Was ein Geistlicher mitbringen muss, um eine Pfarrei zu leiten

Führungsposition Pfarrer: Nicht jeder Priester ist geeignet

Veröffentlicht am 08.04.2019 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Wie sieht das "Stellenprofil" für einen Pfarrer aus? Die Anforderungen sind sowohl von formaler als auch von persönlicher Seite sehr hoch, denn eine Kirchengemeinde zu leiten ist eine echte Führungsaufgabe – und nicht für jeden Priester etwas.

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Rund 50 bis 60 Stunden, so schätzt Vinzent Graw, dauert seine Arbeitswoche im Durchschnitt. Der Pfarrer von Herz Jesu in Oberhausen Mitte steht jeden Morgen um 6:30 Uhr auf, gegen 9 Uhr beginnt dann der erste Gottesdienst oder der Tag im Büro, die Abende sind meist bis etwa 22 Uhr gefüllt mit Sitzungen der unterschiedlichen Gremien seiner Pfarrei. Graw betreut 17 Mitarbeiter und rund 15.000 Katholiken. Das bedeutet neben der Seelsorge auch eine Menge Organisation. "Man muss schon gut koordinieren können und auch belastbar sein. Aber genau diese Vielfalt, die Möglichkeit Dinge zu gestalten, und gleichzeitig im Team zu arbeiten, das macht mir Spaß", sagt der 39-Jährige.

Seine eingeschlossen, gibt es derzeit gerade mal noch 43 Pfarreien im Bistum Essen – und fast genauso viele Pfarrstellen. Vor 15 Jahren — bevor die Diözese als eine der ersten in Deutschland eine große Strukturreform mit diversen Gemeinde-Zusammenlegungen wagte — waren es noch um ein Vielfaches mehr. Das bedeutet aber auch, dass ebenso wie die Pfarreien auch die Verantwortung der Pfarrer enorm gewachsen ist. Galt früher noch das das Prinzip "Ein Kirchturm, eine Pfarrei, ein Pfarrer", hat ein Geistlicher, der einer Großgemeinde vorsteht, heute gleich mehrere Kirchtürme und Gemeinden zu versorgen. In aller Regel hat er Mitarbeiter aus vielen verschiedenen Berufen: Angefangen von den weiteren Priestern, die in der Pfarrei mitarbeiten, über Diakone, Gemeinde- und Pastoralreferenten, Kirchenmusiker und Küster bis hin zu Hausmeister und Reinigungskraft. Dazu kommt noch eine Schar an Ehrenamtlichen, die sich etwa in der Kommunion- und Firmkatechese engagieren, Fahrten und Ausflüge organisieren oder die Seniorengruppe leiten. 

"Pfarrer zu sein ist eine echte Führungsposition"

"Pfarrer zu sein ist eine echte Führungsposition geworden, die sich längst nicht mehr jeder Priester für sich vorstellen kann", so fasst es Kai Reinhold zusammen, der Personaldezernent des Bistums Essen. Und natürlich ist auch nicht jeder für eine solche Aufgabe geeignet. Im Ruhrbistum beispielsweise sind nur noch knapp 20 Prozent der rund 250 Priester auch Pfarrer. Andere arbeiten als Pastoren in den einzelnen Gemeinden einer Pfarrei, sind in der Kategorialseelsorge oder im Bischöflichen Generalvikariat tätig.

In vielen anderen deutschen Bistümern sieht es ähnlich aus. Auch dort sind grundlegende Strukturreformen im Gange, die den Pfarrern eine größere Verantwortung auferlegen. Das eindrucksvollste Beispiel ist Trier. Da sollen ab dem kommenden Jahr aus den bisher 172 Pfarreiengemeinschaften - mit fast 900 Einzelpfarreien - 35 Großpfarreien entstehen. Und im Erzbistum Freiburg wird gerade darüber diskutiert, die Zahl der bisher 224 Pfarreiverbünde auf etwa 40 Pfarreien zu reduzieren.

Bild: ©privat

Vinzent Graw ist Pfarrer in Oberhausen.

Dass die Anforderungen an den Beruf des Pfarrers immer höher werden, wird auch bei dem Versuch deutlich, eine Art "Stellenprofil" zu entwerfen. Da sind zunächst einmal die ganz grundsätzlichen Vorgaben des Kirchenrechts. Neben der Priesterweihe muss sich ein Pfarrer laut Canon 521 des kirchlichen Gesetzbuches Codex Iuris Canonici auch durch "Rechtgläubigkeit und Rechtschaffenheit" auszeichnen, von "Seeleneifer durchdrungen" sein und eben die Eigenschaften besitzen, die für die Seelsorge der in Frage kommenden Pfarrei erforderlich sind.

Diese recht weichen Kriterien lassen einen großen Interpretationsspielraum zu. Wie Ulrich Rhode, Kirchenrechtler an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom erklärt, sind sie bewusst so formuliert: "Konkret soll dann der jeweilige Diözesanbischof prüfen, ob sich ein Kandidat für die Stelle eignet." Canon 521 schlägt dafür etwa ein Pfarrexamen vor. Das unterscheidet sich nach Rhodes Einschätzungen zwar von Bistum zu Bistum. Es bestehe aber oft aus einer schriftlichen Arbeit und frische unter anderem Kompetenzen aus dem Theologiestudium wieder auf – wie etwa das Predigen oder die exemplarische Vorbereitung einer Stunde für den Religionsunterricht. Auf der anderen Seite könnten auch das Kirchenrecht und die Vermögensverwaltung der Pfarrei eine Rolle spielen.

