Historikerin gibt Laizismus Schuld an Brand von Notre-Dame
Die römische Historikerin Lucetta Scaraffia, frühere Autorin in Vatikan-Medien, hat den Laizismus in Frankreich für den Brand von Notre-Dame verantwortlich gemacht. Der Staat, seit 1905 Eigner des Bauwerks, habe Kapital aus der Kathedrale als Touristenattraktion geschlagen, aber die Einnahmen lieber in "laikale" Projekte gesteckt als in die Restaurierung.
"Und jetzt, vor ihrem rauchenden Skelett, wachen die Franzosen auf; in den Straßen des säkularisierten Paris gibt es sogar Gruppen, die beten und das Ave Maria singen, während sich TV-Kommentatoren plötzlich erinnern, dass wir am Beginn der Karwoche stehen", schrieb Scaraffia in einem Kommentar für die italienische Zeitung "Quotidiano" (Onlineausgabe Mittwoch).
"Die öffentliche Bestürzung weltweit - und nicht zuletzt der Jubel fundamentalistischer islamistischer Internetseiten - machen deutlich, wie dumm und oberflächlich die Debatte war, die vor Jahren die Erwähnung der christlichen Wurzeln in der Europäischen Verfassung verhinderte. Die Geschichte existiert, auch wenn wir sie vergessen wollen, und die Erinnerung kann schlagartig geweckt werden, wenn die Folgen unserer Entscheidungen uns schon nur noch zu Asche und rauchenden Trümmern bringen", so Scaraffia. Die Autorin war bis vor kurzem Schriftleiterin des Vatikan-Frauenmagazins "Donne Chiesa Mondo", hatte sich aber Ende März im Streit verabschiedet.
Saint-Sulpice wird Ersatzkirche
Unterdessen lud der Pariser Erzbischof Michel Aupetit die Gläubigen für diesen Mittwochabend zur Mitfeier des großen Karwochen-Gottesdienstes mit der Weihe der Heiligen Öle ein. Die Messe biete Gelegenheit, "unsere Einheit und unser Vertrauen in die Zukunft zum Ausdruck zu bringen", so der Erzbischof in einer Erklärung auf der Website der Erzdiözese Paris. "Wir haben das Gefühl, dass wir nicht nur unsere Kathedrale wiederaufbauen müssen, sondern auch unsere Kirche, deren Angesicht so verwundet ist." Die Chrisammesse, an der traditionell auch der gesamte Klerus einer Diözese teilnimmt, werde in die Kirche Saint-Sulpice verlegt, hieß es.
In seiner Botschaft dankte Aupetit noch einmal ausdrücklich den "mutigen Feuerwehrleute, die den Dom vor einer totalen Katastrophe bewahren konnten". Gegenüber der Tageszeitung "Le Figaro" (Mittwoch) zeigte sich der Erzbischof zudem "tief berührt" von der spontanen Welle aus Gebet und großzügigen Spendenzusagen für den Wiederaufbau der Kathedrale. Notre-Dame sei angesichts ihrer Historie "die Seele Frankreichs", sagte Aupetit der Zeitung. "Sie ist das Zeichen für den Glauben dieser Nation, die, auch wenn sie es vergisst, die 'älteste Tochter der Kirche' bleibt."
Ebenfalls am Mittwochabend sollen in ganz Frankreich die Kirchenglocken läuten. "Der Brand in der Kathedrale Notre-Dame de Paris ist ein Schock weit über die Katholiken unseres Landes hinaus", teilte die französische Bischofskonferenz mit. Alle Diözesen seien aufgerufen, aus Solidarität um 18.50 Uhr, dem Zeitpunkt des Brandausbruchs am Montag, die Glocken ihrer Kirchen zu läuten.
Religionsführer im ganzen Land drückten unterdessen ihre Solidarität aus. Der Rektor der Pariser Großen Moschee, Dalil Boubakeur, appellierte "an alle Muslime in Frankreich, sich an der Spendenaktion für den Wiederaufbau zu beteiligen". Ähnlich äußerten sich der Präsident der Vereinigung der Moscheen Frankreichs (UMF), Mohammed Moussaoui, und der Präsident des Französischen Islamrates (CFCM), Ahmet Ogras. Zudem äußerten der Vorsitzende der Protestantischen Föderation Frankreichs, Francois Clavairoly, und Frankreichs Oberrabbiner Haim Korsia ihr Mitgefühl.
Auch Papst Franziskus bekundete erneut Betroffenheit über den Brand der Kathedrale Notre-Dame. Er sei betrübt und fühle sich den Katholiken des Erzbistums Paris, allen Bürgern der Hauptstadt und dem ganzen französischen Volk sehr nah, sagte er bei seiner Generalaudienz am Mittwoch auf dem Petersplatz. In einem Gruß an französischsprachige Pilger und Besucher sagte er weiter, allen, die die Basilika zu retten versucht hätten, gelte der Dank der ganzen Kirche. Der Wiederaufbau solle ein einhelliges Werk "zum Lob und Ruhm Gottes" sein.
Macron: Wiederaufbau in fünf Jahren abgeschlossen
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron kündigte unterdessen einen zügigen Wiederaufbau von Notre-Dame an. "Ich möchte, dass dies in fünf Jahren abgeschlossen sein wird", sagte er am Dienstagabend in einer Fernsehansprache. In seiner gut fünfminütigen Rede appellierte Macron an den Zusammenhalt der französischen Gesellschaft. Bei einer Regierungssitzung in Paris unter Vorsitz Macrons soll es am Mittwoch vor allem um die Folgen der Brandkatastrophe gehen.
Spender hatten am Dienstag bereits Hunderte Millionen Euro für den Wiederaufbau der jahrhundertealten gotischen Kathedrale zugesagt. Wenige Stunden nach dem Brand spendete der Milliardär Bernard Arnault 200 Millionen Euro für den Wiederaufbau, der Milliardär Francois-Henri Pinault will 100 Millionen Euro geben. Dazu kommen 200 Millionen Euro des L'Oreal-Konzerns sowie 100 Millionen Euro vom Energiekonzern Total.
Auch in Deutschland zeigt man sich solidarisch. Das Erzbistum Berlin rief am Mittwoch zur Osterkollekte für Notre-Dame auf. "Es geht dabei nicht um große Summen, wie sie bereits von Unternehmern und Institutionen zugesagt wurden. Es geht um eine Geste der Verbundenheit und der Solidarität in der Feier der Eucharistie durch die Kollekte und im Gebet", erklärte Generalvikar Manfred Kollig. Alle Pfarrgemeinden seien deshalb aufgefordert, die Osterkollekte oder einen Teil davon für den Wiederaufbau von Notre-Dame zu spenden. Das Erzbistum werde sämtliche projektbezogenen Spenden weiterleiten. Auch der Zentral-Dombauverein Köln rief am Mittwoch mit einer Spendenaktion zur finanziellen Unterstützung für den Wiederaufbau von Notre-Dame auf. (tmg/KNA)