Kolumne: Mein Religionsunterricht

Einsatz gegen Kindersoldaten: Wie aus Schülern Propheten werden

Veröffentlicht am 29.03.2019 um 17:10 Uhr – Lesedauer: 

Wentorf ‐ Was der Ruf des Propheten Jesaja "Sorgt für Gerechtigkeit!" heute bedeutet, bringt Lehrer Heinz Waldorf seinen Schülern in einem besonderen Projekt bei: dem Red-Hand-Day, bei dem die Schüler selbst aktiv werden und auf das Schicksal von Kindersoldaten aufmerksam machen.

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Elisabeth Buck, die mich seit Jahren sehr inspiriert, hat in ihr Religionsbuch "Neuland betreten: Bewegter Religionsunterricht im 7. bis 9. Schuljahr" (München 2011) eine tolle Einheit über den Propheten Jeremia aufgenommen. In einem Symbolspiel erleben die Kinder, dass Propheten "aus der Reihe tanzen" und alles andere als "linientreu" sind. Dazu aber müssen sie eine nicht sehr aufregende prophetische Qualität bei sich entdecken, nämlich die Notwendigkeit und Fähigkeit, hinter die Kulissen zu schauen.

Müll hinter prächtiger Kulisse

Es wird nämlich eine schöne Welt aufgebaut, hinter der sich ein Müllhaufen verbirgt. Die Kinder stellen sich in einer Reihe vor der Kulisse – bei mir ist es das Bild eines schönen Parks oder auch ein prächtiges Loire-Schloss – auf und sollen schauen. Die Realität nimmt nur das Kind wahr, welches sich traut "neben der Spur zu sein" und auszuscheren, um hinter der Kulisse eben den Müll zu erkennen. Die "Aha-Erlebnisse" auf dem Schulhof sind immer wunderbar und ich weiß, dass ab dem Zeitpunkt kein Kind mehr vergisst, was ein Prophet ist – und was prophetisches Handeln bedeutet.

Ich würde von hier aus jetzt am liebsten auf die Freitags-Demonstrationen, für die ich uneingeschränkte Sympathie hege, eingehen. Die haben, wie mir scheint, sehr viel mit prophetischem "aus der Reihe tanzen" zu tun und stellen manche Linientreue sicher in Frage. Aber das ist ein anderes Thema!

Weltweiter Einsatz gegen Kindersoldaten

Ich möchte vom Red-Hand-Day erzählen. Dies ist ein seit vielen Jahren in jedem Februar weltweit organisierter Aktionstag, welcher auf das Schicksal der allzu vielen Kindersoldaten aufmerksam machen und ein Zeichen der Solidarität und des Protests setzen möchte. Menschen – im Fall meiner Schulen natürlich in erster Linie Kinder und deren Lehrerinnen und Lehrer – lassen sich ihre Hand mit roter Fingerfarbe bemalen und drücken diese Hand auf ein Blatt Papier. Die gesammelten Hände werden Politikern vor Ort als Aufforderung, sich für Kindersoldaten einzusetzen, übergeben oder direkt an den Bundestag verschickt.

Ich habe die Aktion schon oft mit Kursen des siebten Jahrgangs durchgeführt – im Rahmen der Unterrichtsreihe über Propheten und prophetisches Leben. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der biblischen Sozialprophetie des 8. Jahrhunderts vor Christus. Wir fragen uns natürlich, was Propheten sind, lernen den Propheten Amos kennen, dessen Buch meiner Meinung nach in seiner Prägnanz besonders geeignet für die Kinder ist. Und wir arbeiten heraus, dass dem Ruf des Propheten Jesaja "Sorgt für Gerechtigkeit!" (Jes 56,1) nichts hinzuzufügen ist – und dieser Ruf die alten Geschichten sofort so was von ins gegenwärtige Leben holt, dass die Erkenntnis im Raum steht: "Wir sind ja auch aufgerufen, Propheten zu sein!" Ich verstärke das immer noch und sage, dass wir das auch sein müssen, wenn wir uns in unserer Welt voller Ungerechtigkeit und Leid umschauen.