Neben formalen Voraussetzungen auch persönliche Eigenschaften erforderlich

Recht klare Vorgaben für die Pfarrstellen enthalten aber auch die Konkordate, also die Verträge zwischen Kirche und Staat. Laut des Preußen-Konkordats beispielsweise, das in 15 von 27 deutschen Bistümern gilt, muss ein Kandidat ein Hochschulstudium absolviert haben und die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. "Wegen dieser Kriterien ist es für Priester, die ihre Weihe etwa als Spätberufene ohne ein Studium erhalten haben und auch für ausländische Priester nur über Ausnahmeregelungen möglich, Pfarrer zu werden", erläutert Kirchenrechtler Rhode. Im Bistum Essen muss außerdem jeder pastorale Mitarbeiter alle fünf Jahre ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen. Diese Vorschrift gilt auch für die Pfarrer, ebenso wie die Vorgabe, eine Präventionsschulung zu absolvieren, die auch alle fünf Jahre aufgefrischt werden muss.

Neben all den formalen Voraussetzungen gibt es zudem noch einige persönliche Eigenschaften, die ein angehender Pfarrer mitbringen sollte. Die Liste des Essener Personalchefs Kai Reinhold ist lang: Ein potentieller Großpfarrer müsse ein guter Kommunikator sein, teamfähig, ein buchstäblicher "Pontifex", also Brückenbauer zwischen den verschiedenen Akteuren der Gemeinde, gleichzeitig aber auch entscheidungs- und konfliktfähig und die Bereitschaft haben, Aufgaben an andere zu delegieren. All diese Aufgaben dürften Pfarrer, die in Zeiten des Strukturwandels und der Zusammenlegung von Pfarreien auch unbequeme Entscheidungen treffen müssen, sehr gut gebrauchen können. Und auch die Fähigkeit zur Innovation, also Ideen, wie man der Kirche vor Ort heute ein neues Gesicht geben kann, ist gefragt.

Bild: ©Privat/katholisch.de

Der Jesuit Ulrich Rhode lehrt Kirchenrecht an der Päpstlichen Universität Gregoriana in Rom.

Wieviel Zeit dem Pfarrer bei all seinen organisatorischen Aufgaben noch für die eigentliche Seelsorge bleibt, das ist von Pfarrei zu Pfarrei unterschiedlich. Höchste Priorität habe hier die Eucharistiefeier in den täglichen Gottesdiensten, meint Reinhold. Aber auch andere grundlegende Aspekte der Seelsorge wie Taufen, Eheschließungen, Krankensalbungen oder Beerdigungen soll er idealerweise nicht nur abgeben, sondern auch selbst erledigen. Vinzent Graw berichtet aus der Praxis, dass er den oft konstruierten Gegensatz zwischen Seelsorge und Organisation oder Verwaltung nicht mag: "Viele meiner Aufgaben – etwa im Gemeinderat oder in anderen Gremien – sind vielleicht nicht klassische Seelsorge, wie sie vor 50 Jahren betrieben wurde. Aber es sind eben auch nicht nur reine Verwaltungstätigkeiten. Auch hier komme ich ja mit den Gläubigen in Kontakt." Mittlerweile ist es in vielen Bistümern zudem üblich, den Pfarrern wegen ihrer vielen Aufgaben einen Verwaltungsleiter zur Seite zu stellen. Mit diesem Fachkollegen arbeitet Vinzent Graw in Oberhausen Tür an Tür: Er ist für alles Finanzielle zuständig, für den Gemeindehaushalt, aber auch die Verwaltung der Immobilien. "Eine große Entlastung", so Graw.

Damit ihn seine Arbeit nicht irgendwann doch einmal erdrückt, achtet der Pfarrer auch auf sein eigenes Seelenleben. Er schafft sich Freiräume, einen Tag in der Woche versucht er, sich eine Auszeit zu nehmen. Dann fährt er in die Natur oder besucht ein nahegelegenes Kloster, um dort "in Ruhe" zu beichten. Zudem ist dem Priester seine persönliche Weiterbildung wichtig, weswegen Graw an einem Philosophie-Fernstudium teilnimmt.

Persönliche Zufriedenheit wichtiger als Größe der Pfarrei

Auch das Bistum Essen seinerseits achtet darauf, den Pfarrern die Weiterbildungen und Hilfestellungen zu geben, die sie brauchen. So kann sich jeder Großpfarrer zu Beginn seiner Tätigkeit von einem Coach begleiten lassen. Und Vinzent Graw beispielsweise hat sich schon im Fundraising fit gemacht oder in der geistlichen Begleitung von Exerzitien.

Auch wenn der Pfarrerberuf mittlerweile das Image hat, ein sehr stressiger Job zu sein, bei dem der Priester von einem Termin zum nächsten hetzt — Vinzent Graw geht in seiner Aufgabe auf. Und damit ist er nicht allein: Eine Studie über die psychische Belastung pastoraler Mitarbeiter ergab 2015, dass weniger äußere Faktoren wie die Pfarreigröße oder das Arbeitspensum entscheidend für das seelische Wohlbefinden sind, sondern Faktoren wie die persönliche Zufriedenheit, der Umgang mit Stress, das Vertrauen in das eigene Können, die Anerkennung durch andere und die sozialen Beziehungen.

Klar, sagt Vinzent Graw, er habe Glück: In seiner Stadtpfarrei gebe es keine großen Entfernungen, nahezu alle Wege erledigt er mit dem Fahrrad. Trotzdem kann er sich sogar vorstellen, später einmal eine Pfarrei mit noch mehr Gläubigen zu leiten. Dass er dafür auch häufiger mal länger arbeiten muss, stört ihn nicht. "Das gilt schließlich auch für Führungspositionen in anderen Berufen".

Von Gabriele Höfling