Kolumne: Unterwegs zur Seele

Wenn die Furcht um das eigene Kind zur Gefahr wird

Veröffentlicht am 11.04.2019 um 15:55 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Furcht vor Gewalt, Unfällen und Katastrophen beherrscht unsere Gesellschaft. Und die Angst fängt im Kleinen an: bei der Sorge um das eigene Kind. Wer es mit der Fürsorge übertreibt, wird jedoch selbst zur größten Gefahr für das Kind.

  • Teilen:

HTML-Elemente (z.B. Videos) sind ausgeblendet. Zum Einblenden der Elemente aktivieren Sie hier die entsprechenden Cookies.

Terroranschläge, irre Einzeltäter - das Gefühl der Unsicherheit hierzulande wächst. Und damit die Angst. Auf der einen Seite ist sie im Menschen ganz natürlich angelegt. Sie bewahrt vor Leichtsinn und Unachtsamkeit. Evolutionsbiologen sagen, die Angst vor der großen, blutrünstigen Bedrohung sei tief im Menschen verankert: Weshalb er sich vor Haien fürchtet und vor Krokodilen erst recht. Doch wir leben in einer der sichersten Gesellschaften, historisch und weltweit, und dennoch lassen Schreckensmeldungen die Welt immer verrückter, unwägbarer erscheinen: ein Germanwings-Selbstmordflug, eine Messerstecherei in Lünen, oder eine Amokfahrt in Berlin, durch all das wächst das beunruhigende Gefühl permanenter Bedrohung. Die Folge ist Furcht vor unberechenbarer Gewalt, vor Unfällen und sonstigen Katastrophen.

Welche Eltern kennen sie nicht: Die Angst um das eigene Kind, die eigenen Kinder. Das ist normal, das muss sogar sein. Doch wann wird diese Furcht zwanghaft? Kaum haben die Kinder das Haus Richtung Schule verlassen und irgendwo draußen dröhnt ein Martinshorn, zucken etliche Mütter zusammen und malen sich Schreckensszenarien aus. Die Angst, dem eigenen Kind könnte "was passieren" begleitet viele Mütter ein Leben lang, die Angst, das eigene Kind zu verlieren, ist für sie die größte Angst auf Erden, kann sie krank machen oder mindestens zu Schlaflosigkeit führen. Für Väter ist es nicht viel anders, aber einer Studie zufolge trauen sie ihren Kindern mehr zu als die Mütter. In der Bibel finden Maria und Joseph den zwölfjährigen Jesus im Tempel, drei Tage lang haben sie ihn gesucht, sich furchtbare Sorgen gemacht. Maria fragt Jesus: Kind, wir haben Dich überall gesucht. Wo warst Du? Jesus antwortet: "Wusstet Ihr nicht, dass ich im Haus meines Vaters bin?"

Es gibt kein Leben ohne Risiko

Nichts ist natürlicher als das Bedürfnis einer Mutter, ihr Kind zu schützen. Aber die Grenze hin zu übertriebenem Behüten ist fließend. Manche Mütter, vor allem Alleinerziehende, gehen selbst kaum noch ein Risiko ein, aus Furcht, das Kind womöglich allein zurückzulassen. Doch wie umgehen mit der Angst?

Sie einfach zu unterdrücken, damit sei nichts getan, sagt die Psychologin Silvia Schneider von der Ruhr-Universität Bochum. Zum einen sollten Eltern sich umfassend darüber informieren, wie viele Kinder durch Unfälle oder eine Straftat tatsächlich ums Leben kommen. Zum anderen, und das ist ebenso wichtig, gilt es, seinem Kind zu vertrauen. Halten Eltern das Kind aus Angst zurück, zum Beispiel den Schulweg allein zu gehen, sollten sie sich innerlich sagen: Er/Sie schafft das. Und zwingend müssten sie sich immer wieder bewusst machen: Es gibt kein Leben ohne Risiko. Es ist unmöglich, ein Kind vor allem Ungemach zu bewahren. Wer es versucht, wird selbst zur größten Gefahr für sein Kind.

Überlassen wir noch einmal Jesus von Nazareth das Wort: Wenn Ihr Euch noch so viel sorgt, könnt Ihr doch Euer Leben um keinen Augenblick verlängern (und damit sind auch jene gemeint, die wir lieben). Nur Menschen, die Gott nicht kennen, lassen sich von solchen Dingen bestimmen (vgl. Lukas 12,22-31).

Von Brigitte Haertel

Die Autorin

Brigitte Haertel ist Redaktionsleiterin von "theo – Das Katholische Magazin".

Hinweis: Der Artikel erschien zuerst im "theo"-Magazin.