Das erste große Schreiben von Papst Johannes Paull II.
Am 16. Oktober 1978 hatten die im Konklave versammelten Kardinäle den Krakauer Erzbischof Karol Wojtyła zum neuen Papst gewählt. Die Verkündigung seines Namens sorgte wohl im ersten Augenblick bei manchen Gläubigen zunächst für große Verwirrung. Den Kardinal aus Polen hatte niemand so richtig auf dem Zettel gehabt. Kaum ein halbes Jahr später, am 4. März 1979, veröffentlichte Papst Johannes Paul II. bereits sein erstes größeres Schreiben: die Antrittsenzyklika "Redemptor hominis".
Der Autor ist mittlerweile zur Ehre der Altäre erhoben – und der Text der Enzyklika wohl weitgehend in Vergessenheit geraten. Doch auch nach 40 Jahren lohnt es sich, den Text wieder hervorzuholen und ihn aufmerksam zu lesen. Die Themen, die er verhandelt, sind nämlich keine, die in aller Seelenruhe verstauben könnten. Christus, der Erlöser der Menschen, rückt genauso in den Mittelpunkt wie der Mensch selbst, seine Rechte und seine Würde. Kurzum: Es geht um zentrale Inhalte, die uns heute genauso viel angehen, wie vor 40 Jahren.
Das Regierungsprogramm des neuen Papstes
Antrittsenzykliken stehen immer im Ruf, etwas vom Regierungsprogramm des neuen Papstes durchblicken zu lassen. Wer wissen möchte, was den neuen auf dem Stuhl Petri wirklich bewegt, der muss wohl das erste größere Schreiben abwarten. Johannes XXIII. (1958-1963) zum Beispiel legte in seiner ersten Enzyklika "Ad Petri cathedram" die Ankündigung des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) sowie ein erstes Programm dafür vor. Auffallend ist, dass Papst Franziskus für sein erstes programmatisches Schreiben nicht die Form der Enzyklika wählte. Seine Programmschrift "Evangelii gaudium" erschien im November 2013 als Apostolisches Schreiben. Dennoch ist dies zumindest inhaltlich den Antrittsenzykliken der anderen Päpste gleichgestellt.
In seiner Antrittsenzyklika "Redemptor hominis" beginnt Johannes Paul II. mit einem sehr persönlichen Rückblick auf seine Wahl. Als er in der Sixtinischen Kapelle vom Kardinaldekan gefragt worden sei, ob er die kanonische Wahl zum Papst annehme, habe er geantwortet: "Im Glaubensgehorsam gegenüber Christus, meinem Herrn, und im Vertrauen auf die Mutter Christi und seiner Kirche nehme ich ungeachtet der großen Schwierigkeiten an." Auch die ungewöhnliche Wahl seines Namens begründet der Pontifex ausführlich: Bereits in der Namenswahl seines Vorgängers habe Johannes Paul II. "ein deutliches Vorzeichen des Segens Gottes für das neue Pontifikat" gesehen.
Linktipp
Hier können Sie die Enzyklika "Redemptor hominis" von Papst Johannes Paul II., die 4. März 1979 veröffentlicht wurde, nachlesen.Er wolle aber das Pontifikat von Johannes Paul I. (1978) nicht fortsetzen oder weiterführen, sondern wieder zu seinem Beginn zurückkehren. Bewusst bezieht sich der Papst durch die Wahl seines Namens auf seine Vorgänger Johannes XXIII. und Paul VI. (1965-1978). Das Erbe dieser Päpste möchte Johannes Paul II. fruchtbarmachen und bewahren. Damit ist wohl besonders das Erbe des Zweiten Vatikanischen Konzils gemeint, dessen Rezeption bis 1978 nur zaghaft und im Ansatz durchgesetzt war.
Auch durch thematische Rückbezüge stellt sich Johannes Paul II. in seiner Enzyklika in die Tradition seiner unmittelbaren Vorgänger. Er hebt besonders den Mut und die Weitsicht Johannes XXIII. hervor, der sich nicht gescheut habe, noch im hohen Alter ein Konzil einzuberufen und dafür wichtige Leitlinien vorzugeben. Ebenso bedeutend sei Paul VI., der es in der durchaus schwierigen Phase nach dem Konzil verstanden habe, die Beschlüsse des Zweiten Vaticanums zu verwirklichen. Ausdrücklich bezieht sich Johannes Paul II. dabei auf die Antrittsenzyklika Pauls VI., "Ecclesiam suam". Hier sieht Johannes Paul den Gedanken der Öffnung grundgelegt, der seinen besonderen Ausdruck im Dialog mit den anderen Menschen findet, selbst wenn diese nicht zur Kirche gehören oder nicht einmal an Gott glauben.
"Öffnet, ja reißt die Türen weit auf für Christus!"