Red-Hand-Day
Bild: ©Heinz Waldorf

Gemeinsam mit seinen Schülern macht Religionslehrer Heinz Waldorf durch rote Hände beim Red-Hand-Day auf Kindersoldaten aufmerksam.

Ich muss wieder an die Freitagsdemonstranten denken. Die haben doch tatsächlich was Prophetisches. Man verzeihe mir den Gedanken, dass der Verweis auf formale und rechtliche Probleme auch ein wenig Entschärfung biblischer brisanter Herausforderungen bedeutet. Jedenfalls arbeiten wir im Unterricht heraus, dass eine Besinnung auf unsere jüdisch-christlichen Wurzeln in die Weigerung münden muss, uns je mit Lebensumständen abzufinden, in denen die Würde der Menschen mit Füßen getreten wird. Das sei immer eine gute Gelegenheit, wirklich große Theologie in der Mittelstufe zu verorten – schreibt Johann Baptist Metz in seiner "Theologie der Welt" (Mainz, München 1968) doch von der Verheißung universaler Humanisierung und der Verpflichtung, sich vorbehaltlich der eschatologischen Vollendung für sie zu engagieren.

Wir haben vor einigen Wochen dann wieder den Red-Hand-Day durchgeführt und ein kleines Zeichen für Gerechtigkeit gesetzt. Die Aktion haben Schülerinnen und Schüler vor Jahren in Ahrensburg mal in einer Recherchearbeit entdeckt und sich dafür entschieden, sie durchzuführen. Ich finde sie nach wie vor besonders gut geeignet, prophetisch zu handeln. Einmal gefällt mir der Aspekt der Solidarisierung mit Kindern sehr gut. Und die Aktion lässt sich in der Schule sehr problemlos durchführen. Mir war von Anfang an wichtig, dass die Gruppen "ihre" Aktion weitgehend selbstständig vorbereiten und durchführen können. Bei meinem aktuellen Kurs hatte ich im Februar den Eindruck, die hätten das auch ohne mich wunderbar über die Bühne gebracht.

Ein Akt der "Fernstenliebe"

Bei der Vorbereitung der Aktion übernehmen alle Aufgaben, die sie sich zutrauen. Wir handeln das immer so lange aus, bis alle ihren Part gefunden haben. Wir erstellen Informationsplakate und ein Werbeplakat, das eine Woche vor dem Tag überall in der Schule ausgehängt wird. Einige setzen sich mit örtlichen Zeitungen in Verbindung und laden zur Berichterstattung ein. Einige schreiben einen Bericht für die Homepage und den Brief an die Politiker, welche die Hände erhalten sollen.

Am Tag selbst ist den ganzen Vormittag über Leben in der Pausenhalle. Hunderte von Händen schmücken schließlich die Wand. Und die Kinder haben den Eindruck, dass sie sich für eine sinnvolle Sache eingesetzt und etwas bewirkt haben. Es ist natürlich ein Akt der "Fernstenliebe", was zu meinen Schüler- und Studienzeiten ein böser Vorwurf war. Ich bin aber der Meinung, dass "alles gilt", was Menschen für Frieden und Gerechtigkeit tun. Es ist immer ein Baustein für Gottes Reich und hat schon Anteil an den großen Verheißungen. Dass es auch manchmal um Liebe zu den Nächsten geht, davon würde ich in meiner nächsten Kolumne gern erzählen.

Übrigens: mit den freitagsdemonstrierenden Kindern haben sich inzwischen Eltern solidarisiert und einen bewegenden Brief geschrieben. Ich finde auch das irgendwie prophetisch. Es gilt wesentlich zu werden, wie die Propheten damals wesentlich werden mussten, weil sie gar nicht mehr anders konnten.

Von Heinz Waldorf

Der Autor

Heinz Waldorf ist Lehrer am Gymnasium Wentorf bei Hamburg.

Linktipp: Kolumne "Mein Religionsunterricht"

Wie funktioniert Religionsunterricht heute? Genau dieser Frage geht die neue katholisch.de-Kolumne nach. Lehrer verschiedener Schulformen berichten darin ganz persönlich, wie sie ihren Unterricht gestalten, damit sie die Jugend von heute noch erreichen.