Eine besondere Passionsgeschichte

Semana Santa in Lorca: Buße zwischen Caesar und dem Teufel

Veröffentlicht am 18.04.2019 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Lorca ‐ Traditionelle Bußprozessionen in der Karwoche gibt es an vielen Orten in Spanien und Italien. In Lorca hat sich der alte Brauch aber besonders vielfältig und prächtig entwickelt: zu einem "Buß-Spektakel".

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Laut ratternd saust der Streitwagen über die mit Sand bestreute Straße, bis er plötzlich stehen bleibt. Kurz halten die Pferde an, bis der in eine römische Legionärsrüstung gekleidete Wagenlenker die Zügel zieht und der Wagen aufs Neue an Fahrt aufnimmt – untermalt vom Jubel der Zuschauer. Die Karfreitagsprozession in Lorca in der Region Murcia im Südosten Spaniens ist anders als andere Umzüge im Land. In Lorca wird es am Sterbenstag Christi laut, bunt und schnell. Der sogenannte biblisch-historische Umzug ist als Ausprägung der Bußtradition ein Alleinstellungsmerkmal und wurde mittlerweile als "von internationalem touristischem Interesse" anerkannt.

Mit anderen Umzügen teil Lorcas Semana Santa den historischen Ursprung: Die Umzüge entwickelten sich über mehrere Jahrhunderte aus dem Kreuzweg, als fester Brauch etablierten sie sich dann seit Beginn des 16. Jahrhunderts. Im Mittelpunkt jeder Prozession stehen die Büßer, erkennbar an ihren langen Gewändern mit hohen, spitzen Kopfbedeckungen, die das gesamte Gesicht verdecken und nur von Augenschlitzen unterbrochen sind. Dadurch erinnern sie etwas an die Kleidung des Ku-Klux-Klans. Hintergrund der maskenhaften Gewandung ist der Gedanke, dass der Bußakt anonym sein soll.

Bild: ©Christoph Paul Hartmann / katholisch.de

Die Büßer in ihren typischen Gewändern bei der Karfreitagsprozession.

In jeder Kirchengemeinde fanden sich Büßer zu sogenannten Bruderschaften zusammen, die den Prozessionsweg gemeinsam gingen. Sie bestimmen bis heute die Umzüge, die in der Regel von mehreren Bruderschaften bestritten werden. Visuell stechen die "pasos" heraus: tragbare Kreuzwegstationen. Eine Szene steht in Form einer Figurengruppe auf einer tischartigen Konstruktion. Unter dieser sind Balken befestigt, die auf den Schultern oft einiger Dutzend Träger liegen, die ihn in gleichmäßig wiegenden Schritten durch die Straßen tragen.

Bild: ©Christoph Paul Hartmann / katholisch.de

Ein "paso" in Lorca.

Spaltung in Lorca

In Lorca kam es im 19. Jahrhundert zur Spaltung der damals größten Bruderschaft. Seitdem prägen die weiße Bruderschaft und die blaue Bruderschaft das Geschehen – und stehen in zum Teil erbitterter Rivalität zueinander. Diese Rivalität lebten und leben die Bruderschaften vor allem in kreativer Hinsicht aus: Auf der einen Seite wuchs der Umzug in der Stadt und nahm ungeahnte Formen an. Aus der Bußprozession entwickelte sich ein biblisch-historischer Umzug mit zwei großen Themenfeldern: dem Alten Testament und dem Sieg des Christentums. Auf Themenwagen entstehen große Arrangements aus Kulissen und "tableaux vivants", lebendige Darstellungen von Caesar und Cleopatra, dem römischen Heer oder Petrus, der den gefesselten Teufel in Schach hält. Dieser Umzug, eigentlich nur eine Randnotiz der Prozession, nimmt heute den Großteil des Geschehens ein. Neben Musikkapellen ziehen dort Reiter, Streitwagen, Soldaten, Hofdamen und vieles mehr an den Zuschauern vorbei.

Bild: ©Christoph Paul Hartmann / katholisch.de

Der reich bestickte Mantel des Petrus als erstem Papst.

Besondere Aufmerksamkeit verdienen die Kostüme der Teilnehmer: Diese sind mit farbenfrohen und aufwändigen Stickereien verziert, die Personen oder Szenen entweder aus der Bibel oder der Antike darstellen. Jede Bruderschaft stellt die Kostüme selbst her: Nach dem Entwurf eines künstlerischen Gestalters sticken Freiwillige die Motive in den Stoff. Das kann lange dauern: Ein festlicher Mantel, der Beispielsweise zum Kostüm des Petrus als erster Papst gehört, braucht vom ersten bis zum letzten Nadelstich etwa vier Jahre.

Zuschauer nehmen lebhaft Anteil

Der Wettstreit der beiden Bruderschaften findet bei den Umzügen nicht nur auf der Straße, sondern auch auf den Tribünen statt: Anhänger beider Lager sitzen verstreut auf den Rängen und springen jubelnd auf, wenn Vertreter ihrer Bruderschaft vorbeiziehen. Dazwischen ertönen immer wieder Sprechchöre und "Viva, viva!"-Rufe. Die Dualität zwischen weiß und blau prägt die 90.000-Einwohner-Stadt Lorca: Bei den Umzügen und die gesamte Karwoche lang tragen die Einwohner entsprechend gefärbte Halstücher, die die Sympathien klar machen. Für diejenigen, die es etwas subtiler mögen, gibt es auch kleine Anstecknadeln mit den Symbolen der Bruderschaften.

Mit einer traditionellen Bußprozession hat das Spektakel in Lorca nicht mehr viel zu tun: Der biblisch-historische Umzug hat sich über die Jahre sehr weit vom religiösen Grundgedanken entfernt und setzt mehr auf optische wie akustische Effekte. Und doch ist der Glaube nicht ganz verschwunden: Das wird am Ende des Umzugs ersichtlich, wenn der wichtigste "paso" an den Zuschauern vorbeigetragen wird: Denn beide Bruderschaften haben sich unter den Schutz der Jungfrau Maria gestellt, die als Figur in einem prächtigen, von Gold, Kerzen und Blumenschmuck geprägten "paso" den Höhepunkt der Prozession bildet. Ist die Madonna in Sicht, beginnt der vielleicht schönste Moment des Umzugs: Aus den Fenstern der umliegenden Häuser segeln Heerscharen von Rosenblättern durch die Luft und setzen sich auf "paso", Marienfigur und alle umstehenden Prozessierenden und Zuschauer. Die Blätter stammen aus dem Blumenschmuck der Vortage. Sie geben der Prozession eine sanfte, sinnliche Note, die auch sinnbildlich für das Leben in den Bruderschaften steht: Mitglieder erzählen, dass sie eigentlich nie viel für Religion übrig hatten, durch Maria im Mittelpunkt aber wieder einen Zugang zu Glaube und Kirche entwickelt haben. Trotz lauten Passionstreiben in Lorca ist also noch Platz für Zwischentöne.

Von Christoph Paul Hartmann