Früherer Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde gestorben
Ernst-Wolfgang Böckenförde, früherer Bundesverfassungsrichter und emeritierter Freiburger Staatsrechtler, ist tot. Er starb am Sonntag im Alter von 88 Jahren, wie das Bundesverfassungsgericht am Montag mitteilte.
In Böckenfördes Amtszeit in Karlsruhe fielen wichtige Urteile, etwa zum Auslandseinsatz der Bundeswehr, zum Schwangerschaftsabbruch oder zum Parteien- und Asylrecht. Berühmt und immer wieder aufgegriffen wurde der von ihm geprägte Satz "Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann." Das sogenannte "Böckenförde-Diktum", das er 1976 in seiner Schrift "Staat, Gesellschaft, Freiheit" aufgestellt hat, beschreibt die Schwierigkeit, in säkularisierten Staaten den Zusammenhalt der Gesellschaft zu gewährleisten. Den Verzicht des Staates auf das Setzen dieser Voraussetzungen bezeichnete er als "das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist".
Gegenüber katholisch.de bezeichnete der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Thomas Sternberg, Böckenförde als einen der "ganz großen und prägenden Juristen in der Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik". Sein Schaffen dürfe man "keinesfalls nur auf das eine Diktum reduzieren". Böckenförde habe damit aber die Bedeutung der Religionen für die moderne Gesellschaft klargemacht: "Ihm ging es um die Quellen des Wertebewusstseins der Menschen."
Vielfältiges Engagement in Staat und Kirche
Böckenförde stammte aus Kassel. Nach Jurastudium, Promotion und Habilitation wirkte er als Professor in Heidelberg, Bielefeld und Freiburg. 1983 kam der Sozialdemokrat zum Bundesverfassungsgericht; er versah das Amt bis 1996. Er war Mitherausgeber der Heidelberger Fachzeitschrift für Staatslehre und Verfassungsgeschichte "Der Staat" und Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Der Katholik war jahrelang Berater des ZdK und arbeitete als Mitglied des Bensberger Kreises, einem Zusammenschluss von reformorientierten Katholiken, an dessen Polen-Denkschrift von 1968 mit.
Böckenförde wurde vielfach geehrt, obwohl er öffentliche Auftritte eher scheute. So erhielt er fünf Ehrendoktortitel, darunter die der Katholisch-Theologischen Fakultäten in Bochum und Tübingen. Papst Johannes Paul II. ernannte den Katholiken zum Komtur des Gregoriusordens. Baden-Württemberg ehrte ihn mit der Landesverdienstmedaille, 2004 erhielt Böckenförde den Hannah-Arendt-Preis für politisches Denken und 2016 das Bundesverdienstkreuz. Der damalige Bundespräsident Joachim Gauck würdigte Böckenförde dabei als überzeugten Christ, leidenschaftlichen Demokraten und Brückenbauer zwischen Kirche und Staat.
Die Auszeichnung mit dem Romano-Guardini-Preis 2004 bezeichnete Böckenförde als Krönung seines jahrzehntelangen Bemühens, die Weltverantwortung der Kirche richtig zu begreifen und an ihrer Realisierung mitzuwirken. Böckenförde lebte zuletzt in Au bei Freiburg. (fxn/KNA)