Die Auferstehung da feiern, wo sie vor 2.000 Jahren geschah
Bruder Gregor Geiger (49) stammt aus Hardheim-Erfeld in Baden-Württemberg. Seit 1999 lebt, forscht und lehrt der Franziskaner in Jerusalem. Der gefragte Reiseleiter und Autor des Pilgerführers "Im Land des Herrn" unterrichtet an der ordenseigenen Hochschule Studium Biblicum Franciscanum in der Via Dolorosa Hebräisch und Aramäisch. Johannes Zang sprach mit dem promovierten Theologen über die Feier der Kar- und Ostertage in Jerusalem.
Frage: Was bedeutet es Ihnen, die Karwoche und das Osterfest in Jerusalem zu feiern?
Geiger: Ich bin zwar schon seit 20 Jahren im Land, aber es berührt mich immer wieder, die Feste des Kirchenjahres an den Orten zu feiern, wo sich die Ereignisse vor 2000 Jahren zugetragen haben. Außerdem sind es schöne Feiern, gepflegte Liturgien, in internationalem Rahmen, mit Mitbrüdern, Pilgern und einheimischen Christen. Ich möchte das nicht missen!
Frage: Auf welchen Gottesdienst freuen Sie sich am meisten?
Geiger: Eigentlich auf alle. Aber die Feier, die mir am meisten ans Herz gewachsen ist, ist die Karfreitagsliturgie auf Golgotha. Dort die Johannespassion zu hören, bewegt mich immer wieder besonders.
Frage: In Jerusalem sind Kirchen, oft seit vielen Jahrhunderten, beheimatet, die wir in Deutschland kaum kennen: Armenisch-orthodox, griechisch-katholisch-melkitisch oder äthiopisch-orthodox. Besuchen Sie auch deren Liturgien und Gottesdienste?
Geiger: Ehrlich gesagt selten. In den ersten Jahren habe ich das gerne gemacht, besonders bei den Äthiopiern. Eine wunderschöne Feier ist die Osternachtsfeier der äthiopisch-orthodoxen Christen auf dem Dach der Grabeskirche am Abend des Karsamstags; eine sehr innige Feier, die uns Europäern ziemlich fremd ist. Man fühlt sich wie in Afrika. Mich schrecken jedoch inzwischen die Pilger- und Touristenmassen etwas ab.
Frage: Was hat es mit dem legendären Lichtsamstag der orthodoxen Christenheit am Karsamstag auf sich?
Geiger: Es ist eine Auferstehungsfeier. Die Menschen harren schon stundenlang vorher in der Kirche aus. Am frühen Nachmittag ziehen der griechisch-orthodoxe und der armenische Patriarch in die Grabeskirche ein. Beide werden in das Heilige Grab eingeschlossen, das Grab wird versiegelt. Nach etwa 20-minütigem Gebet reichen sie brennende Fackeln durch zwei Öffnungen der Grabkapelle hinaus. In diesem Moment zünden sich alle Gläubigen ihre Kerzen an. Es ist ein Jubel, wie er in einer deutschen Kirche kaum vorstellbar ist. Das erinnert einen an den Jubel in einem Fußballstadion, wenn ein Tor fällt.
Frage: Lassen Sie uns über die bevorstehende Karwoche in Jerusalem sprechen.
Geiger: Die Karwoche ist geprägt von langen, feierlichen Gottesdiensten und von Prozessionen, die auch auf der Straße stattfinden. Hier ist es allerdings kalt und regnerisch, wie eigentlich die ganzen letzten fünf Monate. Dem Land tut der Regen gut, seine Bewohner würden sich jedoch über etwas wärmere Temperaturen freuen.
Frage: Was ist für Sie persönlich der Höhepunkt der Karwoche?
Geiger: Wie gesagt: der Karfreitag. Die eigentliche Karfreitagsliturgie findet um sieben Uhr früh am Ort der Kreuzigung bei verschlossenen Türen statt. Man muss pünktlich da sein, dann wird die Tür abgesperrt. Das hat den Vorteil, dass man nicht durch Besuchergruppen gestört wird. Gerade diese sehr ruhige, gesammelte Atmosphäre auf Golgotha ist für mich der beeindruckendste Gottesdienst der ganzen heiligen Woche.
Frage: Haben Sie noch einen Tipp für Jerusalem-Besucher?
Geiger: Die Feier am Gründonnerstagabend in Gethsemani. Da sind zwar enorme Massen von Pilgern und Einheimischen, aber die Gethsemani-Kirche ist groß. Trotz der großen Zahl der Gläubigen kann man sich in dem schlichten mehrsprachigen Gottesdienst in das Geheimnis dieses Abends versenken.
Frage: Kennt die römisch-katholische Kirche in Jerusalem Riten, die in Deutschland unbekannt sind?
