: "Als erstes fällt mir das Osterbild vom Isenheimer Altar ein", und dann, wieder nach langem Schweigen: "Feuer".
Sein diamantenes Priesterjubiläum zum Anlass einer dankbaren Würdigung zu nutzen, ist goldrichtig für Franz Kamphaus. Denn nichts wollte er mehr sein – so auch der Titel seines früheren Buches – als "Priester aus Passion". Kaplan, Dozent für die Predigtkunst, Regens im Priesterseminar in Münster, und dann gut 25 Jahre Bischof in Limburg – immer Priester aus Gottesleidenschaft. Und das heißt gemäß seinem Primizspruch: "Nicht Herren eures Glaubens, sondern Diener eurer Freude" (1 Ko 1,24).
Seit seiner Entpflichtung vom Bischofsamt lebt er im Vincenzstift in Aulhausen bei Rüdesheim, bei Behinderten und mit ihnen. Lange Zeit war er noch ein gefragter Exerzitienmeister und Beichtvater, und immer Seelsorger. Man muss mit ihm über das weiträumige Gelände in Aulhausen gehen und erleben, wie die zahlreichen eingeschränkten Menschen ihn lebhaft begrüßen; die meisten duzen ihn, andere sagen liebevoll "Bischof", und er kennt sie alle mit Vornamen. Es wirkt, als wäre er ganz angekommen in seinem bischöflichen Wahlspruch "Den Armen das Evangelium verkünden". Deshalb ist ihm auch sein Namenspatron aus Assisi, durch den jetzigen Papst programmatisch zu Ehren gekommen, so wichtig.
Amt als Dienst
Als Kamphaus zum Bischof von Limburg geweiht wurde, drehte sich noch vor Beginn der Liturgie im Dom Karl Rahner – schon schwerhörig und alt – lautstark zu mir zurück und sagte: "Herr Fuchs, in dem Franz haben sich die Römer getäuscht." In der Tat gehörte er ja zur Priesterbewegung "Freckenhorster Kreis" und war – tief geprägt vom weitsichtigen Johannes Bours und dem prophetischen Hans Werners – aktiv mitbeteiligt am konziliaren Aufbruch. Dazu zählten auch liturgische "Experimente", die keineswegs allen in der Kirchenleitung gefielen.
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Bereits während der Würzburger Synode – und damit einige Jahre bevor er Bischof war – wurde Kamphaus als Vorkämpfer konziliarer Erneuerung über die Grenzen seiner Heimatdiözese Münster hinaus bekannt. Jeder Getaufte müsse sein Stimmrecht wahrnehmen, forderte er. Als Bischof in Limburg trat er die Nachfolge von Wilhelm Kempf an, den Rom amtsentheben wollte ob seines Mutes, eine konsequent synodale Kirchenordnung einzuführen – die erste und in gewisser Weise einzige bis heute. Wie ein sichtbares Vorzeichen zukünftiger pastoraler Akzente im Bistum war die Weigerung des neuen Bischofs, ins Bischofshaus einzuziehen. Stattdessen machte Kamphaus eine kleine Wohneinheit im Priesterseminar zu seinem Domizil. Manche sagen, er blieb immer der Regens, der er seit Münster schon war, durchaus mit einer kaum bewussten Vorliebe für Priester; Laientheologen konnten sich schon mal übersehen und nicht recht gewürdigt fühlen. Mit laisierten Priesterkollegen und ihren Frauen hält er treue Verbindung.
Nicht das Ordinariat als Verwaltungszentrum war die Mitte seines bischöflichen Wirkens – manche meinten sogar, er miede es eher –, sondern die diözesane Basis. Bei den intensiven und regelmäßigen Visitationen der Seelsorgebezirke war Kamphaus in seinem Element, nahe bei den Mitmenschen und mitten in den realen Lebensthemen. Es war auch kein Zufall, dass er am Ende auf eine außerliturgische Abschiedsveranstaltung in Limburg verzichtete und stattdessen ausführlich zum Gespräch in die Bezirke und an die Basis ging. Sein Terminkalender war stets prallvoll. Er suchte und praktizierte einen möglichst partnerschaftlichen Leitungsstil, regierte aber doch kraftvoll und mit letzter Entscheidung. Das richtige Delegieren musste gelernt und geübt werden. Bisweilen hörte man sogar vom Limburger Gorbatschow-Effekt: je weiter weg, desto beliebter.
Aber stilbildend wurde im Bistum doch die Entschiedenheit für die Armen und das Gespür, dass es christlich keinen Glauben ohne soziale Verantwortung und politische Zeitgenossenschaft gibt. Besonders anschaulich wurde das im Bosnienkrieg und dessen Bewältigung. Unter hohem persönlichen Einsatz und mit intensivem Engagement der ganzen Limburger Diözese wurde Partnerschaft mit Kirchen der Balkanländer praktiziert und Hilfe geleistet. Auch die Verbundenheit mit der Kirche in Kamerun weitete und weitet den Blick. Wie hochgeschätzt und verehrt Kamphaus im Bistum schließlich war, zeigt der schöne Bild- und Textband des Domkapitels zum 75. Geburtstag "Wissen, dass der Himmel trägt".
