Kolumne: Mein Religionsunterricht

Sexuelle Gewalt und Atheismus: Schwierige Themen unbedingt zulassen!

Veröffentlicht am 12.04.2019 um 13:01 Uhr – Lesedauer: 

Kusel/Bonn ‐ Schüler möchten über Atheismus oder sexuelle Gewalt reden: Gerät der Unterricht dabei außer Kontrolle oder kann man mit ihnen darüber sprechen? Lehrer Maximilian Golumbeck sagt: Keine Angst vor schwierigen Themen im Religionsunterricht – es lohnt sich!

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Kann ich im Religionsunterricht auch über "schwierige" Themen sprechen? Dazu gehören Inhalte, bei denen eine äußerst kritische bis ablehnende Haltung vieler Schüler gegenüber Religion und Glauben zu erwarten ist, sowie Themen, die die jungen Menschen – zum Teil unvorhersehbar – emotional berühren. Dabei denke ich an Unterrichtsthemen wie Positionen des Atheismus, Erfahrungen von Tod und Trauer oder auch Berichte über sexuelle Gewalt in den Medien. Wäre es nicht sinnvoll, auf diese schwere Kost zu verzichten? Schließlich fordern solche Gespräche von der Lehrkraft viel (emotionale) Kraft ein und sie führen dazu, dass der Unterricht entsprechend der Reaktion der Schüler nur bedingt planbar und vorhersehbar wird.

Tatsächlich hat eine Schülerin in der Berufsfachschule kürzlich meinen Plan für die Reli-Stunde zu biblischem Grundwissen regelrecht durchkreuzt – und ich bin ihr dafür sehr dankbar! Auf meine Frage nach den Erfahrungen der Schüler mit der Bibel antwortete sie mit einer Gegenfrage: "Ich verstehe das alles nicht; Wie kann man die Welt bitteschön in sieben Tagen erschaffen und Menschen von dem Tod auferwecken?" Sie ziehe aus diesen scheinbar unlogischen Sachverhalten die Konsequenz, dass die Bibel keine lesenswerte Lektüre und der Glaube an Gott längst überholt sei. Bei der Planung der Stunde hatte ich natürlich ein Arbeitsblatt zu Grundwissen in der Bibel vorbereitet. Mit der provokanten Gegenfrage der Schülerin veranlasste sie selbst jedoch ihre Mitschüler, die Bibel zur Hand zu nehmen und nachzuforschen, wie diese Aussagen in der Heiligen Schrift zu verstehen sind. Gemeinsam kam die Klasse – teils über chaotische und unübersichtliche Gespräche – zu der Erkenntnis, dass die verschiedenen Textgattungen unterschiedlich zu verstehen sind. Ich denke gerne an diese Stunde zurück, da die Klasse mit einer ungeplanten Stunde das Lernziel für diesen Tag sogar überragte.

"Unsere Kirche von morgen"

Doch nicht immer passt ein Beitrag zu etwas, das den Schüler gerade beschäftigt, direkt in das Thema der Stunde und führt dazu, dass das geplante Ziel der Stunde erreicht wird. Ein solcher Beitrag kann vom Thema abweichen oder auch provozieren und eine plötzliche, energiegeladene Diskussion in der Klasse nach sich ziehen. So wurde ich als Religionslehrer in einer Klasse kalt erwischt, als während des Einstiegs in den Themenkomplex "Unsere Kirche von morgen" ein Schüler den Wunsch äußerte, in diesem Zusammenhang unbedingt das Thema sexuelle Gewalt zu vertiefen. Die Mitschüler zeigten mit ihrer Reaktion deutlich, dass sie dieses Thema beschäftigt und dass sie auch eine Meinung dazu hatten. Eine derartige Situation im Reli-Unterricht verlangt von der Lehrkraft eine rasche Entscheidung, ob sie ein solch sensibles Thema im Unterricht zulässt, und fordert den Lehrer im Gespräch, angemessen auf den Wunsch der Schüler zu reagieren. Die Bereitschaft, dem Wunsch der Klasse nachzukommen, forderte auch dieses Mal eine spontane Anpassung des didaktischen Fahrplans für die kommenden Stunden ein. Doch es hat sich gelohnt! In den Stunden, in denen die Klasse dieses Thema erarbeitete, zeigten sich die Schüler interessiert und zugleich sehr sensibel und sie entwickelten konstruktive Perspektiven für "Unsere Kirche von morgen".

Sensible Themen im Religionsunterricht, die die Schüler beschäftigen, können eine Unterrichtsplanung durchkreuzen, unvorhersehbare Emotionen hervorrufen und auch hitzige Diskussionen auslösen. Wenn ich mir aber bewusst mache, dass es mir im Unterricht neben meinem fachlichen Anspruch in erster Linie um den Menschen und seine Lebenswelt geht, so gehören gerade schwierige Themen unbedingt zum Religionsunterricht. Trauen wir den Schülern etwas zu! Es lohnt sich!

Von Maximilian Golumbeck

Der Autor

Maximilian Golumbeck ist Religionslehrer am Kaufmännischen Berufsbildungszentrum (KBBZ) Neunkirchen/Saar.

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