Denkt man an die ersten Worte des neuen Papstes bei der Amtseinführung zurück, ist es nur verständlich, dass er sich hier noch einmal in ausdrücklicher Weise auf diese Enzyklika bezieht. Bei der Ansprache zum Beginn des Pontifikats am 22. Oktober 1978 rief Johannes Paul II. den auf dem Petersplatz versammelten Gläubigen zu: "Habt keine Angst! Öffnet, ja reißt die Türen weit auf für Christus!" Die Öffnung der Kirche gegenüber den Anderen, die das Zweite Vatikanische Konzil in seinen Dokumenten grundgelegt hat und die ein wichtiges Thema für Paul VI. war, möchte Johannes Paul II. fortführen.
Im zweiten Teil seiner Enzyklika wendet sich der Papst dem "Geheimnis der Erlösung" zu. In besonderer Weise knüpft der Pontifex hier wiederum an die verabschiedeten Dokumente des Konzils an. Die Kirche ist, so Johannes Paul II., bleibend auf den Erlöser, auf Christus, verwiesen. "Die Kirche bleibt umfangen vom Geheimnis der Erlösung, das das Grundprinzip ihres Lebens und ihrer Sendung ist", schreibt er. Und zugleich ist es die ganze Schöpfung, die auf Erlösung ausgerichtet ist, die sich nach einer Befreiung von Gewalt, Hass und Missgunst sehnt.
Auffallend ist, dass Johannes Paul II. besonders den einzelnen Menschen und seine Situation in der Welt von heute in den Mittelpunkt stellt. Freilich greift der Papst mit der Verortung des Menschen auf einen Terminus zurück, der sich in der Überschrift der Pastoralkonstitution "Gaudium et spes" findet. Schreibt das Konzilsdokument über "die Kirche in der Welt von heute", so beschäftigt sich Johannes Paul analog mit "dem Menschen in der Welt von heute". Das zeigt: Es geht dem Papst um den konkreten Menschen in seiner aktuellen Lebenssituation. So verwundert es auch nicht, dass der Papst im Folgenden einzelne Ängste des heutigen Menschen herausgreift und näher betrachtet: den Fortschritt der Technik, die Katastrophen der Geschichte, die Bedrohung des Menschen durch seine eigenen Produkte. Kurzum: "Der Mensch lebt immer mehr in Angst."
Vor allem die Situation des Kalten Krieges und seiner Bedrohungen lässt sich zwischen den Zeilen der Enzyklika immer wieder herauslesen. Umso eindrücklicher der Appell, den der Papst an die Menschheit richtet: "Dennoch möchte ich mich kraft meines Amtes im Namen aller Gläubigen der ganzen Welt an diejenigen wenden, von denen in irgendeiner Weise die Gestaltung des sozialen und öffentlichen Lebens abhängt. Wir fordern von ihnen dringend die Achtung der Rechte der Religion und des Wirkens der Kirche. Wir beanspruchen kein Privileg, sondern die Achtung eines elementaren Rechtes. Die Verwirklichung dieses Rechtes ist eine der grundlegenden Proben für den wahren Fortschritt des Menschen in einem jeden Regime, in jeder Gesellschaft, in jedem System und in jeder Lage."
Eine Enzyklika von erschreckender Brisanz
Es sind besonders die Menschenrechte, auf die der Papst am Ende seiner Antrittsenzyklika abhebt. Sie seien weder verhandelbar, noch könne man von ihnen dispensieren. Und, was Johannes Paul II. ausdrücklich betont: Die Kirche ist besonders dort auf den Plan gerufen, wo Menschenrechte missachtet werden und die menschliche Würde mit Füßen getreten wird. Die Enzyklika "Redemptor hominis" trägt eindeutig die Handschrift ihres Verfassers. In ihr berichtet Johannes Paul II. nicht nur sehr persönlich über seine Wahl, sondern weist auch auf ein Thema hin, das für sein ganzes Pontifikat zentral sein wird: die Betonung der Menschenrechte und die unantastbare Würde des menschlichen Lebens.
Der Text der Enzyklika besitzt vierzig Jahre später eine erschreckende Brisanz. Freilich sind es andere Ängste, welche die Menschen "in der Welt von heute" bewegen – doch so viel anders wie damals sind sie dann doch nicht. Die Furcht, dass es wieder zu einem Kalten Krieg kommen könnte, geht in Europa um. Die Annäherung zwischen den USA und Nordkorea scheint wieder einmal gescheitert. Terrorismus, Diskriminierungen und humane Katastrophen bewegen die heutige Welt. Der Ruf nach einer Achtung der Menschenrechte, wie sie Johannes Paul II. 1979 eingefordert hat, besitzt bleibende Gültigkeit. Vielleicht ist es gerade deshalb gut, "Redemptor hominis" nicht in der Schublade liegen zu lassen, sondern hervorzuholen und neu zu lesen.