Geiger: Ein Ritus, der in der klassischen katholischen Liturgie nicht vorkommt, ist die Feier der Kreuzabnahme und der Grablegung Jesu am Abend des Karfreitags. Eine hölzerne Jesusfigur, etwa ein Meter hoch, wird auf Golgotha vom Kreuz abgenommen, dann am Salbungsstein gesalbt und schließlich im Grab begraben. Das ist die volkstümlichste Feier der katholischen Kirche und wird von den Franziskanern seit mindestens 500 Jahren so gepflegt. In der Kirche sind mindestens so viele orthodoxe wie katholische Christen.
Frage: Jerusalem, etwas größer als Frankfurt am Main zählt nicht einmal mehr 10.000 einheimische palästinensische Christen. Macht sich das in der Karwoche bemerkbar?
Geiger: Zu den Feiertagen kommen einheimische Christen vor allem aus Galiläa. Erst auf den zweiten Blick merkt man, dass die Christen eine kleine Minderheit sind, aber trotzdem eine, die sehr spürbar ist. Man sieht hier mehr Rosenkränze am Rückspiegel im Auto und mehr Häuser, die mit Kreuzen oder Marienbildern geschmückt sind als in Deutschland.
Frage: In der Karwoche steht die Ädikula, die Grabkapelle in der Grabes- und Auferstehungskirche im Fokus: Diese wurde vor nicht allzu langer Zeit restauriert und mittels Infrarotkameras durch eine griechische Chemieingenieurin untersucht. Welche Erkenntnisse hat man gewonnen?
Geiger: Eine Entdeckung war spektakulär und für alle eine Überraschung: Die Felsbank, auf der der Leichnam Jesu ruhte, ist noch erhalten, und an der Südseite des Grabes ist der originale Fels noch bis zu über zwei Meter hoch. Das war deshalb überraschend, weil viele Wissenschaftler davon ausgegangen waren, dass im Jahr 1007 das Felsengrab fast völlig zerstört worden sei. Nach dieser Entdeckung hat man einen Teil des Felsens in der Grabkammer hinter einer Glasplatte sichtbar gelassen.
Frage: Sprechen wir über Ostern: Wann beginnt bei den Franziskanern die Osternacht?
Geiger: Da die Absprachen mit den anderen Konfessionen ziemlich genau eingehalten werden müssen, um Reibereien zu vermeiden, haben wir die katholische Osternachtsfeier noch wie zu Zeiten vor der Liturgiereform am Karsamstag früh um halb sieben. Ein Gedanke gefällt mir: Wenn man die Länder im Fernen Osten, die uns um Stunden voraus sind, betrachtet, ist trotzdem die erste Osternacht, die überhaupt in der ganzen Welt gefeiert wird, die am leeren Grab.
Frage: Kommen wir noch einmal auf die palästinensischen Christen zu sprechen, die sich auf eine Präsenz seit der Urkirche berufen. Deren Alltag ist beschwerlich: bei hoher Polizei- und Militärpräsenz müssen sie ständig mit Ausweiskontrollen, ja Verhaftungen, rechnen. Sie stehen vor vielen bürokratischen Hürden, ein Beispiel: man verweigert ihnen oft Renovierungs- oder Baugenehmigungen. Manche sprechen da von einer ständigen Karwoche. Feiern sie deshalb Ostern anders, bewusster, mit mehr Tiefgang?
Geiger: Für die Einheimischen sind das sicher Höhepunkte im Jahr. Die Kirche ist für viele ein geschützter Ort, wo man die alltäglichen Spannungen zwar nicht vergessen, aber beiseite lassen kann. Die allgegenwärtige Präsenz von Sicherheitskräften in der Stadt, teils sogar in den Kirchen, hat etwas Beängstigendes, manchmal auch Absurdes. Aber zur Zeit Jesu war das nicht anders.
Frage: Wie können sich Christen in Deutschland von den Kar- und Ostertagen im Heiligen Land anregen lassen?
Geiger: Es sind schöne Liturgien, obwohl die Kirchen eng sind und oft dunkel. Es kommen Menschen zusammen, die keine gemeinsame Sprache haben, aber die beim Gottesdienstfeiern nicht auf die Uhr schauen. Sie haben ihre Freude an innigen Gottesdiensten. Deutsche können von hier den Mut mitnehmen, den Glauben nicht zu verstecken, sondern vor der Umgebung zu zeigen.
Frage: Es gibt mindestens drei Emmaus-Orte im Heiligen Land, die den Anspruch erheben, der authentische zu sein. Sie sind bekannt für den Ostermontagsgang nach Emmaus Qubeibeh im palästinensischen West-Jordanland. Ist dieser angesichts von Sperrmauer und Kontrollpunkten überhaupt noch möglich? Bedarf es einer Koordination mit dem israelischen Militär?
Geiger: Das war in den vergangenen Jahren möglich, und wird es, so Gott will, auch heuer sein. Der Gang über den Checkpoint muss vorher mit dem Militär abgesprochen werden, aber dank der guten Beziehungen von Schwester Hildegard, der Oberin der Salvatorianerinnen aus Emmaus, ist das kein Problem. Wir sind normalerweise zwischen 100 und 130 Leuten, die mitgehen und dort gemeinsam das tun, was Jesus mit den Jüngern gemacht hat: Brot brechen, Eucharistie feiern.