Prediger und Glaubenslehrer
Schon die Hirtenbriefe Bischof Kempfs setzten Maßstäbe. Kamphaus selbst ist ein begnadeter Prediger. Bald wurden aus seinen beachtlichen Hirtenbriefen, Vorträgen und Ansprachen viel gelesene Bücher voll spiritueller Anregung. Ganz ein Mann der Heiligen Schrift und ihrer genauen Exegese ist der Prediger Kamphaus auf das präzise Wort bedacht, nichts ist ihm ärgerlicher als frommes Geschwafel und leichtfertiges Gott-Sagen. Seine Sorge um angemessene Glaubenssprache(n) ist bezeichnend, und wie viel Zeit und Energie hat er in die Arbeit an seinen Texten gesteckt. Was bisweilen vergessen wurde, weil andere in der Bischofskonferenz als die theologischen Wortführer galten: Kamphaus ist ein kundiger Theologe von Rang – stets an aktuellen Diskussionen und Publikationen interessiert, zudem mit dem Mut und der Demut, sich von anderen beraten zu lassen. Man wünschte sich mehr solche Bischöfe (sowie Priester und Laien), die die untrennbare Einheit von Spiritualität, Pastoral und Theologie derart verkörperten und vermittelten.
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Diese Kompetenzen kamen Kamphaus besonders auch als bischöflicher Vorsitzender von "Justitia et Pax" zu gute. Weltkirchliche Themen um Gerechtigkeit und Frieden rückten in den Mittelpunkt seines Denkens und Wirkens: Der Münsteraner aus geliebten bäuerlichen Verhältnissen entdeckt die Welt und die Weltkirche tiefer und neu. Wichtige Lehrschreiben wie "Gerechtigkeit schafft Frieden" tragen seine Handschrift. Dadurch, dass Kamphaus statt Jahresurlaub stets eine Pastoralreise mit Iustitia et Pax in ferne, meist asiatische Länder und ihre Kirchen unternahm, wurde die weltkirchliche Dimension des Evangeliums immer mehr zum Thema.
Der Konflikt
Die Glaubenskongregation und wohl auch Johannes Paul II. wollten bekanntlich um jeden Preis den Austritt der Kirche aus der staatlichen Schwangerschaftskonfliktberatung – zwecks Klarstellung des Christlichen und Kirchlichen. Viele auch der Bischöfe sahen das anders und dachten konsequent von den betroffenen Frauen her, Kamphaus mitten unter ihnen und im Fortgang des Streites immer entschiedener. Wie viele Reflexionen und Gespräche zur ständigen Überprüfung der eigenen Gewissensentscheidung gab es! In zahlreichen Romreisen und geheimen Spitzengesprächen dort, bei denen der Münsteraner (Heimat-)Bischof Reinhard Lettmann Franz Kamphaus treu begleitete und ihm beistand, kam es zu keiner Lösung.
Rom blieb entschieden, und von den mit Kamphaus gleichgesinnten Bischöfen änderte einer nach dem anderen seine Meinung und fügte sich. Unvergessen ist unser nächtliches Gespräch in Limburg. "Allein gegen alle anderen Bischöfe die Hand zu heben und beim Nein gegenüber Kongregation und Papst zu bleiben", sagte er. Welche Kraft das den eher harmoniebedürftigen Kamphaus gekostet hat, bleibt nur zu ahnen; fortan war er in gewisser Weise ein anderer und seine Sicht auf die Verhältnisse wurde entschiedener. Aber nie in diesem ganzen Drama, das definitiv mit dem Namen Josef Ratzinger verbunden ist, hörte man von Kamphaus auch nur ein Wort der Kritik an ihm oder an anderen Bischöfen. Typisch und wohl beispielhaft ist diese gelebte Spannung von Entschiedenheit und Widerstand, von unzerstörbarer Bindung an die Kirche und bisweilen immensem Leiden an ihr – und höchster Diskretion. Er, der Presse und Öffentlichkeit durchaus zu nutzen und zu schätzen wusste, tat alles, um den Dissens nur ja nicht zu verschärfen oder gängige Kirchenklischees zu bedienen.
"Die Größe eines Menschen erkennt man daran, wie viele Gegensätze er in sich vereinigt." Man könnte diesen Kernsatz des Nikolaus von Kues wohl auch so übersetzen: Groß ist die Freude über jeden Menschen, der dadurch sich treu bleibt, dass er sich bis an die Grenzen seiner Möglichkeiten weiten und verwandeln lässt, also passioniert bleibt. Und das schon seit mehr als 60 Jahren. Mehr denn je sind solche Formate gefragt. Möge Franz Kamphaus uns noch lange erhalten bleiben.